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Eine rollende Arztpraxis für Obdachlose

Den Ärmsten der Armen, den etwa 600 Wohnungs-losen in München, bietet die rollende Arztpraxis der Münchner Straßenambulanz medizinische und pflege- rische Hilfe - direkt vor Ort und kostenlos.

Von Ursula Armstrong Veröffentlicht:
Frater Karl (r.) im Behandlungsmobil bei der Fußpflege an einem Obdachlosen.

Frater Karl (r.) im Behandlungsmobil bei der Fußpflege an einem Obdachlosen.

© Westermann / Straßenambulanz

In München sind etwa 600 Menschen obdachlos und "machen Platte", wie sie sagen. Sie leben also auf der Straße. Vier von fünf Betroffenen sind Männer. Wohnungslose sind durch das soziale Netz gefallen, sie kommen mit der Gesellschaft nicht mehr klar und haben oft ihren Realitätssinn verloren. Auch ihre gesundheitliche Situation schätzen sie falsch ein: Trotz schwerster Krankheiten fühlen sie sich gesund. Wer am Rande der Gesellschaft lebt, sucht keine Hilfe mehr. Auch nicht bei einem Arzt. Obdachlose bringen es nicht fertig, in eine Praxis oder in ein Krankenhaus zu gehen. Nötig ist eine niedrigschwellige aufsuchende Hilfe. In München fährt deshalb dreimal in der Woche abends eine rollende Arztpraxis direkt zu den Wohnungslosen, um ihnen vor Ort und unkompliziert zu helfen: die "Münchner Straßenambulanz".

Versorgung in einem speziell ausgestatteten Bus

1997 haben der Orden der Barmherzigen Brüder, der Katholische Männerfürsorgeverein München und die Münchner Arztpraxis für Wohnungslose die Straßenambulanz ins Rollen gebracht. Das Auto wurde über eine Spendenaktion der "Süddeutschen Zeitung" finanziert. Der speziell konzipierte Behandlungsbus ist mit einer Liege und einem Behandlungsstuhl ausgerüstet, mit Waschmöglichkeiten ausgestattet und verfügt über einen ausreichend gefüllten Vorrat an Arzneien und Verbandsstoffen, die von einer großen Apotheke gespendet werden. Im Winter werden auch Decken und warme Kleidung mitgenommen.

Die rollende Arztpraxis ist immer mit einer Ärztin und einem unentgeltlich arbeitenden Krankenpfleger besetzt. Zwischen 18 Uhr und Mitternacht oder später fahren sie zu den Treffpunkten und Schlafplätzen der Wohnungslosen sowie zu Notunterkünften und bieten ihre Hilfe an. Sie behandeln die Kranken und versorgen etwa große faulende Wunden, die schon von Maden wimmeln. Typisch sind auch wunde Füße, Pilz- und Läusebefall sowie Suchtkrankheiten. Aber es geht auch um die ganz normalen Krankheiten wie Husten, Schnupfen, Prellungen und Zahnschmerzen. Auch die pflegerische Versorgung, etwa Waschen und Cremen, gehört dazu. Weitere Ziele sind Prävention, praktische Hilfe und das Heranführen der Patienten an das normale medizinische Versorgungssystem. In den 13 Jahren, seit es die Straßenambulanz gibt, ist der Bus über 42 000 km durch Münchner Straßen gefahren, so eine aktuelle Statistik. An 1766 Abenden sind die Mitarbeiter 7641 Stunden unterwegs gewesen und haben fast 38 000 Behandlungen vorgenommen.

Für die Wohnungslosen ist die Versorgung kostenlos. Sie können anonym bleiben, wenn sie das möchten. Die Münchner Straßenambulanz wird fast ausschließlich über Spenden finanziert. Nur selten liegt ein Versicherungsausweis vor. Dann gibt es ein Honorar für die Behandlung. Obdachlose, resignierte Menschen sind keine Patienten wie andere, be-schreibt Dr. Barbara Peters-Steinwachs, die die Straßenambulanz und auch die Münchner Praxis für Obdachlose betreut, in einer Festschrift zum 10-jährigen Jubiläum vor drei Jahren: "unvorstellbare Verwahrlosung, unvorstellbarer Schmutz, unvorstellbare Wunden, seit Jahren unbehandelt und auch nach unseren jahrelangen Bemühungen nicht mehr heilend; große, kaum ertragbare seelische Not; Frauen und Männer, Alte und viel zu Junge mit schweren Suchterkrankungen".

Gefordert sind Geduld und Gelassenheit

Wichtig seien Geduld und Gelassenheit, erzählt die Ärztin. Nicht nur Sachverstand, Medikamente, Verbandsstoffe und Empathie seien notwendig. Oft gehe es um "viel banalere Dinge" wie ein Taschentuch, die Adresse der Streetworker oder eine Decke für die Nacht.

Die Mitarbeiter versuchen, auch etwas in den Menschen zu bewegen. In einigen Fällen ist die Stabilisierung gelungen. Diese Personen sind ins Leben zurückgekehrt und leben heute in Wohnungen. Doch es gibt auch die anderen: Menschen, deren Lebenssituation sich auch nach Jahren nicht verändert hat. Ihnen steht das Team der Münchner Straßenambulanz zur Seite.

In München leben etwa 600 Menschen auf der Straße. Trotz akuter und chronischer Krankheiten nehmen sie keine medizinische Hilfe in Anspruch. Die Münchner Straßenambulanz sucht diese Menschen mit einer rollenden Arztpraxis direkt auf und bietet ihnen mehrmals in der Woche niedrigschwellig und kostenlos medizinische und pflegerische Hilfe.

Das erfolgreiche Hilfsprojekt wurde im Jahr 1997 gemeinsam vom Katholischen Männerfürsorgeverein München, der Bayerischen Ordensprovinz der Barmherzigen Brüder und der Münchner Arztpraxis für Wohnungslose gestartet.

www.barmherzige.de www.obdachlosenhilfe.de

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