Hintergrund

Bürokratie und Stolz: Helfer machen in Japan neue Erfahrungen

Bei Naturkatastrophen kommt es regelmäßig zum Wettrennen, wer als erster vor Ort ist, um Opfer medizinisch und materiell zu versorgen. Japan reagierte direkt nach den verheerenden Erdbeben mitsamt Tsunami eher reserviert - für hilfswillige Ärzte eine neue Erfahrung.

Von Monika Peichl Veröffentlicht:
Japanische Freiwillige, die sich ausländischen Hilfskräften als Dolmetscher anbieten: Für viele Helfer ist der Einsatz in Nippon eine völlig neue Erfahrung.

Japanische Freiwillige, die sich ausländischen Hilfskräften als Dolmetscher anbieten: Für viele Helfer ist der Einsatz in Nippon eine völlig neue Erfahrung.

© AFLO / imago

Japan ist nur das aktuellste Beispiel für Naturkatastrophen, in deren Nachgang auch Ärzte aus Deutschland versuchen, vor Ort bei der Versorgung der Opfer mitzuhelfen. Vom ersten Gedanken bis zum Hilfseinsatz vor Ort kann das eine Durststrecke bedeuten - wenn Hilfsbereite überhaupt zum Zuge kommen.

Auf gut Glück schicken deutsche Hilfsorganisationen ihre ärztlichen Mitarbeiter nicht in Notstandsregionen. Einsätze werden vorher abgeklärt, in der Regel wird die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen gesucht. Dazu kommt die Kooperation mit einheimischen Partnerorganisationen, falls vorhanden.

Manche Ärzte melden sich spontan

"Ärzte ohne Grenzen" etwa arbeitet mit Emergency Teams, die sofort aufbrechen und das Krisengebiet binnen 48 Stunden erreichen können. Zum Team gehören außer Ärzten und anderen medizinisch ausgebildeten Mitarbeitern immer ein Projektkoordinator und ein Logistiker.

Für die kurzfristig nötigen Einsätze werden aus einem Pool Ärzte hinzugezogen, die entweder schon in einem Projekt arbeiten oder demnächst arbeiten wollen.

"Manche Ärzte melden sich auch spontan", berichtet Elke Felleisen, die bei der Organisation für Recruitment und Poolmanagement zuständig ist. "Sie reden dann mit ihrem Chef, um frei zu bekommen."

In Japan ist die Organisation mit einer eigenen Sektion vertreten. Ein zwölfköpfiges japanisches Team hat Evakuierungszentren besucht und in einem der am stärksten betroffenen Gebiete vor allem ältere Patienten mit chronischen Krankheiten wie Bluthochdruck oder Diabetes behandelt.

Inzwischen arbeiten klinische Psychologen mit, die den seelisch traumatisierten Überlebenden bei der Stressbewältigung helfen wollen. Die Notfall-Phase des Katastrophen-Reaktionsplans gehe nun langsam zu Ende, so die Organisation.

Bei der Entscheidung für einen Einsatz in einem Katastrophen- oder Krisengebiet werden auch stets die Risiken für die Mitarbeiter kalkuliert. "Wir sind keine Cowboys", sagt Felleisen, auch wenn "Ärzte ohne Grenzen" in vielen instabilen Regionen arbeite, etwa in Nordkivu in der Demokratischen Republik Kongo oder 2005 im Südsudan.

Auch werde darauf geachtet, dass die Ärzte bei sehr anstrengenden Einsätzen, wie nach dem Erdbeben in Haiti, nach vier bis acht Wochen abgelöst werden. In Libyen musste sich das Team von "Ärzte ohne Grenzen" vorübergehend zurückziehen, ist aber seit dem 26. März wieder zurückgekehrt. Sieben Mitarbeiter seien nun in Bengasi und in Tobruk im Osten des Landes.

Nach den Erfahrungen von Bernd Göken, Geschäftsführer von "Not-Ärzte e. V.", besser bekannt als "Cap Anamur", sind administrative Hürden bei humanitären Katastrophen oder Krisen die Ausnahme.

In der Regel reiche ein Anruf bei der Botschaft des betroffenen Landes in Berlin, notfalls auch bei "irgendeiner Vertretung irgendwo in Europa". Wenn es darum gehe, akute Not zu lindern, werde die Einreise im Visa-Beschleunigungsverfahren ermöglicht - zwei Stunden statt zwei Wochen. "Die Länder kommen uns normalerweise entgegen."

Die Hilfsorganisation "Interplast Germany" hat einen anderen Ansatz der humanitären Hilfe. Sie ist nicht auf überwiegend akute Notfalleinsätze bei Krisen und Katastrophen ausgerichtet, sondern leistet der armen Bevölkerung in Entwicklungs- und Schwellenländern medizinischen Beistand.

Ausnahme war im vergangenen Jahr Haiti. Früher habe Interplast freie Hand gehabt, berichtet Vorstandsmitglied Dr. André Borsche, plastischer Chirurg in Bad Kreuznach.

Heute müsse man sehr sensibel vorgehen und die Einheimischen integrieren. Unterstützung aus reichen Ländern könne auch als Einmischung empfunden werden.

Einige Länder fordern Nachweise zur Qualifikation

"Anfangs freuen sich die einheimischen Ärzte über die Hilfe, bei längerfristiger Hilfe kommt die Bürokratie ins Spiel", sagt Borsche. So könne es geschehen, dass Patienten, einheimische Kollegen und Krankenhäuser das Hilfsangebot der Chirurgen von Interplast gern annehmen würden, staatliche Stellen es aber abweisen.

Sei es aus Stolz oder weil sie die chirurgische Versorgung der ärmsten - und oft verachteten - Bevölkerungsschichten nicht für notwendig befinden. Grundsätzlich müsse die Hilfe gewollt sein, auch und gerade von den einheimischen Kollegen. Ohne offizielle Genehmigung werde Interplast nicht aktiv.

Aus Borsches Sicht ist es auch das selbstverständliche Recht der Gastländer, Nachweise zur medizinischen Qualifikation der Helfer aus dem Westen zu fordern, beispielsweise in Indien durch den Medical Council in Delhi.

"Man kann seine Hilfe anbieten, aber das muss auf dem Prinzip Gast und Einladung beruhen." Arroganz gegenüber den armen Ländern sei nicht angebracht.

Dass Japan ärztliche Unterstützung aus dem Ausland abgelehnt habe, sei nicht verwunderlich, schließlich verfüge das Land selbst über Spitzenmedizin. Wünschenswert wäre es laut Borsche, wenn sich die Hilfsorganisationen mehr vernetzen würden.

An vielen Einsatzorten arbeiteten mehrere, die meist nichts voneinander wüssten. Darauf eingerichtete Organisationen könnten die Akutversorgung übernehmen und die Nachbehandlung dann Spezialisten wie etwa Interplast überlassen.

Nicht selten treffen Helfer auf Korruption

War es im Falle Japans eher der kulturellen Tradition und dem Selbstverständnis als Industrienation geschuldet, ärztliche Hilfe aus dem Ausland zunächst zu verweigern, werden medizinische Hilfsorganisationen nicht selten auch mit verdeckter oder offener Korruption in ihren Einsatzländern konfrontiert.

Laut "Ärzte für die Dritte Welt/German Doctors" kann es vorkommen, dass Beamte von einreisenden Helfern Eintrittsgeld verlangen. Doch es gebe auch andere Erfahrungen. Die Organisation baue seit 2010 in Sierra Leone eine Klinik auf, die weit und breit die einzige Gesundheitseinrichtung sei.

Die Regierung des afrikanischen Landes habe das Projekt sehr begrüßt. Grundsätzlich nähmen die German Doctors den einheimischen Kollegen keinen Umsatz weg, da sie Basismedizin für die Ärmsten anbiete.

Auch in Schwellenländern mit großer Wirtschaftskraft und hohen Wachstumsraten, zum Beispiel in Indien, gebe es nach wie vor permanente Notstandsgebiete.

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