Olympia 2020

Erhitztes, rauchfreies Tokio?

Die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio stehen unter einem schlechten Stern: Die Erfahrung mit der außergewöhnlichen Hitzewelle 2018 rückt die Gesundheitsgefährdung für Athleten wie Zuschauer in den Fokus. Die Megalopole soll zudem zum rauchfreien Gastgeber werden.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Das olympische Feuer von 1964 brennt 2013 im alten Stadion Tokios, nachdem Tokio den IOK-Zuschlag für die Sommerolympiade 2020 bekommen hat. Kyodo/ Reuters/dpa

Das olympische Feuer von 1964 brennt 2013 im alten Stadion Tokios, nachdem Tokio den IOK-Zuschlag für die Sommerolympiade 2020 bekommen hat. Kyodo/ Reuters/dpa

© KYODO / REUTERS / picture alliance

Ein Marathon um 5 Uhr 30 in der Früh ist nicht jedermanns Sache. Bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio 2020 werden die Athleten aber keine andere Wahl haben, sofern sie auf Medaillenjagd gehen wollen. Mit dem frühen Start sollen die Olympioniken keineswegs gegängelt werden – im Gegenteil: Es soll ihrer Gesundheit dienen.

In einem gemeinsamen, eindringlichen Appell haben die beiden Ärzteorganisationen Japan Medical Association und Tokyo Medical Association das einheimische olympische Organisationskomitee aufgefordert, den Gesundheitsschutz der Athleten durch entsprechende Startzeiten bestimmter Wettbewerbe im Auge zu behalten.

Die Warnung der Ärzte kommt nicht von ungefähr. Japan hat im vergangenen Sommer den nationalen Notstand ausgerufen, als eine beispiellose Hitzewelle 138 Todesopfer forderte und für die Hospitalisierung von mehr als 70.000 Menschen sorgte. Die Temperaturen knackten öfter die 40-Grad-Marke – bei einer Luftfeuchtigkeit von mehr als 80 Prozent.

Dr. Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOK) und selbst Arzt, legte sich bei seinem Besuch in Tokio im Dezember ebenfalls nochmals ins Zeug und unterstützte die Forderung nach dem frühen Marathonstart. Andere Veranstaltungen sollen hingegen zeitlich nach hinten verschoben werden, um die Athleten nicht in der brütenden Hitze antreten und die Zuschauer in der Sonne schmoren zu lassen.

Spiele mitten in der Taifun-Saison

Bach, der Tokio attestierte, 18 Monate vor Spielbeginn so weit fortgeschritten mit den Vorbereitungen zu sein wie noch kein anderer Ausrichter in der olympischen Geschichte, gibt sich zuversichtlich, dass die Organisatoren die Situation im Griff haben werden. Die überlegen derweil, kühlende Straßenbeläge zu verwenden oder auf mobile Wassersprinkleranlagen zu setzen.

Außer der Hitze müssen sie aber auch noch andere drohende Wetterextreme im Blick haben – Juli und August gehören zur jährlichen Taifun-Saison mit Starkregen und stürmischen Winden, die mitunter kurzfristig das quirlige Treiben in Tokio sowie in anderen Landesteilen zum Erliegen bringen. Zudem ist die Gefahr von Erdbeben allgegenwärtig – gerade Tokio „wartet“ nach 1923 auf den nächsten großen Schlag. Tsunamis ergänzen die Drohkulisse.

Premier Abe hatte hoch gepokert

Rückblende: Japans Premierminister Shinzo Abe hatte hoch gepokert – und schließlich klar gewonnen. Knapp zweieinhalb Jahre nach der durch ein Mega-Erdbeben und Tsunami am 11. März 2011 hervorgerufenen Havarie des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi im Nordosten des Landes setzte sich Tokio in Buenos Aires beim IOK als Ausrichter der Olympischen Sommerspiele 2020 gegen Istanbul und Madrid durch – trotz des Umstandes, dass in den Wochen unmittelbar vor dem IOK-Votum durch Lecks an der Atomruine Fukushima Daiichi täglich Hunderte Tonnen verseuchten Wassers in den Pazifik geflossen waren.

Das IOK demonstrierte mit seiner Entscheidung zugunsten Tokios einen immensen Vertrauensvorschuss in die japanische Regierung, die potenzielle gesundheitliche Bedrohung der Athleten wie auch Besucher durch radioaktive Strahlung – Fukushima liegt nur rund 250 Kilometer Luftlinie von Tokio entfernt – zu bannen.

Zwar hat Japan bis dato erhebliche Fortschritte im Zuge des Krisenmanagements erzielt, die potenzielle Strahlenbedrohung bleibt aber auch während der Spiele gegenwärtig. Aus Solidarität mit der Region sollen, so der IOK-Wunsch, die Wettbewerbe im Softball und Baseball im Fukushima-Stadion abgehalten werden. Die Behörden werden die Situation im Blick haben, entsprechende Lehren aus der Katastrophe im Nordosten des Landes haben sie gezogen.

Wirtschaft soll profitieren

Zwar hat Tokio das Olympiabudget nochmals etwas geschrumpft. Die japanische Zentralregierung erhofft sich aber nach wie vor nicht zuletzt wichtige wirtschaftliche und touristische Impulse von den Tokioter Sommerspielen – wie dies auch bei den Olympischen Sommerspielen 1964 der Fall war, als das Schienennetz des Schnellzugsystems Shinkansen seinen Betrieb aufnahm.

Im Bereich der Mobilität erwartet auch Bundeskanzlerin Angela Merkel deutliche wirtschaftliche Signale von Olympia 2020. „Ich denke, Ihr werdet der Welt im nächsten Jahr bei den Olympischen Spielen auch zeigen, wie technisch fortgeschritten Ihr seid, was das autonome Fahren und die neuen Antriebstechnologien anbelangt“, sagte sie bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit ihrem Duz-Freund Abe anlässlich ihres Staatsbesuchs in Tokio Anfang Februar dieses Jahres.

Und Merkel weiter: „Natürlich sind wir sehr daran interessiert, mit Euch auf diesen Gebieten zusammenarbeiten, genauso wie auch im Bereich der Künstlichen Intelligenz und im ganzen Wirtschaftsbereich“, ergänzte sie.

Japans Regierung schätzt, dass Olympia 2020 Nippon einen wirtschaftlichen Effekt von umgerechnet rund 23 Milliarden Euro bringt, wie es im Umfeld der IOK-Entscheidung 2013 hieß. Auch die einheimische Wirtschaft – und hierunter vor allem die facettenreiche Gastronomie – könnte vom Zustrom der Besucher profitieren.

Wäre da nicht Yuriko Koike, seit 31. Juli 2016 erste weibliche Gouverneurin von Tokio. Die 66-Jährige, die im Westen auch gern mit dem Attribut der Eisernen Lady versehen wird, gilt als Frau der klaren Worte – und eiserner Faust. Sie ist unter anderem bei der Präfekturwahl angetreten, um Missstände und Engpässe in der Metropolregion Tokio in der Kinderbetreuung und Altenpflege zu lindern oder gar zu beseitigen.

Die Gesundheit der Tokioter Bevölkerung und der Besucher der japanischen Hauptstadt ist Koike ein zentrales Anliegen als Gouverneurin. So auch die Rauchabstinenz – und hier kommt die Gastronomie wieder ins Spiel. Nach den IOK-Statuten sind die Olympischen Spiele vom Ausrichter generell rauchfrei zu gestalten – zumindest in den Spielstätten. Premiere feierten die rauchfreien Spiele im Winter 1988 im kanadischen Calgary.

Paradigmenwechsel angestrebt

Nun wollte sich Japans Zentralregierung im internationalen Vergleich nicht rückständig geben und hat nach zähem Ringen im Parlament für das ehemalige Raucherparadies im Juli vergangenen Jahres speziell mit Blick auf die Sommerspiele ein Gesetz zum Nichtraucherschutz erlassen. Dies sieht zwar klare Rauchverbote vor – zum Beispiel in Krankenhäusern, öffentlichen Einrichtungen, Schulen oder auch Universitäten.

Aber es hat auch eine gewisse Harmoniekomponente mitbekommen, indem es auf die in Asien so wichtige Konsens- und Kompromissfindung abzielt. So ist das Qualmen demnach in geschlossenen Räumen auch in Firmen, Hotels, in der Bahn oder auf dem Schiff verboten – nicht aber in Raucherräumen, die speziell für diese Zielgruppe eingerichtet werden dürfen. In der Regel sind diese Räumlichkeiten auch gut frequentiert, halten sich die Japaner an die Vorgaben.

In der Gastronomie sieht es – ähnlich wie in Deutschland – anders aus. Generell soll hier ein Rauchverbot in geschlossenen Räumen gelten. Für zahlreiche Kneipen („Izakaya“ und „Snack Bars“) könnte ein striktes Rauchverbot einem Todesurteil gleichkommen, sofern es sich nicht um Filialen großer Ketten handelt.

Koike scheint das nur peripher zu interessieren, sie will den historischen Paradigmenwechsel herbeiführen und in Tokio 2020 erstmals Olympische Spiele komplett rauchfrei gestalten. Die politischen wie wirtschaftlichen Widerstände sind erwartungsgemäß hoch. Japan wäre nicht Japan, würde nicht dennoch ein Kompromiss gefunden.

So wird im Moment auch in der Politik eine Debatte geführt, ob der Konsum rauchfreier Alternativen – elektronische Zigaretten sind unter den gegenwärtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht zulassungsfähig, Tabakerhitzer hingegen schon – in geschlossenen Räumen erlaubt sein soll, in denen gegessen und getrunken wird – zum Beispiel in der Gastronomie.

Im Gegensatz zu Zigaretten verdampft der Tabak bei den Erhitzern, bis das Nikotin freigesetzt wird. Japan gilt als Mutterland der Tabakerhitzer, die inzwischen auf rund 20 Prozent Anteil am gesamten japanischen Tabakmarkt kommen.

Coffee-Shop mit Erhitzerbereich

Unabhängig von der politischen Debatte zeigt die Gastronomie derweil Eigeninitiative. So hat zum Beispiel der Coffee-Shop-Betreiber Doutur einen Testballon zu speziellen Gastbereichen in der Gastronomie gestartet, in denen Tabakerhitzer genutzt werden dürfen. In mehreren Filialen, darunter zwei in Tokio am Haneda Airport sowie im Stadtteil Ariake, wo verschiedene olympische Wettkämpfe stattfinden werden, sollen Zonen für die Gäste mit Erhitzern ausgewiesen.

Im Gegenteil zu den sonst beinahe hermetisch abgeriegelten Raucherräumen auf den einzelnen Fluren des Bürohochhauses Ariake Central Tower, ist die Erhitzerzone der Doutur-Filiale im Erdgeschoss offen gestaltet, wie sich beim Besuch der „Ärzte Zeitung“ an Ort und Stelle zeigt.

Auf den Tischen stehen Hinweisschilder, dass das Rauchen verboten, der Genuss von Tabakerhitzern aber erlaubt ist. Des Weiteren finden sich kleine Behälter zum Entsorgen der verbrauchten Tabakerhitzer-Sticks. Das Angebot wird von vielen Angestellten wahrgenommen. Ob das Modell für die Sommerolympiade Schule macht, wird sich zeigen müssen.

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