Down-Syndrom: "Syndrom-Kind" soll aufs Gymnasium

Körperlich behinderte Kinder am Gymnasium sind keine Seltenheit mehr. Aber was ist mit geistig Behinderten, die das Abitur nie schaffen könnten? Hier scheiden sich die Geister, wie ein Fall aus Baden-Württemberg zeigt.

Von Christine Cornelius Veröffentlicht:
Henri (Mitte), ein Kind mit Down-Syndrom, soll aufs Gymnasium wechseln, weil seine Mutter (rechts) es so will.

Henri (Mitte), ein Kind mit Down-Syndrom, soll aufs Gymnasium wechseln, weil seine Mutter (rechts) es so will.

© Uwe Anspach / dpa

WALLDORF. Vier Jahre lang hat Henri gemeinsam mit seinen Klassenkameraden gelernt und gespielt. Nach der Grundschule möchte der Elfjährige mit Down-Syndrom gern wie seine Freunde aus Walldorf in Baden-Württemberg aufs Gymnasium wechseln.

Er könnte dem Unterricht geistig nicht folgen und hätte daher ein anderes Lernziel als das Abitur - es wäre einer der ersten Fälle dieser Art auf einem Südwest-Gymnasium. Die Schule lehnt das bislang ab.

Henris Mutter Kirsten Ehrhardt ist völlig klar, dass ihr Sohn nie Abitur machen könnte. Darum gehe es aber auch gar nicht. "Er soll mit den Kindern zusammenbleiben, die er kennt", fordert sie. "Die Normalität, die wir jetzt vier Jahre lang aufgebaut haben, würde sonst verloren gehen."

Gymnasium sieht sich am Pranger

Das Gymnasium fühlt sich an den Pranger gestellt. Seit Jahrzehnten würden hier auch körperlich behinderte Kinder unterrichtet, sagt die Vorsitzende des Elternbeirats, Regina Roll. Allerdings seien diese - anders als Henri - in der Lage, dem Unterricht geistig zu folgen.

Die Lehrer könnten dem Jungen momentan nicht gerecht werden. "Sie haben keine sonderpädagogische Ausbildung." Am Gymnasium herrsche auch ein ganz anderes Tempo als an der Grundschule. Die Förderung, die Henri brauche, könne er dort nicht bekommen, sagt Roll.

Mutter Ehrhardt ist anderer Ansicht - schließlich stehe ihrem Sohn ein Sonderpädagoge zur Seite. Sie sieht ein grundsätzliches Problem: "In den weiterführenden Schulen ist das Thema Inklusion noch gar nicht angekommen."

Die Schulleitung des Gymnasiums in Walldorf bei Heidelberg will sich öffentlich nicht mehr zu dem Fall äußern. Inzwischen versucht die Landesregierung, in dem festgefahrenen Streit zu vermitteln.

Vor fünf Jahren trat die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft. Damit verpflichtete sich Deutschland, die Inklusion an den Schulen umzusetzen. Ziel ist es, Kinder mit Behinderung genauso zu fördern wie Lernschwache, Migranten und Hochbegabte. Da Bildung Ländersache ist, gelingt die Umsetzung je nach Bundesland unterschiedlich gut.

Frustrierte und ernüchterte Lehrer

An Henris Grundschule habe der gemeinsame Unterricht bislang gut funktioniert, sagt Schulleiter Werner Sauer. "Ich weiß nicht, ob Henri auf einer Sonderschule so viel gelernt hätte."

Er will keine Schulempfehlung für den Jungen abgeben, betont aber dennoch: "Mir wäre daran gelegen, dass es in irgendeiner Form weitergeht, auf einer Regelschule." Sonst fühle er sich veräppelt, sagt der Schulleiter. "Wir haben da so viel Zeit, Herzblut und Nerven reingesteckt."

Der Leiter des Karlsruher Max-Planck-Gymnasiums, Uwe Müller, versteht die Vorbehalte des Walldorfer Gymnasiums. An seiner Schule besucht ein Jugendlicher mit Down-Syndrom die sechste Klasse. "Ich bezweifle, dass es gut ist für den betroffenen Schüler."

Die Lehrer seien anfangs optimistisch gewesen, inzwischen aber ernüchtert und frustriert. In der Sonderschule würde der Schüler Dinge lernen, die er fürs Leben wirklich brauche, zum Beispiel kochen, den Busfahrplan lesen oder eine Fahrkarte kaufen, sagt Müller. "Bei uns lernt er Latein und Mathematik, der er nicht folgen kann." (dpa)

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