Gesundheit

Macht mit, bewegt Euch!

Bewegung tut gut, sagen nicht nur Gesundheitsexperten. 2,5 Stunden sanftes Training pro Woche reichen eigentlich aus. Doch nichts geht ohne Motivation.

Von Susanne Werner Veröffentlicht:
Vorbildlich unterwegs: Sie laufen gemeinsam und haben viel Spaß!

Vorbildlich unterwegs: Sie laufen gemeinsam und haben viel Spaß!

© Halfpoint / stock.adobe.com

Im Grunde wissen wir es längst. Wer sich bewegt, tut etwas für seine Gesundheit. Vermutlich gibt es kaum eine Gesundheitserkenntnis, die so unumstritten ist.

Körperliche Aktivität steigert die Lebensqualität, schützt vor einer Erkrankung und senkt obendrein das Risiko, dass gesundheitliche Leiden wiederkehren – dies gilt insbesondere für Bluthochdruck, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen, Herzkrankheiten und Krebs.

Dennoch reiht sich die Mehrheit der Deutschen munter ein in die Riege der Bewegungsmuffel. Nur etwa ein Drittel der Deutschen achtet nach Angaben des Robert-Koch-Institutes (RKI) darauf, sich ausreichend zu bewegen.

An diesem Befund dürften auch die "Nationalen Bewegungsempfehlungen" des Bundesministeriums für Gesundheit von 2017 nicht viel geändert haben. Erstmals aber ist aus wissenschaftlich Sicht klar, welche Dosis ausreicht.

Gesunde Erwachsene wie chronisch Kranke sollten sich demnach ähnlich viel bewegen: zweieinhalb Stunden pro Woche mit moderater Intensität oder eineinhalb Stunden pro Woche mit hoher Intensität.

In der Praxis bedeutet das: Entweder täglich 30 Minuten Nordic Walking oder eine andere sanfte Sportart wählen oder an einem Tag in der Woche eineinviertel Stunden schnell Laufen, flott Schwimmen oder zügig Radfahren. Zu Ergänzung empfiehlt sich ein Muskelaufbautraining zwei Mal pro Woche.

Ressourcen schlecht genutzt

Nur ein Fünftel der Deutschen schaffen es laut RKI, so umfassend aktiv zu sein. Und auch jene, denen es medizinisch angeraten ist, nutzen diese Gesundheitsressource nicht: 65 Prozent der Krebs- und Diabetespatienten, bis zu 79 Prozent der Brustkrebspatientinnen, 58 Prozent der Herzkreislauf-Kranken sowie 84 Prozent der Menschen mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) bewegen sich beispielsweise nicht ausreichend. Diese Zahlen hat das sportwissenschaftliche Department der Universität Erlangen-Nürnberg in einer aktuellen Übersicht zusammengetragen.

Wie also lässt sich die Freude an der Bewegung wieder lernen? Trotz der Hürden im Kopf und manchem Zwicken und Zwacken in den Gelenken? Eine, die es wissen muss, ist Verena Bentele. Die mehrfache Weltmeisterin, Paralympics Siegerin im Ski-Langlauf und Biathlon war bis Mai 2018 die Behinderten-Beauftragte der Bundesregierung und ist seit kurzem Präsidentin des Sozialverbandes VdK.

Beim Reha-Kolloquium in München in diesem Frühjahr hatte Bentele wertvolle Tipps gegeben, wie mehr Bewegung im Alltag gelingen kann: Die gewählte Sportart sollte Freude machen, das Training von Profis angeleitet werden.

"Das A und O aber sind persönliche Ziele", sagt Bentele, "nur wer sich etwas vornimmt, dem gelingt es auch körperlich aktiv zu werden und zu bleiben." Es sei nie zu spät damit anzufangen.

"Bewegung muss nicht immer Spaß machen", sagt hingegen Dr. Oliver Klassen. Er ist Leiter der Sporttherapie an DRV-Klinik Münsterland in Bad Rothenfelde und erlebt täglich bis zu 100 Patienten in seinen Sportgruppen.

Aus seiner Sicht reicht Spaß allein nicht aus, um dauerhaft körperlich aktiv zu bleiben. Beispielsweise gäbe es viele Menschen, die sich für das Gerätetraining nicht begeistern könnten. "Es ist sehr viel wichtiger, zu wissen und zu erfahren, dass mir die Bewegung hilft", sagt er.

Pro Jahr rund 36 Millionen Stunden Bewegungstherapie

Gut erinnert er sich noch an einen Mittvierziger, der mit immer wiederkehrenden lumbalen und neu hinzugekommenen thorakalen Beschwerden in die Reha-Klinik kam. Bereits vor sechs Jahren war der ehemalige Werkzeugmechaniker in der Klinik Münsterland wegen eines Bandscheibenvorfalls konservativ behandelt worden.

Eine aktivierende Therapie war nur eingeschränkt möglich. Nach der Reha hatte er dann eine Stelle gewechselt – mit weiteren Folgen für seine Gesundheit. Während er zuvor körperlich anstrengende arbeitete, saß er nun als Betriebsratsvorsitzender in seinem Büro fest und seine Beschwerden nahmen wieder zu.

In der Reha-Klinik angekommen, berichtete der 45-Jährige dann, wie stressig er seinen Job erlebt und wie sehr ihn als Betriebsratsvorsitzender auch die Verantwortung für andere Mitarbeiter belastet. "Diese Kombination aus Stress und mangelnden Training ist eine häufige Ursache für Rückenschmerzen", erklärt Klassen.

Rund 60 Prozent aller Leistungen der medizinischen Rehabilitation sind der Bewegungstherapie zu zuordnen. Laut Statistik der DRV summieren sich die Einheiten pro Jahr auf rund 36 Millionen Stunden Bewegungstherapie in allen Reha-Einrichtungen zusammen.

11,8 Stunden pro Woche aktiv

Unter Bewegungstherapie lassen sich sämtliche Verfahren fassen, in denen körperliche Aktivität als Therapie eingesetzt wird – vom Ausdauertraining, Training an Geräten, Rückenschulen bis hin zur Krankengymnastik.

Sie ist ärztlich indiziert und verordnet, wird vor allem von Physio- und Sporttherapeutinnen und -therapeuten geplant und dosiert und unter ärztlicher Kontrolle meist in Gruppen durchgeführt.

2014 war ein Rehabilitand, dem dies in der Reha-Klinik unabhängig von der individuellen Diagnose verordnet wurde, im Durchschnitt rund 11,8 Stunden pro Woche körperlich aktiv. In der Orthopädie liegt der Wert bei durchschnittlich 5,8 Stunden.

Der 45-jährige Rehabilitand in der DRV-Klinik Münsterland verbrachte nahezu 11,6 Stunden pro Woche mit Bewegung und Sport. Er erlebte, wie anstrengend, aber hilfreich das therapeutische Klettern ist, nahm am Aqua-Joggen im Klinik-Schwimmbad teil und arbeitete an seiner Körperhaltung beim Bogenschießen.

Abends nutzte er das freie Schwimmen, die Medizinische Trainingstherapie oder das Training am Ergometer. Hinzu kamen Vorträge zum Stressmanagement, zur Entspannung und Schmerzlinderung. "Für einen chronischen Rückenschmerzpatienten war das überdurchschnittlich viel", sagt Klassen.

Sein Patient aber sei überaus motiviert gewesen, habe seine Chance erkannt und viel über bewegungsbezogene Gesundheitskompetenz gelernt.

"Dass Bewegung so gesund ist, wussten wir nicht"

In der Reha müsse es gelingen, so Klassen, dass sich aus der Motivation und Freude auch Tatendrang entwickeln: "Ich muss nicht nur bereit sein, mich zu bewegen, sondern auch wissen, wie ich es praktisch umsetzen kann."

Das Vorhaben, körperlich aktiv zu werden, beginnt also im Kopf: "Hilfreich ist es, sich zunächst alle möglichen Barrieren aufzulisten und ehrlich zu prüfen, ob es nur Ausreden sind."

Danach gilt es, einen Plan B zu schmieden und mögliche Alternativen für den Fall zu sammeln, dass das Vorhaben nicht wie geplant umzusetzen ist. Und zugleich gilt es, sich ein persönliches Ziel zu setzen – beispielsweise drei Kilo in zwei Monaten abzuspecken.

"Viele unserer Patienten kommen in der Reha an, wissen bereits einiges und haben dennoch viele Aha-Erlebnisse. ‚Dass Bewegung so gesund ist, das wussten wir noch gar nicht‘, sagen sie dann", berichtet Kassen.

Trotz eines solchen intensiven Trainings in der Reha aber bleibt ein Dilemma: Wer danach in seinem Alltag nicht am Ball bleibt, wandelt sich wieder schnell zum Couch-Potato.

Dabei stehen sehr viele Profis bereit, um die Gesellschaft dauerhaft in Schwung zu halten. Doch in der Realität klappt das oft nicht.

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