Spaziergang im Gehirn

So tickt das Fußballer-Hirn

Ein Projekt im Frankfurter Senckenberg Naturmuseum soll erklären, was im Gehirn eines Fußballers passiert, wenn er eine Trillerpfeife hört oder den DFB-Pokal in Händen zu halten. Vorlage ist das Zerebrum von Eintracht Frankfurt-Legende "Charly" Körbel.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
"Charly" Körbel spielte über 600 Mal in der Bundesliga.

"Charly" Körbel spielte über 600 Mal in der Bundesliga.

© picture alliance / Arne Dedert/d

FRANKFURT. "Der sollte von der Innsbrucker Universität ausgestellt werden", spottete einst der legendäre Fußballtrainer Max Merkel über den österreichischen Nationaltorwart Friedl Koncilia. "Einen Menschen mit so wenig Hirn gibt's ja net."

Seines Gehirns wegen kommt nun ein ehemaliger deutscher Nationalspieler tatsächlich zu musealen Ehren. Im Zerebrum Karl-Heinz Körbels wird man sogar herumspazieren können! Als Attraktion der im umgebauten Frankfurter Senckenberg Naturmuseum geplanten Abteilung "Mensch" wird es eine originalgetreue, sechs Meter hohe, sechs Meter breite und acht Meter lange Replik von Körbels Hirn geben.

Damit ist der legendäre ehemalige Vorstopper von Eintracht Frankfurt, der es von 1972 bis 1991 auf sagenhafte 602 Einsätze in der Fußball-Bundesliga brachte, der wahrscheinlich einzige Fußballspieler auf der Welt, dessen Spielintelligenz ein Denkmal gesetzt wird.

Vermessung im Tomographen

Dazu hat sich "der Charly", wie Körbel genannt wird, im vergangenen Jahr zunächst einer Magnetresonanztomographie unterzogen, bei der sein Gehirn detailgetreu vermessen wurde. Ein wenig mulmig sei ihm dabei schon zumute gewesen, bekennt der heutige Leiter der Fußballschule von Eintracht Frankfurt. "Es hätte ja sein können, dass ich einen Tumor habe." Doch das Gehirn des 63-Jährigen erwies sich als gesund, weshalb vor wenigen Wochen im Brain Imaging Centre der Goethe-Universität Frankfurt eine Magnetenzephalographie erfolgen konnte, bei der Signale seines Hirns auf gewisse Reize rund um den Fußball aufgezeichnet wurden.

Staunend beobachtete der ehemalige Profi am Monitor die Aktivitäten seiner Synapsen. Nachher bedauerte er, dass die Messung nicht während des Pokalfinales seiner Eintracht gegen Bayern München stattgefunden hat, das Frankfurt für jedermann außer ihm überraschend gewann. "Aber das können wir ja im nächsten Jahr wiederholen."

Am 19. Mai hatte Körbel, in seiner aktiven Zeit selbst viermaliger Pokalsieger, die Ehre, vor Anpfiff des Finales den Pokal ins Berliner Olympiastadion tragen zu dürfen. Entgegen aller Prognosen sah Körbel die Eintracht damals "nicht als den eindeutigen Verlierer, als den uns viele in Deutschland sehen". Darauf war er sogar bereit, 50 Euro zu wetten.

Auch 1989, als die Eintracht am letzten Spieltag in Hannover bereits wie der sichere Absteiger aussah, habe er den Klassenerhalt antizipiert: "Ich war der Einzige, der noch unbedingt das Ausgleichstor wollte, das uns in die Relegation rettete. Und ich habe es erzielt."

"Ich glaube, ich habe da eine mentale Stärke", sinniert Körbel beim öffentlichen MEG. "Das muss also ein besonderes Gehirn sein." Und ein "ganz besonders schönes", ergänzt der Neurowissenschaftler Professor David Poeppel vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, das gemeinsam mit der Hertie-Stiftung das Gehirnmodellprojekt unterstützt.

Als es darum ging, wessen Zerebrum man künftig öffentlich beim Denken zuschauen kann, setzte sich Körbel wie schon früher auf dem Platz gegen starke Konkurrenten durch: In einer Online-Abstimmung sprintete er sogar an Albert Einstein vorbei.

Wann das begehbare Hirnmodell fertig sein wird, steht noch nicht fest, wohl aber, was die Besucher darin erleben können. Vor allem sollen Denk- und Reaktionsprozesse sichtbar gemacht werden: Was passiert im Gehirn eines Fußballers, wenn er einen Ball erblickt? Welche Regionen reagieren, wenn sein Fuß gegen das Leder tritt? Wo fängt es an zu blinken, wenn ein Kicker den Pfiff des Schiedsrichters hört?

Ein besonders emotionales Erlebnis Körbels wird für die Spaziergänger durch sein Hirn ebenfalls visualisiert: Wie es sich anfühlt, den DFB-Pokal in Händen zu halten!

Hirn und Technik nötig

Den 60 Millionen Euro teuren Ausbau des Museums in seiner Heimatstadt bezeichnet Körbel, der während seiner Karriere als Fußballer ausschließlich für die Eintracht auf dem Platz stand, als "eines der aufregendsten Projekte dieser Jahre". Und es erfülle ihn "mit Stolz, ein Teil davon zu sein".

Trainerlegende Ernst Happel machte sich während seiner Zeit als Fußballlehrer oft Gedanken übers Gehirn. "Wir brauchen Spieler von bestimmtem Format", erklärte der Österreicher einmal. "80 Prozent Hirn, 20 Prozent Technik. Heute sind es oft 20 Prozent Hirn ohne Technik."

Wie viele Reize das Gehirn eines Fußballers zeitgleich verarbeiten muss, davon können sich die Besucher im Hirnmodell Charly Körbels bald selbst überzeugen. Vielleicht ist so mancher Fan dann etwas milder gestimmt, wenn es bei seinem großen Idol mal nicht so läuft.

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