Ängste und Depressionen

Üble Begleiter im Profifußball

Extremer Leistungsdruck, Zwang zum Perfektionismus – da reagieren viele Profikicker mit psychischen Problemen. Die Angst vor dem Versagen geht um – auch bei der WM

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Vorbei: Andres Iniesta nach der spanischen WM-Niederlage gegen Russland. Er litt vor Jahren an einer schweren Depression.

Vorbei: Andres Iniesta nach der spanischen WM-Niederlage gegen Russland. Er litt vor Jahren an einer schweren Depression.

© Novoderezhkin / dpa

"Es war hart, aber der Schritt, zu einem Psychologen zu gehen, hat mir sehr geholfen, mit all dem fertig zu werden", erzählte der englische Fußballnationalspieler Danny Rose kurz vor seiner Abreise zur WM in Russland.

Nach einer schweren Verletzung mit langer Rekonvaleszenz, dem Suizid seines Onkels und rassistischen Anfeindungen gegen seine Mutter war Rose in eine Depression geschlittert, aus der er sich mit psychologischer Hilfe befreien konnte.

"Ich kann das einfach nicht mehr tun"

"Einen Tag nach dem WM-Finale war ich im Haus meiner Eltern", erzählt der spanische Nationalspieler Andrés Iniesta, "und ich sagte ihnen: ‚Ich kann nicht mehr, ich kann das einfach nicht mehr tun.‘" Der Tod eines Freundes hatte ihn aus der Bahn geworfen und selbst den WM-Titel 2010 wertlos erscheinen lassen.

Iniesta begab sich in ärztliche Behandlung und "hatte das Glück, dass mir Leute geholfen haben, mich aus dieser Situation zu befreien".

Dass sich Rose und Iniesta, absolute Leistungsträger ihrer Mannschaften, so kurz vor Beginn der WM zu ihrer ausgestandenen Depression bekannt haben, ist bemerkenswert.

In der Vergangenheit sprachen prominente Fußballer allenfalls nach Beendigung ihrer Karriere über ihre Erkrankung: der ehemalige deutsche Nationalspieler Sebastian Deisler beispielsweise 2007 oder sein Kollege Per Mertesacker im vergangenen Jahr, als er zugab, des permanenten Drucks wegen sogar über das Ausscheiden seines Teams bei der Heim-WM 2006 erleichtert gewesen zu sein.

Angst und Depression verbreitet

In einer jüngst in der Zeitschrift "Psychology of Sport and Exercise" veröffentlichten Studie zum Leistungsdruck im Profifußball wiesen 16,7 Prozent aller befragten Kicker Symptome einer Depression oder Angststörung auf, Nachwuchsspieler waren häufiger betroffen als gestandene Profis.

Autorin der Studie ist Professor Anne-Marie Elbe vom Institut für Sportpsychologie und Sportpädagogik der Universität Leipzig.

Bis 2017 forschte sie an der Universität Kopenhagen, wo sie 323 Profikicker aus Dänemark und Schweden interviewte und vor allem den Zusammenhang zwischen Perfektionismus und psychischen Erkrankungen aufzeigen konnte.

Elbes Erkenntnisse werden von einer Befragung der internationalen Spielergewerkschaft Fifpro unter Leitung von Dr. Vincent Gouttebarge gestützt: Danach litten 26 Prozent der aktiven und 39 Prozent der ehemaligen Profifußballer zeitweise unter Symptomen von Angst und Depression.

In Deutschland geriet das Thema 2009 durch den Suizid des Nationaltorhüters Robert Enke in den Fokus. Jahrelang hatte er seine Erkrankung verschwiegen.

"Robert wollte unter keinen Umständen, dass es rauskommt", erinnert sich seine Witwe Teresa Enke, Gründerin einer nach ihrem Mann benannten Stiftung. "Also haben wir Krankheiten vorgeschoben. Bis auf ganz enge Freunde wusste niemand von seiner Depression."

Viele Risikofaktoren

Dr. Tobias Freyer, Ärztlicher Direktor der Parkklinik Wiesbaden Schlangenbad und spezialisiert auf die Behandlung psychisch kranker Leistungssportler, schätzt, dass die Prävalenzraten im Profisport in etwa denen der Allgemeinbevölkerung entsprechen. "Das hieße, dass mindestens fünf Prozent der Bundesligaspieler die Diagnosekriterien einer Depression erfüllen."

Die häufig frühe Trennung von der Familie schon im Jugendalter, der Konkurrenzdruck, längere Verletzungspausen, Phasen der Erfolglosigkeit, Versagensängste, öffentliche Kritik und Häme oder das Loch unmittelbar nach Ende der Karriere sind Risikofaktoren für die Entwicklung einer depressiven Episode.

Wenige Profis lassen sich behandeln, schon gar nicht stationär. Aus Angst vor Stigmatisierung oder Nichtberücksichtigung in ihren Vereinen verschweigen viele ihre Erkrankung oder bitten ihren Arzt um eine "Cover-Diagnose".

Eine Depression, Sinnbild für Schwäche, passt nur schlecht in den auf Höchstleistung gedrillten und männerdominierten Fußball. Die Diagnose trifft im Übrigen nicht nur Profis, sondern auch Trainer wie den ehemaligen Schalke-Coach Ralf Rangnick, der aufgrund eines Burnouts 2011 eine Auszeit nahm.

Nur wenige nutzen offenbar die Hilfe von Psychologen

Die Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VDV) ermittelte in einer Befragung ihrer Mitglieder, dass lediglich 15 Prozent von ihnen in ihren Vereinen von einem Psychologen betreut werden, 25 Prozent zumindest externe Ansprechpartner haben, jedoch 60 Prozent ohne sportpsychologische Hilfe auskommen müssen.

Gemeinsam mit der Robert-Enke-Stiftung und der Deutschen Sporthochschule Köln hat die VDV die Initiative "Mental Gestärkt" ins Leben gerufen, die sich für präventive Maßnahmen zur Stärkung der psychischen Gesundheit stark macht.

Die Robert-Enke-Stiftung verspricht Betroffenen zudem die Vermittlung eines Therapieplatzes innerhalb einer Woche.

Zudem hat sie eine App entwickelt ("EnkeApp"), die auch vom DFB auf dessen Homepage beworben wird. Mithilfe einer integrierten Notruffunktion können sich Nutzer mit einem Facharzt der Beratungshotline der Robert-Enke-Stiftung verbinden lassen und Vertrauenspersonen kontaktieren.

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