Patient Sport

Ein Doping-System, in dem weltweit vertuscht und verschleiert wird

Nicht das auf Medaillen fixierte Innenministerium, sondern das Bundesgesundheitsministerium sollte sich in erster Linie mit der Spitzensportförderung befassen. Das fordert Professor Perikles Simon, Leiter der Abteilung Sportmedizin an der Universität Mainz.

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Betrug im Sport: Doping-Debatte geht weiter.

Betrug im Sport: Doping-Debatte geht weiter.

© fisher_photostudio/ Getty Ima

Hintergrund von Pete Smith

Kompromittierende Studien werden verschleppt, brisante Ergebnisse relativiert und die Expertisen ausgewiesener Fachleute öffentlich in Frage gestellt. Der Zustand des Patienten, so viel zumindest wird klar, ist weit ernster als befürchtet. Schon geben ihn die ersten Spezialisten auf: Ist eh nicht zu retten.

Der Patient heißt Sport und seine Erkrankung Doping. In der Leichtathletik, so ergab eine neue Studie, wird zehnmal (!) häufiger gedopt, als uns die offiziellen Dopingbefunde glauben machen. Mindestens 30 Prozent der Athleten bei der Leichtathletik-WM 2011 in Daegu, Südkorea, und 45 Prozent der Teilnehmer an den Pan-Arabischen Spielen 2011 in Doha, Katar, gaben bei einer Befragung der Universität Tübingen und der Harvard Medical School zu, in den vergangenen zwölf Monaten Dopingmittel konsumiert zu haben. Dagegen wurden bei entsprechenden Kontrollen während der Wettbewerbe nur 0,5 Prozent der Athleten in Daegu und 3,6 Prozent der in Doha gestarteten Sportler positiv getestet.

Scheinheilige Verbände

Eine dramatische Entwicklung, sicher, doch die eigentliche Tragödie ist die Scheinheiligkeit der Verbände. So haben die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), Auftraggeberin der Studie, und der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) den Autoren die Zustimmung zur Veröffentlichung der Befragung jahrelang verweigert. Manch ein Funktionär, so scheint es, hatte dafür gute Gründe: Gegen den damaligen IAAF-Präsidenten beispielsweise, den Senegalesen Lamine Diack, ermittelt die französische Justiz wegen des Verdachts der Geldwäsche und Bestechlichkeit. Während seiner Amtszeit soll Diack gegen Bezahlung Dopingfälle vertuscht haben. Schon 2011 erhielt er von der IOC-Exekutive einen Verweis, weil er 1993 umgerechnet rund 50 000 Euro vom Manager eines Marketingpartners angenommen hatte.

"Mehr als ärgerlich" nennt Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, die Verschleppung der Studie, "man könnte es auch einen Skandal nennen". Mit der zügigen Veröffentlichung hätte man, so glaubt Prokop, "viel früher wichtige Maßnahmen im Anti-Doping-Kampf ergreifen können". Welche Maßnahmen das sein sollten, sagt er nicht. In den vergangenen Jahren habe sich in punkto Dopingbekämpfung einiges getan, erklärt der DLV-Präsident und verweist auf die Aufdeckung des flächendeckenden Dopings in der russischen Leichtathletik. Dieser Skandal ist aber nicht durch Kontrollsysteme des Sports ans Licht gekommen, sondern durch investigativen Journalismus.

In einem System, in dem methodisch vertuscht und verschleiert wird, sind jene, die für den sauberen Sport in den Ring steigen, kaum mehr als Schattenboxer. Kein Wunder, wenn sie das Handtuch werfen. Professor Perikles Simon, Leiter der Abteilung Sportmedizin an der Universität Mainz, ist so einer. "Wenn der Wille im Sport fehlt, eine gewisse Unabhängigkeit zu schaffen, und man beim Thema Doping den ethischen Maßstäben nicht gerecht werden kann, dann muss man als Wissenschaftler Konsequenzen ziehen", sagte der 44-Jährige in einem Interview mit der "Allgemeinen Zeitung" aus Mainz, in dem er seinen Rückzug aus der Anti-Doping-Forschung ankündigte.

Vom System zum Doping genötigt

Perikles fordert schon seit Jahren strukturelle Anpassungen im Sport. Die Athleten nimmt er dabei ausdrücklich in Schutz, denn die würden vom System zum Doping genötigt. Nicht das auf Medaillen fixierte Bundesinnenministerium sollte sich in erster Linie mit der Spitzensportförderung befassen, sondern das Bundesgesundheitsministerium, schließlich habe man den Sportlern gegenüber eine Fürsorgepflicht. Die Dunkelziffer in punkto Doping hält er sogar noch für höher als von der Studie, an der er mitgewirkt hat, belegt. Perikles zufolge dopt jeder zweite Athlet.

Resignation sei falsch, meint Marius Breucker, Richter am Deutschen Sportschiedsgericht, und schlägt stattdessen eine Art Beweislastumkehr vor. Danach sollte jeder Athlet vor Wettkämpfen ein von der Wada ausgestelltes "Negativ-Attest" vorweisen müssen, in dem beispielsweise seine Blutwerte dokumentiert sind. Parallel dazu müssten die Sportverbände verpflichtet werden, "das Qualitätsmanagement eines solchen Systems sicherzustellen". Wer wiederum die Verbände kontrollieren soll, lässt Breucker allerdings offen.

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