Vor 40 Jahren versetzte ein Virus Marburg in Aufruhr

MARBURG (coo). Bis heute gibt es weder Medikamente noch Impfstoffe gegen die mysteriöse Krankheit, die vor 40 Jahren die beschauliche Universitätsstadt Marburg in einen Ausnahmezustand versetzte. Im November 1967 wurde zwar das Marburg-Virus als Auslöser identifiziert. Erst jetzt wurde aber das mutmaßliche Wirtstier entdeckt.

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Die Geschichte des Virus begann im Spätsommer 1967. 24 Marburger erkrankten an schweren inneren Blutungen erkrankten, fünf Menschen starben innerhalb weniger Tage an hämorrhagischem Fieber. "In der Stadt kam Panik auf", erinnert sich der emeritierte Marburger Virologieprofessor Werner Slenczka. "Um die Häuser der Erkrankten wurden weite Bögen geschlagen, denn es wurde der Ausbruch einer Epidemie befürchtet."

Slenczka war erst 32 Jahre alt, als die Schlagzeilen von der "Marburger Affenseuche" die Runde machten. Zunächst erkrankten nämlich nur Beschäftigte der Marburger Behringwerke. Diese hatten alle Kontakt mit Blut oder Organen von Grünen Meerkatzen gehabt. Das galt auch für die vier weiteren Infizierten im Paul-Ehrlich-Institut, von denen zwei starben. Das Marburger Pharmaunternehmen nutzte die Affen damals zur Herstellung einer Polio-Vakzine. Es habe sogar das Gerücht gegeben, die Behringwerke experimentierten mit B-Waffen - angeblich gezielt vom KGB gestreut, erzählt Slenczka: "Das war natürlich Unsinn."

Das Institut für Hygiene, an dem der junge Assistent arbeitete, wurde zum Mittelpunkt der Forschungen rund um das Virus. Der Mediziner machte sich gemeinsam mit vier Kollegen auf die Jagd nach dem Phantom. Sämtliche bis dahin bekannten Viren wurden ausgeschlossen. Experimentiert wurde damals unter Bedingungen, die angesichts der heutigen Hochsicherheitslabore unvorstellbar sind: "Ich arbeitete ohne Handschuhe und Mundschutz einfach auf dem Tisch. Wir haben Glück gehabt, dass nichts passiert ist", erzählt der 72-Jährige.

In der Rekordzeit von drei Monaten isolierte das Team den unbekannten Virus, der nach dem Ort seines ersten Auftretens "Marburg-Virus" benannt wurde. Am 28. November 1967 stellten die Forscher die Ergebnisse vor. In Leber und Milz von Meerschweinchen, denen Patientenblut eingeimpft wurde, wiesen die Mediziner die Spur des gefährlichen Erregers nach. Vom Hamburger Tropeninstitut angefertigte Aufnahmen im Elektronenmikroskop zeigten ein relativ großes Virus, das sich durch seine stäbchenförmige Erscheinung auszeichnet.

Bisher gibt es keine kausale Therapie gegen das Virus

Bis heute gibt es keine Therapie, die über die Behandlung der Symptome hinausgeht. Impfstoffe sind noch in der Entwicklungsphase. Daher führt die Krankheit in bis zu 90 Prozent der Fälle zum Tod. Die schlimmsten Epidemien wurden in den letzten zehn Jahren registriert: Im Kongo starben Ende der 90er Jahre 123 Menschen. In Angola gab es von Oktober 2004 bis Mai 2005 388 Infizierte und 324 Tote. Im August dieses Jahres flammte die Krankheit in Uganda auf.

Das mutmaßliche Wirtstier ist nun von einer internationalen Forschergruppe um Eric Leroy vom Centre International de Recherches Medicales de Franceville im afrikanischen Gabun entdeckt worden: Der Nilflughund. Das für Flughunde offenbar ungefährliche Virus geht vermutlich über Affen als Zwischenwirte immer wieder auf Menschen über.

In Marburg selbst erinnert noch die Fassade des neugebauten roten Instituts für Virologie auf den Lahnbergen an die rätselhafte Krankheit. Sie zeigt die eigenwillige Form der Marburg-Viren. Dahinter steckt auch das kürzlich eröffnete erste deutsche BSL (biosafety level)-4-Hochsicherheitslabor. Mit Slenczkas Forschungsanfängen hat das fast luftdicht von der Außenwelt abgeschottete moderne Labor, in dem etwa an gefährlichen Ebola- und Lassaviren geforscht wird, nichts mehr gemein.

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