60 Minuten in der Klinik - Kanzlerin auf Stippvisite

BERGEN. Angela Merkel auf Stippvisite im Sana-Krankenhaus Bergen auf Rügen: Die Bundeskanzlerin tauschte nicht nur Nettigkeiten aus, sondern machte auch deutlich, dass von den Beiträgen der Versicherten nicht alles bezahlbar ist.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:

Die wenigen Patienten in der Raucherinsel vor dem Klinikeingang schauen den dunklen Limousinen aus Berlin nur kurz hinterher. Sie erkennen, dass zwischen vielen dunklen Anzügen eine Frau im roten Blazer aussteigt. Dann wenden sie sich wieder ihren Zigaretten zu. Deutlich aufmerksamer sind die Klinikverantwortlichen, die sich vor dem Eingang aufgereiht haben. Von Klinikchef Dietrich Goertz bis hinauf zu Sana-Vorstand Reinhard Schwarz stehen sie bereit, um die Kanzlerin zu begrüßen. Oder, wie sie auf Rügen mit einem Anflug von Vertrautheit sagen, "unsere Bundestagsabgeordnete".

Die kommt nicht zum ersten Mal zum wichtigsten Arbeitgeber der Insel, aber der Besuch der Bundeskanzlerin bleibt etwas Besonderes. Dafür nimmt man in Kauf, dass aufmerksame Hünen mit breiten Schultern, kurz geschorenen Haaren und Kabeln im Ohr Besucher, Patienten und Angestellte mit prüfenden Blicken verfolgen. Und dass viele Mitarbeiter ausnahmsweise im Foyer, statt im Krankenzimmer stehen. Sie sind erkennbar stolz, dass die Kanzlerin nach drei Jahren erneut ihre Klinik besucht. Merkel begrüßt jeden Offiziellen mit Handschlag, weicht für einen Small-talk mit einem Patienten kurz vom vorgesehenen Weg zum Rednerpult ab. Bei den Zuhörern angekommen, wird sie mit Applaus empfangen. Ein Mädchen überreicht Blumen, die Betriebsratsvorsitzende bedankt sich bei Merkel für den Besuch.

Dann Verschnaufpause für die Kanzlerin, als der Klinikchef die Leistungen seines Hauses präsentiert. Goertz berichtet von sektorenübergreifend geschaffenen Angeboten und vom Wachstum des Gesundheitstourismus auf der Insel. Er nutzt die Chance, Merkel die Probleme der Kliniken wie gedeckelte Budgets und Kontrollen durch den MDK zu beschreiben. Die vom Klinikchef vorgetragenen Wünsche nach mehr Geld und weniger Kontrolle im System kontert Merkel anschließend freundlich, aber bestimmt, indem sie auf die Limitierung durch die Beitragssätze hinweist. "Man kann nicht beides haben: Niedrige Beitragssätze und eine gute Ausstattung. Das vergessen die Partner in der Selbstverwaltung manchmal." Die Zahl von 2100 MDK-Ärzten in Deutschland kommentiert sie nicht, sondern stellt klar: "Eine gewisse Kontrolle muss sein." Statt Zusagen zu machen, fordert sie vom Sana-Konzern Unterstützung für mehr Transparenz im Gesundheitswesen: "Warum hat nie einer danach gefragt, wie die bundesweiten Kassen ihre Mitgliedsbeiträge auf die Bundesländer aufteilen?" Viele sind erstaunt, wie gut sich Merkel im Gesundheitswesen auskennt. Detailgenau berichtet sie, wie groß die Verlockung für Ärzte im Osten ist, den attraktiven Angeboten von Klinikträgern im Süden zu folgen. Sie verweist darauf, dass den niedergelassenen Ärzten eine Honoraranhebung ins Haus steht: "2,5 Milliarden Euro sind im Gespräch." Und dass die Verteilung dieser Mittel zwischen den Arztgruppen wohl nicht ohne Konflikte gelingen wird.

Merkel zollt der Klinik Anerkennung für ihre Leistungen, weiß aber, wen sie als Politikerin ansprechen muss: "Besondere Achtung" habe sie vor der Arbeit der Beschäftigten, sagt die Kanzlerin. Bevor es zum Mittagessen mit geladenen Gästen geht, bringt Merkel ihre Sicherheitsbeamten noch einmal ins Schwitzen, als sie Fotowünschen nachkommt und sich zu einem Patienten stellt. Dennoch hält sie den vorgesehenen Zeitrahmen von rund einer Stunde für den öffentlichen Auftritt fast auf die Minute ein. Dann verschwindet die Kanzlerin so unauffällig, wie sie gekommen war. Die Mitarbeiter verteilen sich wieder auf die Krankenzimmer. Merkels Besuch haben sie genossen, wichtiger ist ihnen aber, dass die Patienten wieder gesund werden. Als kurz darauf neue Besucher die Klinik betreten, ist vom hohen Besuch nichts mehr zu spüren.

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