Bundesausschuss macht eine Nullnummer aus der Zweitmeinung bei Spezial-Arzneien

Der Gesetzgeber dürfte wenig amüsiert sein: Aus dem Zweitmeinungsverfahren hat der Bundesausschuss eine Nullnummer gemacht.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Genehmigung nötig: Das gilt aber nur für eine sehr seltene Krankheit.

Genehmigung nötig: Das gilt aber nur für eine sehr seltene Krankheit.

© Foto: imago

BERLIN. "Das ist gespenstisch und diabolisch. Das ist typisch für unsere Diskussion!" Dr. Leonhard Hansen, Chef der KV Nordrhein und im Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) für Arzneimittelfragen zuständig, echauffierte sich über die Ausführungen des Medizinrechtlers Professor Christian Dierks zum Zweitmeinungsverfahren, das der Gemeinsame Bundesausschuss jetzt in einer Richtlinie geregelt hat. GlaxoSmithKline hatte am Vorabend der GBA-Entscheidung zum Dialog nach Berlin geladen - es wurde ein kontroverser Disput.

Der GBA, so Dierks, habe den Auftrag des Gesetzgebers überschritten. Der schreibe bei Verordnung sehr teurer oder sehr risikobehafteter Arzneimittel die Abstimmung mit einem zweiten Arzt vor. Der Bundesausschuss habe daraus ein Genehmigungsverfahren gemacht.

Wichtige Fragen blieben aber unbeantwortet: Nach welchen Kriterien wählt der Bundesausschuss Arzneimittel aus, die nur mit Zweitmeinung verordnet werden sollen? Ist es zulässig, auch Klinikärzte in die Verpflichtung einzubinden? Wie sieht es mit der Haftung des Zweitmeinungsarztes aus? Ist es zulässig, dem Zweitmeinungsarzt ohne Zustimmung des betroffenen Patienten personenbezogene Daten zu übermitteln?

Die spitzen Fragen des Juristen brachten den Funktionärsarzt Hansen in Rage: "Warum ist die Situation denn so? Weil wir es mit einer unkeuschen Preispolitik zu tun haben! Weil wir andauernden Widerstand gegen Arzneimittelrichtlinien, Therapiehinweise und Festbeträge haben! Der Grund für diesen Paragrafen ist Kostendämpfung, weil uns neue Arzneimittel die Haare vom Kopf fressen!"

Für Spezialisten wie Dr. Ekkehard Grünig von der Thoraxklinik Heidelberg bleibt die Entscheidung des Bundesausschusses, als erste Indikation die pulmonale Hypertonie für das Zweitmeinungsverfahren auszuwählen, höchst fragwürdig. Insgesamt gibt es nur 3000 bis 4000 Patienten, die von dieser schweren, fraglos teuren Krankheit betroffen sind. Diese Patienten werden durchweg von Spezialisten-Teams behandelt - Ärzte, die im Grenzgebiet zwischen Kardiologie und Pneumologie oft auch in der Forschung tätig sind. In den vergangenen zwölf Jahren, so Grünig, sind Patienten mit pulmonaler Hypertonie dank neuer Medikamente gut behandelbar geworden. Er habe nun Sorge, dass eine gewachsene und gut funktionierende Versorgung gestört werde.

"Eine bodenlose Unverschämtheit" sei das, so Hansen. "Wir sind doch keine Ignoranten oder Dilettanten. Ich will die optimale Behandlung für meine Patienten." Hansen glaubt, dass nun sogar mehr Patienten behandelt werden, weil Ärzte früher die Diagnose stellen.

Das sei in der Tat das Ziel, sekundierte GBA-Chef Dr. Rainer Hess: Bei der Zweitmeinung gehe es um Qualitätsverbesserung und darum, den Patienten den Zugang zu neuen und teuren Therapien zu erleichtern. Hess gesteht allerdings zu, dass der Bundesausschuss aus der Abstimmung zwischen zwei Ärzten ein Genehmigungsverfahren gemacht hat.

Ein bisschen Bürokratie müssten die Ärzte schon ertragen können. Denn bei Genehmigung der Therapie durch den Zweitmeinungsarzt entgehe der verordnende Arzt dem Regressrisiko. Aber nur dann, wenn er sich der Zweitmeinung anschließt - und sich seine Verordnungen immer wieder erneut bestätigen lässt.

Allerdings: Bei derart hochspezialisierten Indikationen und Therapien liegt das Regressrisiko nahe bei Null. Allenfalls ganz wenige Regressanträge seien ihm bekannt, sagt der Medizinrechtler Dierks, der häufig Ärzte in solchen Verfahren betreut.

In Wirklichkeit drängt sich ein ganz anderer Verdacht auf: Um einen Gesetzesauftrag formal zu erfüllen, hat sich der Bundesausschuss ein Problem vorgenommen, das keines ist. Eine Orphan-Indikation, eine Spezialtherapie, in der Ärzteteams sowieso schon die Zweitmeinung praktizieren. Eine Therapie, für die geeignete Zweitmeinungsärzte schon rein zahlenmäßig schwer zu finden sein werden. Also eine Lösung, die ins Leere läuft.

Ganz zum Schluss der Veranstaltung erklärt KV-Chef Leonhard Hansen auch, warum: "Wir haben lange Indikationen und Arzneimittel gesucht und kaum etwas gefunden, was nicht schon durch Arzneimittelrichtlinien, Therapiehinweise oder Festbeträge geregelt wäre."

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