Szenario A - das primärärztliche Versorgungszentrum (PVZ)

Hohe Verantwortung und viel Macht bei den Ärzten

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Große Gruppen von Hausärzten managen die Versorgung ihrer Patienten. Sie entscheiden über den Zugang zu Spezialisten und zur Klinik. Sie verhandeln Konditionen mit Arzneiherstellern. Und sie beeinflussen den Leistungskatalog. Bei so viel Macht und hoher Kompetenz tragen sie auch Budgetverantwortung.

Von Helmut Laschet

Hausarzt 2020. Das ist kein Schmalspur-Mediziner, kein Barfuß-Arzt -das sind vielmehr medizinisch und organisatorisch hochkompetente Kollegen, die sich in Primärversorgungszentren (PVZ) zusammengeschlossen haben. Ohne die Gesundheitsökonomie im Rücken funktioniert hier fast nichts mehr. Denn die Primärversorgungszentren haben Budgetverantwortung übernommmen. Das heißt: Sie erhalten von den Krankenkassen morbiditätsorientierte Pauschalen für die im PVZ eingeschriebenen Versicherten, und diese Pauschalen decken auch die Kosten für Arzneimittel, fachärztliche Versorgung und Krankenhausbehandlung ab. Eingeschriebene Patienten suchen stets den Hausarzt im PVZ als erstes auf - er steuert seine Patienten durch das komplexe Medizinsystem.

Entstanden sind die PVZ ab dem Jahr 2008 aus den Verträgen zur hausarztzentrierten Versorgung und aus leistungsfähigen Medizinischen Versorgungszentren, die in großer Zahl Integrationsverträge abgeschlossen haben. Sukzessive haben diese Ärztegruppen, unterstützt von einem professionellen Management, im Rahmen von Selektivverträgen den ursprünglich bei der KV monopolisierten Sicherstellungsauftrag übernommen. Zumindest in den Ballungsgebieten und größeren Städten stehen verschiedene PVZ im Wettbewerb, so dass Patienten auch Wahlmöglichkeiten haben. Damit dies fair vonstatten geht, hat der Gesetzgeber die Lücken im Wettbewerbsrecht geschlossen.

Die einstmals ausschließlich niedergelassenen Fachärzte haben die Kooperation mit den Krankenhäusern gesucht und sind sowohl bei Kliniken als auch bei den PVZ Vertragspartner. Der hohe Technisierungsgrad hat Kliniken und ambulante Spezialisten gezwungen, eine möglichst hohe Auslastung der technischen Ressourcen anzustreben.

Das Versicherungssystem entspricht in den Grundzügen dem 2009 eingeführten Gesundheitsfonds: GKV-Mitglieder bezahlen einkommensabhängig einen Einheitsbeitragssatz; hinzu kommt eine Gesundheitsprämie, die inzwischen spürbar gestiegen ist. Wer sich in einem PVZ einschreibt, zahlt eine reduzierte Prämie.

Über den Leistungskatalog und Innovationen bestimmt zwar immer noch der Bundesausschuss (auf Basis von IQWiG-Empfehlungen), was im Einzelfall zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Die Bedeutung solch zentraler Entscheidungen ist aber relativ. In der Arzneimittelversorgung nutzen die PVZ die Option individueller Arzneimittel-Positivlisten, auch aufgrund eigener, dezentraler Evaluationen. Professionalität bei der Bestimmung des PVZ-individuellen Arzneimittelsortiments und Direkt-Verträge mit den Herstellern machen Individualregresse gegen Ärzte überflüssig. Auch das Spektrum ärztlicher Leistungen und Methoden legen die PVZ in eigener Verantwortung fest - sie sind nicht mehr von der Erlaubnis des Bundesausschusses und einer EBM-Ziffer abhängig. Auf diese Weise können PVZ auf spezielle Patientenbedürfnisse und -präferenzen reagieren. In der Entscheidung über den Einsatz von Innovationen sind sie den Kliniken gleichgestellt.

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Lesen Sie am 18. November: Szenario B - Basisversorgung plus individuelle Ergänzung. Internet-Forum zur Delphi-Studie: www.aerztezeitung.de

Szenario A - die Charakteristika

Die Versicherten können wählen: zwischen konventioneller Versorgung durch niedergelassene Ärzte mit freier Arztwahl oder Bindung an ein Primärärztliches Versorgungszentrum (PVZ). Das PVZ steuert die Zuweisung zu Fachärzten und zum Krankenhaus. Das PVZ übernimmt Budgetverantwortung und arbeitet mit geringeren Kosten.

Drei alternative Zukunftsszenarien

Das Pharmaunternehmen Janssen-Cilag liefert seit 1994 mit der Delphi-Studienreihe Impulse für die Diskussion um die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens. Im Fokus der fünften Delphi-Studie steht die Frage, wie das Gesundheitswesen im Jahr 2020 aussehen soll.

Im ersten Schritt wurden unter Mitwirkung eines Expertenbeirats zunächst drei alternative Zukunftsszenarien für ein Gesundheitssystem 2020 entwickelt. Zum Auftakt gab es einen Ideenwettbewerb unter Nachwuchswissenschaftlern, dessen Ergebnisse in die Gestaltung mit eingeflossen sind. In der zweiten Phase wurden die Zukunftsszenarien in mehreren Workshops gründlich analysiert und aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven begutachtet. Beteiligt waren rund 60 Fachleute aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens und Patientenorganisationen. Danach wurden Bürger zu zentralen Handlungsoptionen der Szenarien befragt. Wissenschaftlich konzipiert und betreut wurde die Studie von Professor Jürgen Wasem (Uni Duisburg-Essen), und Hans-Dieter Nolting (IGES Institut Berlin). Die "Ärzte Zeitung" stellt alle drei Szenarien in einer Serie vor. Szenario B: 18. November, Szenario C: 20. November.

Lesen Sie dazu auch: Furcht vor "Ökonomisierung" Eine Chance für Prävention und Effizienz Rationierung kann verzögert werden Das PVZ-Modell wäre für vier von zehn Bürgern eine Alternative Wettbewerb mit Qualität und Effizienz "Szenario A - ein gangbarer Weg"

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