Kranke Scheichs auf Tempelhof - "alles Phantasie"

Berlin ist ein Potemkinsches Dorf. Zu besichtigen am Leipziger Platz, wo ein Drittel der Bauten aus Pappmaschee bestehen. Versucht hat es auch die Charité, deren Bettenbau monatelang mit Werbung verhüllt war. Bis das Bezirksamt Mitte die zusätzliche Einnahmequelle des größten europäischen Uniklinikums verstopfte und die Werbehüllen verbot.

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Bauarbeiten nur vorgetäuscht - die Charité musste die Werbung abmontieren.

Bauarbeiten nur vorgetäuscht - die Charité musste die Werbung abmontieren.

© Foto: dpa

Juristisch korrekt, wie der Eigentümer des Klinikums, der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin mit leichter Bitterkeit feststellt. Denn erlaubt sind die Werbehüllen nur dann, wenn dahinter Bauarbeiten stattfinden. "Hätte das Bezirksamt nur einen einzigen Bauarbeiter gefunden, dann hätte die Charité weiter kassieren können - aber dazu war das Management nicht in der Lage.

"Die Berliner konsumieren die ganze Medizin selbst"

Als Sanierer der höchstverschuldeten Stadt Deutschlands ist Thilo Sarrazin ein Mann ohne Illusionen und hält es mit Helmut Schmidt, der Politiker mit Visionen den Arztbesuch empfiehlt. Das gilt auch für Sarrazins Erwartungen an die Gesundheitswirtschaft der Hauptstadt: "Wachstumsimpulse wären nur dann zu erwarten, wenn täglich drei oder vier Jumbos mit kranken Scheichs eingeflogen würden. Tatsächlich gibt es keinen Export von Gesundheitsleistungen. Die Berliner konsumieren alles selbst."

Nicht so tolle Aussichten für einen Finanzsenator, der in seinem Portefeuille zwei beachtliche Klinik-Konglomerate monitoren muss und für deren Verluste er gerade steht.

Bei Vivantes, dem einen kommunalen Klinikkonzern, ist der Turnaround zumindest im Ansatz gelungen. Das Management wurde zentralisiert. Etliche Funktionen wurde outgesourct, die Sachkosten sanken zwischen 2000 und 2007 um 13 Prozent, die Personalkosten wurden gemindert. Seit 2004 schreibt der Konzern schwarze Zahlen, im laufenden Jahr schafft Vivantes bei noch geltenden gesetzlichen Sparrunden mit Mühe den Ausgleich, so Sarrazin. Der Preis: Die bis dahin aufgelaufenen Schulden hat das Land übernommen, die Kliniken wurden von den Altlasten befreit.

Viel schwieriger läuft der Restrukturierungsprozess bei der Charité. Die alte und berühmte Institution ist immer noch tiefrot, der Widerstand der "akademischen Girlanden" ist beachtlich. "Gewaltiger Hass" zwischen den Führungen der einst drei selbständigen Unikliniken Berlins hat Sarrazin registriert. Dringend notwendig seien externe Berater gewesen, weil Management-Strukturen nicht vorhanden waren. In der Summe gehe es zwar in die richtige Richtung, aber um den Preis maximaler Anstrengungen und bei hohem Verschleiß von Führungspersonal.

Immer noch leiden Charité und Vivantes an überhöhten Personalkosten - "Berlin-typisch". Das gilt vor allem für die Verwaltung als Folge sozialistischer Kommandowirtschaft und westlicher Subventionsökonomie. Die Ärzte nimmt Sarrazin dabei ausdrücklich aus: "Ein pfiffiger Mediziner geht gern auch woanders hin, nicht aber ein Verwaltungsmensch, der gar nicht mehr marktfähig ist."

Kommunale Kliniken - zu alt und viel zu groß

Den Managern der Klinikkonzerne hält Sarrazin gern die Helios-Gruppe als Vergleich vor die Nase: die bezahle ihre Ärzte besser, leiste sich mehr Investitionen und erziele pro Patient einen 15 Prozent höheren Return. Der Grund ist auch, das Vivantes die Privatpatienten fehlen. Es gibt aber noch einen anderen: Beide Klinikkomplexe, vor allem die Charité, arbeiten in alten und überdimensionierten Bauten. Die Charité hat relativ 150 Prozent mehr Fläche zu bewirtschaften als das gerade neu errichtete Zentrum der Maximalversorgung von Helios in Berlin-Buch. Das Ziel ist deshalb, 400 000 Quadratmeter Fläche bei der Charité wegzusparen - das entspricht 30 Millionen Euro bei einer Milliarde Euro Umsatz.

Einen Idealplan haben die Geschäftsführungen entwickelt: 400 bis 500 Millionen Euro Neu-Investitionen. Utopisch für die Hauptstadt, sagt Sarrazin. Und fügt an: "Man könnte ja alles neu bauen auf dem Tempelhofer Feld (Europas größter Industriebrache, Red.) - aber das ist Phantasie." (HL)

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