Ist es Rosa Luxemburg? DNA-Material gesucht!

Der Rechtsmediziner Professor Michael Tsokos sucht Beweise: Er glaubt, dass die Leiche der ermordeten Revolutionärin Rosa Luxemburg im forensischen Institut der Berliner Charité lagert. Darüber sprach Tsokos mit Angela Mißlbeck von der "Ärzte Zeitung".

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Die Kommunistin Rosa Luxemburg wurde zusammen mit dem Arbeiterführer Karl Liebknecht nach der Niederschlagung des Spartakusaufstands am 15. Januar 1919 in Berlin verhaftet und ermordet.

Die Kommunistin Rosa Luxemburg wurde zusammen mit dem Arbeiterführer Karl Liebknecht nach der Niederschlagung des Spartakusaufstands am 15. Januar 1919 in Berlin verhaftet und ermordet.

© Foto: dpa

Ärzte Zeitung: Herr Professor Tsokos, mit ihrer Entdeckung haben Sie für Aufsehen gesorgt. Die Leiche lag jedoch schon bei Ihrem Amtsantritt 2007 im Keller des Instituts für Rechtsmedizin der Charité - wissen Sie, wie sie dort hingekommen ist und wie lange sie dort schon lag?

Tsokos: Die Sammlung existiert seit über hundert Jahren. Bis vor 50 Jahren war es durchaus üblich Exponate zurückzuhalten. Mir ist die Leiche bereits 2007 aufgefallen. Sie lag ohne Nummer, völlig unbezeichnet in den Kellerräumen.

Ärzte Zeitung: Haben Sie eine Idee, warum sich keiner ihrer Vorgänger die Leiche genauer angesehen hat?

Tsokos: Dass sich keiner die Leiche genauer angesehen hat, glaube ich nicht. Aber es ist erst 2007 gelungen, ein verwertbares DNA-Profil zu erstellen. Vorher standen die notwendigen Methoden noch nicht zur Verfügung.

Ärzte Zeitung: Auch Sie haben zwei Jahre gebraucht, bis Sie ihre Vermutung öffentlich geäußert haben. Wieso kam diese Entdeckung erst jetzt an die Öffentlichkeit?

Tsokos: Nach der Entdeckung waren zunächst einige Untersuchungen nötig. Wir haben die Bestimmung des Alters der Leiche mit der C14-Radiocarbon-Methode vornehmen lassen und dabei festgestellt, dass die Leiche aus der Epoche von Rosa Luxemburg kommt.

Aus den Büchern des Instituts ergab sich, dass Rosa Luxemburgs Leiche 1919 hier war. Dort stand aber auch, dass sie obduziert worden war. Das traf auf unsere Leiche nicht zu. Sie weist keinerlei Obduktionsspuren auf. Ein genauerer Blick in das Obduktionsprotokoll von 1919 zeigte jede Menge Widersprüche. Das ließ darauf schließen, dass die hochgeschätzten Kollegen Fritz Strassmann und Paul Fraenckel Rosa Luxemburgs sterbliche Überreste nicht wirklich vor sich hatten, dass sie das aber auch nicht offen äußern konnten oder wollten. Also bestand weiterhin die Möglichkeit, dass es sich bei unserer unnumerierten Leiche um die ermordete Rote Rosa handelt.

Ärzte Zeitung: Welche Indizien deuten sonst noch darauf hin?

Tsokos: Wie gesagt: Die Bestimmung des Alters der Leiche durch das Kieler Leibniz-Labor mittels der C14-Methode hat die zeitliche Einordnung bestätigt. Zudem ist die Frau im Alter von 40 bis 50 Jahren gestorben, Rosa Luxemburg wurde mit 47 Jahren ermordet. Körpergröße und Körperproportionen stimmen überein, sie hatte verschieden lange Beine, etc.

Ärzte Zeitung: Sind diese Merkmale denn so einzigartig, oder treffen sie nicht auch auf etliche weitere Frauen der damaligen Zeit zu?

Tsokos: Natürlich treffen sie auf zahlreiche Frauen der damaligen Zeit zu. Aber wie viele dieser Frauen kommen als Wasserleiche in die Charité, werden nicht identifiziert und bleiben Jahrzehnte lang dort liegen?! Doch letztendliche Sicherheit bringt nur eine DNA-Analyse.

Ärzte Zeitung: Also ohne DNA keine Gewissheit - haben die Medienberichte über den spektakulären Fund ihre Ermittlungen denn voran gebracht?

Tsokos: Das muss ich erst noch auswerten. Die Katze ist ja erst seit einer Woche aus dem Sack. Die Hinweise müssen nun alle überprüft werden. Ein Hinweis hat sich aber bereits erledigt: Die Locke, die ein Geliebter Rosa Luxemburgs aufbewahrt haben soll, ist nicht auffindbar. In jedem Fall brauche ich nun Unterstützung von Historikern.

DNA-Material kann an so vielen Gegenständen sein. Doch wo sind diese Gegenstände heute? Ein Hut oder ein Taschentuch? Wir suchen nach allem. Wir haben auch schon eine Briefmarke auf einer Karte untersucht, die Rosa Luxemburg geschrieben hat, doch die wurde leider nicht mit Speichel angefeuchtet, sondern mit einem Wasserschwämmchen.

Ärzte Zeitung: Wie stehen Sie zu den Forderungen, dass die Leiche aus der Charité nun bestattet werden soll?

Tsokos: Jede Leiche hat Bestattungspflicht. Aber es wäre wünschenswert, sie nicht anonym zu bestatten. Wenn sich herausstellen sollte, dass es sich um den Leichnam Rosa Luxemburgs handelt, werden wir den Korpus selbstverständlich, wie jetzt von Politikern gefordert, ohne Zögern herausgeben. Er gehört uns nicht. Doch dazu brauchen wir das DNA-Vergleichsmaterial.

Ärzte Zeitung: Was passiert mit dem Korpus, wenn nicht eindeutig festgestellt werden kann, ob es der Leichnam von Rosa Luxemburg ist?

Tsokos: Wenn in zwei bis drei Monaten die Identität nicht verifiziert wurde, wird er möglicherweise dann irgendwann anonym bestattet.

Ärzte Zeitung: Wie geht es jetzt weiter?

Tsokos: Nun warte ich erstmal auf weitere Hinweise, suche weiter danach und gehe ihnen nach. Etwas anderes bleibt mir im Moment nicht übrig.

Ärzte Zeitung: Fällt es nicht schwer, nach solch einem aufsehenerregenden Fall, die tägliche Routinearbeit wieder aufzunehmen?

Tsokos: Das ist derzeit völlig unmöglich, weil ich von diesem Fall noch völlig absorbiert bin. Ich komme derzeit zu nichts anderem. Aber am Institut sind zum Glück viele gute Leute beschäftigt. Die tägliche Arbeit geht also weiter.

Zur Person

Der Rechtsmediziner Professor Michael Tsokos (42) leitet seit 2007 das Institut für Rechtsmedizin der Charité und das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin Berlin. Zuvor war er Oberarzt an der Hamburger Rechtsmedizin. An spektakulären Aktionen war Tsokos schon 2005 beteiligt. Für die Identifizierung von Tsunami-Opfer erhielt er mit seinem Team den Medienpreis Bambi. (ami)

Ermordet im Alter von 47 Jahren

Die Kommunistin Rosa Luxemburg wurde zusammen mit dem Arbeiterführer Karl Liebknecht nach der Niederschlagung des Spartakusaufstands am 15. Januar 1919 in Berlin verhaftet und ermordet. Die Leichen warfen die Soldaten in den Berliner Landwehrkanal, wo noch heute Gedenktafeln an die Anführer der sozialistischen Revolutionsbewegung erinnern. Als sie erschossen wurde, war die "rote Rosa" 47 Jahre alt. (ami)

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