Gesundheit im Wahlprogramm - bloß nicht zu konkret!

Niemand erwartet von Parteiprogrammen Blaupausen für die nächste Gesundheitsreform. Doch selbst zentrale Baustellen der Gesundheitspolitik bleiben in den Programmen unerwähnt - eine Übersicht.

Thomas HommelVon Thomas Hommel und Florian StaeckFlorian Staeck Veröffentlicht:
Vier Jahre sind seit dem letzten Bundestagswahlkampf vergangen: Die Akteure sind - fast alle - geblieben, die vagen Aussagen der Parteien auch.

Vier Jahre sind seit dem letzten Bundestagswahlkampf vergangen: Die Akteure sind - fast alle - geblieben, die vagen Aussagen der Parteien auch.

© Foto: dpa

 

Aus den Wahlprogrammen der Parteien

Frage 1:

Wie sieht das Leitbild für die Gesundheitsversorgung von morgen aus?

CDU/CSU

CDU/CSU betonen den Wert der Freien Berufe, die "tragende Säulen erstklassiger Patientenversorgung" seien. Deshalb soll "eine an der Basis der Ärzteschaft akzeptierte Selbstverwaltung" revitalisiert werden. Wichtig sind Therapiefreiheit und freie Arzt- und Krankenhauswahl. MVZ sollen nur zugelassen werden, wenn diese von Ärzten und Krankenhäusern geführt werden.

SPD

Die SPD spricht sich gegen "Zwei-Klassen-Medizin" und für "gute Versorgung in allen Regionen" aus. In der ambulanten medizinischen Versorgung soll eine einheitliche Gebührenordnung für mehr "Transparenz" im Honorarsystem sorgen. Kliniken sollen ambulante Leistungen erbringen können. Prävention, Patientenrechte und Integrierte Versorgung sollen gestärkt werden.

FDP

Die FDP spricht sich für ein "freiheitliches System" aus, das "Solidarität und Eigenverantwortung in Einklang bringt". Dabei soll das Prinzip "Privat kommt vor dem Staat" gelten. Jede Generation soll "die von ihr verursachten Gesundheitskosten über die ganze Lebenszeit selber tragen" Das entspreche dem Grundsatz der Generationengerechtigkeit.

Bündnis 90 / Die Grünen

Die Grünen rufen nach einem "Richtungswechsel" in der Gesundheitspolitik: weg vom Gesundheitswesen als "bloßem Reparaturbetrieb", hin zu einem Gesundheitswesen mit mehr Prävention und Gesundheitsförderung. Außerdem soll die wohnortnahe Versorgung und Betreuung chronisch kranker Menschen "in einer alternden Gesellschaft" verbessert werden.

Die Linke

"Gesundheit ist keine Ware", sondern "ein individuelles Grundrecht", betont die Linkspartei und fordert eine "ganzheitliche Gesundheitsversorgung für alle" - unabhängig von Einkommen, Bildung und sozialem Status. Gesunderhaltung und Heilung sollen durch "finanzielle Anreize" belohnt werden. Ein Präventionsgesetz soll die Gesundheitsvorsorge stärken.

Frage 2:

Gesundheitsfonds quo vadis oder: Wie soll die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in Zukunft finanziert werden?

Die Union will die Finanzierung im Hinblick auf mehr Generationengerechtigkeit weiterentwickeln. Die Gesundheitsprämie wird nicht erwähnt. Im April hat die CSU für einen "Mix aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen, sozialverträglichen Selbstbeteiligungen und Steuermitteln" plädiert. Die PKV-Vollversicherung soll erhalten bleiben.

Wie Grüne und Linke setzt auch die SPD bei Gesundheit und Pflege auf das Prinzip "Bürgersozialversicherung": Alle Einkommen werden zur Finanzierung herangezogen - auch Kapitaleinkünfte. Der Morbi-RSA soll "weiterentwickelt", die PKV in den Gesundheitsfonds "einbezogen" werden. So sei langfristig Beitragsstabilität möglich.

Die Liberalen wollen weg von der "Lohnbezogenheit der (GKV)-Beiträge und vom Umlageverfahren". Statt des Gesundheitsfonds soll ein "leistungsgerechtes Prämiensystem" auf Kapitaldeckungsbasis eingeführt werden. Es soll die Pflicht der Versicherung einer "Grundversorgung" geben. Wen das überfordert, der erhält Steuertransfers.

Mit der "grünen Bürgerversicherung" sollen alle Menschen an der Finanzierung von Gesundheit beteiligt werden. Herangezogen werden sollen auch Kapitaleinkommen und Einkommen aus Vermietung/Verpachtung. Der Fonds soll "abgewickelt" werden. Die politische Festsetzung des GKV-Beitragssatzes sei der Einstieg in die Kopfpauschale.

Die Losung heißt Bürgerversicherung: Alle Berufsgruppen und Einkommensarten werden in die Finanzierung der Krankenversicherung einbezogen. Die Beitragsbemessungsgrenze wird aufgehoben, der Fonds wieder abgeschafft, auch der Sonderbeitrag zur GKV für Arbeitnehmer und Rentner in Höhe von 0,9 Prozentpunkte entfällt.

Frage 3:

Medizin gegen Rechnung oder: Welchen Stellenwert haben Sachleistungssystem und Kostenerstattung?

CDU/CSU wollen zu "mehr Transparenz und besserer Orientierung" von Patienten beitragen. Das solle für Sachleistungen und bei Kostenerstattungstarifen gelten. Welche der beiden Optionen die Union den Vorzug gibt, sagt sie nicht. Die Vergütung der Ärzte soll "besonderen regionalen Rahmenbedingungen" Rechnung tragen.

Am Sachleistungsprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung will die SPD nicht rütteln lassen. Verbesserung und Erhaltung der Gesundheit aller Bürger lägen weiter in der "Verantwortung staatlicher Daseinsvorsorge". Außerdem sei die "Kosten-Nutzen-Bewertung" bei Arzneimitteln und Therapien weiter auszubauen.

Patienten sollen eine Rechnung erhalten, "die die Kosten der in Anspruch genommenen Leistungen zeigt". Die Krankenversicherung für Kinder soll komplett aus Steuern bezahlt werden. Entscheiden sich Patienten für ein nicht erstattungsfähiges Produkt oder Verfahren, sollen Patienten den Betrag erhalten, den die Kasse sonst hätte zahlen müssen.

Die Pole Position im Gesundheitswesen gehört den Grünen zufolge den Patienten. Ihre Rolle soll daher weiter gestärkt werden - auch durch ein "Mehr an Kostentransparenz". Die Patienten sollen einmal im Quartal eine "für sie verständliche Abrechnung" überreicht bekommen. Von wem - Arzt oder Krankenkasse - wird nicht gesagt.

Die Linke spricht für eine Ausweitung des Sachleistungsprinzips aus. Der GKV-Leistungskatalog sei am medizinischen Bedarf auszurichten. GKV-Versicherte sollen uneingeschränkt Zugang zu allen medizinischen Leistungen haben. Kosten für Brillen und Zahnersatz sollen wieder von den Krankenkassen übernommen werden. Finanzierung? Unklar.

Frage 4:

Wie sollen Eigenverantwortung und Selbstbeteiligung der Bürger künftig gestaltet werden?

Die Union will für die Versicherten "zusätzliche Belastungen in Grenzen halten und Entlastungsspielräume nutzen". Dabei soll die Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen "ein wichtiges Element" sein. Die Union verspricht "Eigenverantwortung, Vorsorge und Prävention" auszuweiten.

Zu viel Selbstbeteiligung überfordert die Menschen, vor allem die sozial Schwachen, betont die SPD. Bei der Gesundheitsreform 2007 hätten die Sozialdemokraten dafür gesorgt, dass Zuzahlungen der Patienten nicht ausgeweitet wurden und alle Menschen weiterhin Zugang zur medizinischen Versorgung haben.

Die FDP plädiert für "unbürokratisch ausgestaltete Selbstbeteiligungen". Die Praxisgebühr wird hingegen als bürokratisch bezeichnet. Nur für eine "Grundversorgung" soll es einen Versicherungsschutz ohne Risikozuschläge geben. Was eine "Grundversorgung" ist, erläutert die FDP nicht.

Die medizinisch notwendige Versorgung muss nach grünem Verständnis allen Patienten zugänglich sein. Praxisgebühr und Medikamentenzuzahlungen sollen daher wieder abgeschafft werden, "weil sie für arme Menschen große Hürden darstellen" und nur zur Verschleppung von Behandlungen führen.

Zuzahlungen durch die Patienten sind nach Ansicht der Linken unsozial - und gehören daher komplett abgeschafft. Das gilt auch für die Praxisgebühr in Höhe von zehn Euro pro Quartal.

Frage 5:

Vertragsgestaltung in der ambulanten Medizin: Wie sieht die Zukunft von Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), Kollektiv- und Einzelverträgen aus?

Die Union will die KVen stärken, sie setzt explizit auf die ärztliche Selbstverwaltung. Einzelverträge sollen "passgenauer" und Bedürfnisse der Regionen zugeschnitten sein. Die hausarztzentrierte Versorgung soll "besonderen Qualitätsanforderungen" genügen. Unabdingbar sei der Kollektivvertrag zur Sicherung der Versorgung auf dem Land.

Um eine "gleichmäßige Versorgung" sicherzustellen, sind nach Ansicht der SPD "weitere Schritte zur Flexibilisierung des Vertragsgeschehens" notwendig - welche genau das sein könnten, wird nicht gesagt. Kollektiv- und Einzelverträge würden "zusammen" eine ausreichende ärztliche Versorgung im ambulanten Bereich gewährleisten.

Das FDP-Programm trifft keine Aussagen zur Zukunft des Vertragswettbewerbs. Stattdessen wird die Freiberuflichkeit der Ärzte als Garant für eine qualitativ gute, wohnortnahe Versorgung angesehen. Die "freie Wahl des Therapeuten" gilt als Element eines leistungsfähigen Gesundheitssystems.

Die Grünen favorisieren die hausarztzentrierte Versorgung mit dem Hausarzt als "Lotsen" durch das Gesundheitssystem und dem Ausbau der Integrierten Versorgung. Dabei will man aber sorgsam darauf achten, dass der Zugang zur fachärztlichen Behandlung nicht "durch sachfremde Anreize blockiert wird", verspricht die grüne Partei.

Zur Zukunft von KVen und Vertragswettbewerb äußert sich die Partei nicht. Im Programm heißt es nur, das Gesundheitssystem sei zuletzt vermehrt für "private Anbieter und Kapitalmärkte" geöffnet und an den "Wettbewerbsinteressen der Wirtschaft" ausgerichtet worden. Die Linke möchte stattdessen PatientenInteressen in den Mittelpunkt gestellt wissen.

Quelle: Parteiprogramme von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke

Tabelle: Ärzte Zeitung

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Lesen Sie dazu auch: SPD-Chef geht Union in der Gesundheitspolitik scharf an

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Wahlkampfzeit ist Phrasenzeit

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