Schwarz-Gelb flüchtet sich in Arbeitskreise

"Drum prüfe, wer sich ewig bindet", sagt der Volksmund: Bei Union und FDP beginnt die Brautschau erst in der Ehe. Mehr als 80 Prüfaufträge finden sich in ihrem Koalitionsvertrag. In der Gesundheit betrifft dies nahezu alle relevanten Bereiche - von den GKV-Finanzen über Festzuschüsse bis hin zu den Arzneimittel-Richtgrößen.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
In der Gesundheitspolitik verfolgen CDU, CSU und FDP in vielen Punkten noch keine gemeinsame Linie. Arbeitskreise sollen es jetzt richten.

In der Gesundheitspolitik verfolgen CDU, CSU und FDP in vielen Punkten noch keine gemeinsame Linie. Arbeitskreise sollen es jetzt richten.

© Foto: dpa

BERLIN. "Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis", lautet ein geflügelter Spruch unter Politikern und Journalisten. Ein anderer geht so: "Kennst du das Ergebnis schon, gründe eine Kommission." Nach diesem Muster verfährt offenbar die neue Koalition aus CDU, CSU und FDP, wenn man einen Blick in den Koalitionsvertrag wirft.

Mehr als 80 Prüfaufträge zählt der aufmerksame Leser der schwarz-gelben Regierungsfibel - ein gutes Dutzend betrifft allein die Bereiche Gesundheit und Pflege. Die heikelste Mission: Eine Regierungskommission soll mangels übereinstimmender Positionen der drei Parteien Vorschläge für die künftige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) machen. Professor Günter Neubauer, Leiter des Instituts für Gesundheitsökonomik (IfG) in München und viele Jahre als Gesundheitsweiser tätig, überrascht das nicht. "Schwarz-Gelb hofft, dass je länger man regiert, auch das Verständnis untereinander wächst und man sich dann bei der Lösung anstehender Aufgaben leichter tut." Das gelte auch für die künftige Struktur der GKV, die zwischen Union und FDP schon jetzt für heftige Gefechte sorgt (wir berichteten). Um den koalitionsinternen Streit erst einmal zuzudecken, soll nun also eine Kommission "notwendige Schritte" zum Umbau der GKV erarbeiten.

Neubauer rechnet mit einem Kompromiss, bei dem jede Seite ihr Gesicht wahren kann: "Der Gesundheitsfonds bleibt für Arbeitgeberbeiträge und Steuermittel bestehen - und der Fonds kommt weg für die Versichertenbeiträge, die bei den Krankenkassen verbleiben und um pauschalierte Prämien ergänzt werden." Die Kommission brauche die Regierung dafür, um herauszufinden: "Wie rechnet sich das Ganze, wie viel Geld braucht man vom Finanzminister und hat der überhaupt Geld?"

Auch die bisherige Praxis der Öffnung der Kliniken für spezialisierte ambulante Leistungen nach Paragraf 116b SGB V soll nach dem Willen der Koalitionäre überprüft und nötigenfalls präzisiert werden. Neubauer rät hier zu mehr Mut unter den Ärzten. "Spezialisierte Fachärzte sollten fordern, dass sie auch die Zulassung zur stationären Versorgung erhalten, sofern sie die entsprechenden fachlichen und technischen Voraussetzungen dafür mitbringen."

Auch Dr. Boris Augurzky vom Rheinisch-Wesfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) warnt vor einer Rolle rückwärts: "Das zarte Pflänzchen, das die Politik geschaffen hat, sollte, wenn möglich, beibehalten werden. Der Patient soll entscheiden, wo er sich behandeln lassen möchte." Entscheidend sei, dass die Klinik nicht teurer ist als der Facharzt und umgekehrt. "Und die Qualität muss natürlich stimmen."

Ein weiteres Prüfthema ist die Einführung zusätzlicher Festzuschüsse bei Therapien und Medikamenten. Der Gesundheitsexperte Professor Jürgen Wasem warnt die Koalition hier vor fatalen Weichenstellungen. Anderenfalls sei die Gefahr groß, "dass es den medizinischen Fortschritt nur noch gegen Zuzahlung gibt". Auf der anderen Seite gebe es natürlich Bereiche in der Medizin, in denen Festzuschüsse sinnvoll sein könnten.

Dass die Koalition die Arzneimittel-Richtgrößen für Ärzte auf den Prüfstand stellen will, begrüßt Wasem. "Die Richtgrößen sind ein typisches Instrument für eine implizite Rationierung." Auf der einen Seite proklamiere die Politik für die Versicherten den unbeschränkten Zugang zu Arzneimitteln, auf der anderen Seite würden die Anreize für die Ärzte so "scharf gestellt", dass diese auswählen müssten, welche ihrer Patienten dieses oder jenes Präparat erhielten. Zwar könne man auf Richtgrößen nicht in toto verzichten. Doch sollten sich diese stärker an der Morbidität der Bevölkerung statt an starren Fallwerten orientieren.

Kritik äußern Wasem und Neubauer an der dreijährigen Schonfrist für Hausarztverträge und dem in Paragraf 73b verankerten Quasi-Monopol des Hausärzteverbands. "Ärzten, Kassen und auch Versicherten müssen mehrere Optionen eingeräumt werden. Monopollösungen sind selten gut", so Neubauer.

Lesen Sie dazu auch: Ökonom geißelt Vergütungssystem als Zumutung für Ärzte

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