Kopfprämie könnte PKV das Wasser abgraben

Bis 2011 will die Regierung ein neues Finanzierungsmodell für die GKV vorlegen. Auf dem Prüfstand steht auch der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich.

Von Bülent Erdogan Veröffentlicht:
Nach der Reform ist vor der Reform: Über die Inhalte soll eine Regierungskommission entscheiden.

Nach der Reform ist vor der Reform: Über die Inhalte soll eine Regierungskommission entscheiden.

© Foto: imago/bonn-sequenz

BERLIN. Der Gesundheitsexperte Professor Jürgen Wasem hat die neue Bundesregierung zu einem behutsamen Umgang mit dem Instrument des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) im Gesundheitsfonds aufgefordert und vor dessen Abschaffung gewarnt.

"Jedes Zurückfahren des Morbi-RSA macht es für die Kassen schwieriger, sich für Versorgungsmanagement zu engagieren", sagte er im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". Im Fokus der Kassen werde dann wieder das junge, gesunde und gut verdienende Mitglied stehen, sagte der Erfinder des Morbi-RSA. Wasem: "Das wäre für die Versorgung der GKV-Versicherten kontraproduktiv."

Wird der Risiko-Ausgleich "zurückgefahren"?

Hintergrund: Das schwarz-gelbe Regierungsbündnis hat sich im Koalitionsvertrag auf die Einsetzung einer Kommission zur künftigen finanziellen Ausgestaltung der GKV geeinigt. Bis 2011 soll ein neues Konzept stehen. Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich mit Kassenzuschlägen für 80 besonders teure oder häufige Erkrankungen ist dabei ein Kernelement des Gesundheitsfonds. Die FDP lehnt den Fonds ab und hatte im Wahlkampf auch angekündigt, den Morbi-RSA "auf das notwendige Maß zurückfahren" zu wollen.

Eine Umsetzung des von Teilen der CDU und der FDP favorisierten Kopfpauschalenmodells in der GKV könnte der privaten Krankenversicherung derweil weiter das Wasser abgraben, sollte es nicht parallel zu einem einheitlichen Versicherungsmarkt mit vergleichbaren Wettbewerbsstrukturen kommen, so Wasem. Er begründete dies mit der zu erwartenden Höhe einer solchen Pauschale: Nach derzeitigem Stand würde die GKV-Prämie pro Mitglied bei etwa 140 Euro (inklusive Beiträgen für mitversicherte Partner und Kinder) liegen. Zahlt das Mitglied nur für die eigene Person, wären es sogar nur 100 Euro, rechnete Wasem vor.

Viele gut verdienende GKV-Versicherte zahlen heute aber deutlich mehr. Die PKV bietet für viele von ihnen häufig preiswertere Angebote an. Mit einer Kopfpauschale von 100 bis 140 Euro wäre das kaum noch der Fall. "In einem solchen System wäre die PKV überhaupt nicht mehr konkurrenzfähig", sagte Wasem. Dazu kommen weitaus höhere Kosten der PKV für Behandlungen sowie Altersrückstellungen in Milliardenhöhe. Die von Schwarz-Gelb für Gutverdiener geplante Verkürzung der Wartefrist für den Wechsel in die PKV von drei Jahren auf ein Jahr liefe ohne einheitliche Wettbewerbsbedingungen also ins Leere.

Chef des Hartmannbundes zweifelt an Reformwillen

Zweifel am Reformwillen der Koalition äußerte unterdessen der Chef des Hartmannbundes, Professor Kuno Winn. Es bleibe abzuwarten, ob sich in dem Bündnis die Reformkräfte durchsetzen könnten und "wir einen echten Systemwechsel erleben", sagte er.

Hoffnung machten immerhin Formulierungen im Koalitionsvertrag, die einkommensunabhängige Beiträge, eine Ausweitung der Kostenerstattung sowie die Anpassung der Gebührenordnung für Ärzte an den aktuellen Stand der Wissenschaft und die Kostentwicklung in Aussicht stellten.

Entschieden wandte sich Winn gegen den Kompromiss von Union und FDP zum Quasi-Monopol des Hausärzteverbands bei Hausarztverträgen nach Paragraf 73b SGB V. Die von den Koalitionspartnern vereinbarte dreijährige Beobachtungsfrist konsolidiere eine auf Dauer gefährliche Vertragsmacht der Kassen mit Einschränkungen bei der freien Arztwahl und bei der Therapie- und Verordnungsfreiheit.

"Statt den Kollektivvertrag zu stärken, der das hohe Versorgungsniveau in Deutschland erst ermöglicht hat, fördert die Politik mit dem Kontrahierungszwang und der Quasi-Monopolstellung eines freien Verbandes die Spaltung der Ärzteschaft, weicht durch ein solches Sozialrecht zentrale berufsrechtliche Kernprinzipien auf und bricht dem liberalen Gesundheitssystem in Deutschland damit das Rückgrat", so Winn. Die Regelung konterkariere die Bekenntnisse der Koalitionäre zum Arzt als freien Beruf, zur freien Arztwahl und zu einem freiheitlichen Gesundheitswesen.

Lesen Sie dazu auch: HB-Chef Winn zweifelt an Reformwillen

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