Merkel will niemanden im Regen stehen lassen

Auch unter Schwarz-Gelb drohe keine Entsolidarisierung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, verspricht die alte und neue Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Opposition nimmt ihr das nicht ab.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:

BERLIN. Frank-Walter Steinmeier in ungewohnter Rolle: Als Oppositionsführer attackiert der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion eine halbe Stunde lang die Pläne der schwarz-gelben Regierung in der Gesundheits- und Pflegepolitik. In beiden Sozialsystemen, um die Deutschland von manchem ausländischen Reformer beneidet werde, stehe mit dem Amtsantritt von Schwarz-Gelb nichts Geringeres als die Solidarität "auf der Kippe", warnt der SPD-Politiker. "Sie schonen die einen und belasten die anderen."

Dazu passe, dass Schwarz-Gelb die Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) einfrieren wolle. Das führe dazu, so Steinmeier, dass sich die Arbeitgeber "vom Acker des Sozialstaats schleichen". Es sei kein Sozialdemokrat, der das der Koalition vorwerfe, sondern ein Christdemokrat. "Norbert Blüm schreibt das heute in der Süddeutschen Zeitung", sagt Steinmeier - und adressiert das Zitat genüsslich an seine ehemalige Koalitionspartnerin Angela Merkel (CDU), die gerade ihre erste Regierungserklärung als Kanzlerin einer schwarz-gelben Regierung im Hohen Haus der Politik gehalten hat.

Den Vorwurf der Entsolidarisierung bei Gesundheit und Pflege hat die alte und neue Regierungschefin darin weit von sich gewiesen. Gesundheits- und Pflegekosten würden auch in Zukunft so verteilt, dass Gesunde für Kranke, Junge für Alte, Starke für Schwache einstehen. "Darauf können sich alle Versicherten verlassen." Dieses Versprechen dürfe aber nicht dazu führen, "dass wir über Wettbewerb, Transparenz und viele andere Dinge überhaupt nicht mehr sprechen dürfen", fügt Merkel hinzu - und jeder im Parlament weiß, dass mit den "vielen anderen Dingen" auch der Umbau der Finanzstrukturen in der Kranken- und Pflegeversicherung gemeint ist.

Wie dieser Umbau genau aussehen soll, sagt Merkel nicht. Auch nicht, dass der Haussegen in der Koalition ob dieser Frage schief hängt. Merkel betont nur: "Um Menschen am medizinischen Fortschritt teilhaben zu lassen und gleichzeitig Arbeitsplätze nicht zu gefährden, brauchen wir eine stärkere Entkoppelung von Arbeitskosten und Ausgaben für Gesundheit, als das heute der Fall ist."

Auch in der Pflege werde die Regierung mit der Ergänzung der Umlagefinanzierung durch Kapitaldeckung ein "heißes Eisen" anfassen, "ganz egal welche Widerstände das erzeugen wird", betont Merkel.

Einer, der sofort Widerstand leistet, ist der Parteichef der Linken, Oskar Lafontaine. Wer das Prinzip der Kapitaldeckung in den Sozialversicherungssystemen einführe, habe aus der aktuellen Finanzkrise nichts gelernt, poltert Lafontaine. Die Rente sei ein gutes Beispiel dafür, dass Kapitaldeckung nicht gut gehe. Viele, die privat etwas angelegt hätten für ihr Altenteil, hätten es in der Krise wieder verloren. "Wollen wir das jetzt auch auf die Pflege ausweiten?"

Merkel: "Generationengerechte Lastenverteilung"

Auszüge aus der Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel:

"Wenn wir angemessene Antworten auf den Altersaufbau unserer Gesellschaft finden wollen, dann führt kein Weg daran vorbei, unsere sozialen Sicherungssysteme generationengerecht auszugestalten. (...) In kaum einem Bereich wird das deutlicher als bei der Pflegeversicherung.

Unser Ziel ist klar: mehr Qualität, mehr Selbstbestimmung und vor allem mehr Menschlichkeit. Wir werden unter anderem die Pflegebedürftigkeit neu definieren. Und wir werden ein heißes Eisen anpacken, egal welche Widerstände das erzeugen wird: die Ergänzung der Umlagefinanzierung durch eine Kapitaldeckung. (...) Die Wahrheit liegt doch auf der Hand: Die Pflege wird teurer werden. (...) Wir werden den Zusammenhalt unserer Gesellschaft nur bewahren können, wenn wir die steigenden Kosten nicht immer nur der jeweils jüngeren und arbeitenden Generation aufdrücken. (...) Deshalb wird die neue Regierung diesen Kreislauf durchbrechen. (...) Das gilt auch für die Gesundheitspolitik. (...) Jeder Mensch soll die medizinische Versorgung bekommen, die er braucht, und zwar unabhängig von seinem Alter und seiner materiellen Situation. (...) Um Menschen am medizinischen Fortschritt teilhaben zu lassen, aber dennoch Arbeitsplätze nicht zu gefährden, brauchen wir eine stärkere Entkoppelung von Arbeitskosten und Ausgaben für die Gesundheit als das heute der Fall ist. Erste Schritte in diese Richtung ist die alte Regierung mit dem Gesundheitsfonds und der Erhebung von Zusatzbeiträgen gegangen. (...) Aber es müssen weitere Schritte folgen. (...) Es versteht sich von selbst, dass die finanziellen Lasten weiter so verteilt werden, dass Gesunde für Kranke, Junge für Alte, Stärkere für Schwächere einstehen. (...) Das darf aber nicht dazu führen, dass wir über Wettbewerb und Transparenz überhaupt nicht mehr sprechen dürfen."

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