Hintergrund

Wenig Motivation, keine klaren Karrierewege: Die Bundeswehr wird für Ärzte unattraktiv

Seit Jahren kritisiert der Wehrbeauftragte des Bundestages die Situation der Sanitätsoffiziere in der Bundeswehr. Der Truppe fehlen 600 Ärzte. In der Führung des Sanitätsdienstes tat sich bisher: fast nichts.

Von Rebecca Beerheide Veröffentlicht:

"Der Sanitätsdienst wurde regelrecht an die Wand gefahren" - mit diesem Eingangstatement zu seinem letzten Bericht machte der langjährige Wehrbeauftragte Reinhold Robbe deutlich, wie sehr ihm die Untätigkeit in der Führung des Sanitätsdienstes missfällt. Zwar schickte der SPD-Politiker dieser Aussage auch einschränkende Worte voraus - "Es gibt nicht wenige Experten in der Bundeswehr, die davon sprechen..." - doch der Unmut war nicht zu überhören.

In den vergangenen Jahren hatte Robbe regelmäßig die Personal- und Versorgungssituation im Sanitätsdienst kritisiert. Seit 2007 verlassen immer mehr Ärzte die Armee - auch, weil Arbeitsbedingungen und Gehalt in zivilen Kliniken deutlich besser sind. Bis zu 600 Stellen waren zeitweise unbesetzt - und das in den sensiblen Bereichen wie der Chirurgie mit 36 offenen und in der Anästhesie mit 48 unbesetzten Stellen. In der Psychiatrie sind nur 22 Dienstposten von 38 besetzt. Somit kommt auf die 4500 Soldaten im Afghanistaneinsatz ein Psychiater -  und das bei einer steigenden Zahl von Soldaten, die mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) aus dem Einsatz zurückkehren. Im Jahr 2009 waren es nach offiziellen Zahlen 418 Fälle, eine Steigerung von 90 Prozent innerhalb eines Jahres. Die Dunkelziffer liegt wohl darüber.

Die flächendeckende Versorgung der Soldaten im Inland kann nach dem aktuellen Robbe-Bericht nicht mehr aufrecht gehalten werden. "Nur noch durch Mitbenutzung ziviler Ressourcen" könne die Versorgung bei akuter Krankheit sichergestellt werden. Der Truppenarzt kann nicht mehr als Hausarzt der Soldaten gelten. "Ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis kommt nicht zustande" - ein Fazit, das Robbe bereits in den Vorjahren gezogen hatte.

Im Bereich der Bundeswehrkrankenhäuser gab es einige Umstrukturierungen. Dabei wurden die Kliniken in Koblenz und Ulm in die jeweiligen Landesbettenpläne aufgenommen und zu Akutkrankenhäusern ausgebaut. Dadurch hat sich nicht nur der Anteil an Zivilpatienten erhöht. Für die Sanitätsärzte und das medizinische Fachpersonal ergibt sich so die Chance, die nötige Routine in der Rettungsmedizin und bei komplexen Krankheitsbildern für den Auslandseinsatz zu erhalten.

Robbe sieht aber weiteren Reformbedarf, da die Verwaltungsstrukturen und die Behandlung an aktuelle wissenschaftliche Standards angepasst werden müssten. Robbes Fazit: "Das hohe Renommee der Bundeswehrkrankenhäuser als Maximalversorger lässt sich so nicht aufrechterhalten." Als Beispiele nennt er die Schließung der Station für schwere Brandverletzungen in Koblenz. Soldaten müssen nun in zivile Spezialkliniken gebracht werden, da es nicht mehr genügend Fachpersonal in Koblenz gibt. Rechnet man wie Robbe die Abwesenheiten durch Elternzeit, Auslandseinsätze, Weiterbildungen und Erkrankungen zusammen, sind zeitweise über 60 Prozent der Dienstposten unbesetzt.

Doch das Problem der Attraktivität der Truppe liegt nicht nur auf der finanziellen Seite oder in den veralteten Strukturen: Auch die Karrierewege in Bundeswehrkrankenhäusern sind verschlungener als in einem zivilen Haus. Die derzeitige Verpflichtungszeit eines Sanitätsoffiziers liegt bei 17 Jahren. Darin sind sechs Jahre Studium sowie drei Jahre Weiterbildung enthalten. Laut dem Robbe-Bericht bekommen viele junge Ärzte nur eine "eignungsabhängige" Zusage, ob die Weiterbildung fortgeführt wird. Auch dadurch sind die Angebote ziviler Kliniken deutlich attraktiver. Im Jahr 2008 waren 85 Ärzte bereit, lieber die Ausbildungskosten von rund 500 000 Euro zurückzuzahlen, als länger in der Bundeswehr zu bleiben. Im Jahr davor wollen nur acht die Truppe verlassen.

In den aktuellen Reformvorschlägen für den Sanitätsdienst wird diskutiert, den jungen Ärzten deutlich eher eine Weiterbildungszusage zu geben (wir berichteten). Ein weiterer Reformvorschlag ist, mit noch mehr Vertragsärzten die Personallücken zu überbrücken. Doch das sieht der Vorsitzende des Vereins Forum Sanitätsoffiziere, Wolfgang Petersen, kritisch. "Die Vertragsärzte bekommen deutlich mehr Gehalt als ein Sanitätsoffizier. Das schürt Neid", sagt Petersen im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". Bereits vor einem Jahr kündigte er in der "Ärzte Zeitung" an, er werde den Dienst quittieren. Er hofft, die Truppe im August 2010 verlassen zu können.

Mehr Motivation, Strukturveränderung, bessere Karrierewege: Allein im Sanitätsdienst wird es für den frisch-gewählten Nachfolger Robbes, den FDP-Politiker Hellmut Königshaus, weiter viel zu kritisieren geben.

Sanitätsoffiziere in der Bundeswehr

Im Jahr 2008 hatte die Bundeswehr 3496 Dienstposten für Sanitätsoffiziere. Davon waren Ende 2008 etwa 430 nicht besetzt, laut Robbe sollen inzwischen 600 Ärzte fehlen. Nur schrittweise und im geringen Umfang kann nachbesetzt werden. Nachwuchs ist ebenfalls nicht in Sicht, denn die Bewerberzahlen sind rückläufig: Interessierten sich 2006 noch 2100 Menschen für die Laufbahn des Sanitätsoffiziers, waren es Ende 2009 nur noch 1190 - etwas mehr als die Hälfte. Für die Auslandseinsätze sind kontinuierlich 530 Angehörige des Sanitätsdiensts eingeplant, darunter 130 Ärzte. (bee)

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