Die Kirchen entdecken die Kranken als Verlierer im System

Sie betreiben selbst in gigantischen Gesundheitskonzernen Kliniken und Pflegeheime. Bei der 20. ökumenischen "Woche für das Leben"entecken die beiden Kirchen die Kranken als Verlierer.

Von Rebecca Beerheide Veröffentlicht:

FRANKFURT. Die katholische und die evangelische Kirche wollen sich in die Debatte um die Zukunft des Gesundheitswesens deutlich mehr einbringen. Nach den Worten von Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst vom Bistum Limburg stehen Kirchen als Träger von Kliniken und Pflegeeinrichtungen dazu in der Pflicht. "Wir sind vor allem Anwalt der Verlierer im Gesundheitssystem. Das sind die Kranken", sagte Tebartz-van Elst beim Auftakt der ökumenischen "Woche für das Leben" in Frankfurt.

Bei der bundesweiten Veranstaltungsreihe, die in diesem Jahr zum 20. Mal stattfindet, wollen die beiden großen Kirchen unter dem Motto "Gesunde Verhältnisse" die gerechte Verteilung der Ressourcen für die Medizin diskutieren. Dabei gehe es auch um die Annahme und Akzeptanz von Krankheit, so dass auch Menschen trotz Leiden oder Behinderung in einem guten Umfeld leben können, so Bischof Tebartz-van Elst.

"Das Alleinsein in der Krankheit ist ein großes gesellschaftliches Problem", stellte auch Schwester Basina Kloos, Generaloberin der Franziskanerinnen in Waldbreitbach, bei der Diskussionsrunde heraus. Viele Familien könnten ihre an Demenz erkrankten Verwandten nicht mehr im familiären Umfeld pflegen, so Schwester Basina. Mit 27 Kliniken und Pflegeeinrichtungen ist das Franziskanerinnen-Kloster der größte kirchliche Träger in Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. In den Häusern sei in den letzten Jahren auch ein größerer Druck auf Ärzte und Schwestern entstanden. "Wir nehmen deutlich wahr, auf einem Weg in die Rationierung zu sein", sagte Schwester Basina. Gerade in der Fläche ist in ihren Augen die Zukunft der medizinischen Versorgung in der bisherigen Qualität in Gefahr.

Dem entgegenzuwirken, dafür warb der hessische Gesundheitsminister Jürgen Banzer (CDU) energisch. Die Gesellschaft müsse sich für eine gute Gesundheitsversorgung anstrengen, "auch wenn das steigende Krankenkassenbeiträge und höhere Eigeninitiative fordert." Eine Diskussion um Rationierung lehnt er ab.

Dem widersprach der Arzt und Theologe Dr. Manfred Lütz: "Wir als Gesellschaft dürfen Gesundheit nicht mehr als höchstes, sondern als ein hohes Gut begreifen. Erst dann lässt sich medizinische Versorgung wieder gegen andere Güter abwägen", sagte Lütz. Daher plädierte er dafür, den Gesundheitsbegriff zu "entsakralisieren" und nicht weiter die aus seiner Sicht utopische Annahme zu verbreiten, bei der medizinischen Versorgung stehe für jeden bis ins hohe Alter alles zur Verfügung.

Die Sorge vor Alter, Krankheit und höheren Kosten, versuchte Professor Andreas Kruse, Gerontologe an der Uni Heidelberg, zu zerstreuen. Obwohl die demografische Entwicklung als Horrorszenario erscheine, zeigten Studien, dass der Anteil der gesunden Jahre stärker als die Lebenserwartung steige. "Es kann also ein wachsender Anteil der Lebensjahre gesund verbracht werden", sagte Kruse, der für die Bundesregierung den jährlichen Altenbericht erstellt.

Die größte Gefahr für das Gesundheitswesen sieht er in den zunehmenden chronischen Erkrankungen und mangelnder Prävention. Besonders bei den unteren gesellschaftlichen Schichten müssten Präventions- und Bildungsprogramme mehr ankommen. Warum es bisher nicht zu einem bundesweiten Präventionsgesetz gekommen ist oder in Hessen Programme wie das europaweite Schulobstprojekt nicht umgesetzt werden - diese Antwort blieb Gesundheitsminister Banzer schuldig.

Termine: www.woche-fuer-das-leben.de

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