Zusatzbeiträge: Auf kurze Sicht denken Kassen rein fiskalisch
Was bedeutet die Finanzreform für Ärzte? Solange die Kassen alles daran setzen, den Zusatzbeitrag zu vermeiden, werden sie wenig in Struktur und Qualität investieren. Erst 2013 ändert sich das.
Veröffentlicht:BERLIN. Kostendämpfung, vor allem aber die Erhöhung des einkommensabhängigen Beitragssatzes um 0,6 auf 15,5 Prozent, werden dazu führen, dass die Krankenkassen im kommenden Jahr hundert Prozent ihrer Ausgaben mit den Einnahmen aus dem Gesundheitsfonds decken können - im Durchschnitt zumindest. Nur einige wenige Kassen werden schon 2011 einen Zusatzbeitrag erheben müssen.
Die Erfahrungen zeigen, dass die Versicherten auch bei kleinen Zusatzbeiträgen sensibel reagieren - und zu Kassen wechseln, die besser mit Liquidität gepolstert sind. Als Folge erwartet Professor Jürgen Wasem von der Uni Duisburg-Essen, dass die Krankenkassen kurz- bis mittelfristig alles daran setzen werden, Zusatzbeiträge zu vermeiden. Sie werden rein fiskalisch denken, fixiert aufs jeweilige Haushaltsjahr. Diese Phase wird solange dauern, bis sich die Versicherten daran gewöhnt haben, Zusatzbeiträge zu zahlen, was dann der Fall sein wird, wenn die meisten Kassen sie erheben werden.
Wasem erwartet, dass dies etwa 2013 so weit sein wird. Bis dahin müssen sich Ärzte und andere Leistungserbringer darauf einstellen, dass die Kassen einen harten Sparkurs fahren werden. Erst nach dieser Eingewöhnungsphase werde wieder die Bereitschaft wachsen, in bessere Versorgungsstrukturen und mehr Qualität zu investieren - also Anstrengungen, die erst mittel- bis längerfristig eine Rendite für die Kassen eintragen.
Das SPD-Mitglied Wasem, der auch dem wissenschaftlichen Beirat des Bundesversicherungsamtes angehört (das wiederum den Gesundheitsfonds steuert), gibt der Finanzreform eine überraschend gute Note. "Die Konstruktion von Zusatzbeitrag und Sozialausgleich ist unter den politischen Gegebenheiten in der Koalition eine technisch elegante Lösung." Sie beseitige die wesentlichen Konstruktionsfehler von Zusatzbeitrag und Sozialausgleich des WSG, die der Ex-Wirtschaftsweise Bert Rürup noch als "Missgeburt" beschimpft hatte.
Bislang fand der Solidarausgleich nur innerhalb einer Krankenkasse statt. Die Folge: Im Wettbewerbsnachteil sind Kassen mit Niedrigverdienern, was aber kein Charakteristikum für Ineffizienz ist. Jetzt findet der Solidarausgleich über den Gesundheitsfonds, also über alle Kassen statt, und zwar nur dann, wenn ein prospektiv vom BVA festgesetzter durchschnittlicher Zusatzbeitrag die persönliche Belastungsgrenze von zwei Prozent des Einkommens eines Versicherten überschreitet.
Dass dabei nur die beitragspflichtigen Einnahmen (also Arbeitseinkommen und Renten) zugrunde gelegt werden, führe zu verteilungspolitisch wenig sinnvollen Ergebnissen. Der Verzicht, alle Einkünfte heranzuziehen, sei aber, so Wasem, aus praktischen Gründen "verständlich".
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