Die Liberalen lavieren, bis der Arzt kommt

Wissen, Toleranz und Bürgergesellschaft sind die Schlüsselbegriffe im Denken von Gesundheitsminister Philipp Rösler. Im Mai soll er zum neuen Vorsitzenden der FDP gewählt werden.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Rösler in einem Thesenpapier im März 2008: "Viele Liberale haben Angst, das Wort Solidarität in den Mund zu nehmen."

Rösler in einem Thesenpapier im März 2008: "Viele Liberale haben Angst, das Wort Solidarität in den Mund zu nehmen."

© Elke Hinkelbein

BERLIN. Arzt sei er schon, aber kein Bundesarzt, sagte Gesundheitsminister Philipp Rösler der "Ärzte Zeitung" kurz nachdem er als 36-Jähriger den Chefsessel im Gesundheitsministerium eingenommen hatte.

Das sorgte für Ernüchterung bei allen, die erwartet hatten, der Liberale würde vorbehaltlos die Interessen von Ärzten, der Pharma- und der Medizinprodukteindustrie bedienen. Rösler wich den damit vorgezeichneten Konflikten nicht aus.

Vor allem die Hausärzte verstanden die Welt nicht mehr. Plötzlich sollten sie gemeinsam mit den Arzneimittelherstellern helfen, die löchrige Finanzdecke der Krankenversicherung zu stopfen.

Der Pharmabranche verordnete Rösler mit dem Arzneimittelneuordnungs-Gesetz (AMNOG) Regeln, die sie dazu zwingen sollen, schneller als bisher den Nutzen eines neuen Medikaments unter Beweis zu stellen.

Röslers Sparkurs bei den Hausarztverträgen nach 73b brachte die Hausärzte gegen ihn auf. Den gesetzlich Versicherten erhöhte er den regulären Krankenkassenbeitrag.

Die Zusatzbeiträge hat er zwar nicht erfunden. Weil er die "kleine Kopfpauschale" aber ausdrücklich begrüßt hat, wird sein Name beim Wahlvolk damit verbunden bleiben.

Trotz des Drucks bleibt der "junge Milde" - wie manche Medien spötteln - um Sprüche nie verlegen: Eine Erkältung dauere eine Woche, wenn der Erkältete zum Arzt gehe.

Ohne Arztbesuch müsse er mit sieben Tagen Krankheit rechnen, erzählt Rösler gerne bei öffentlichen Auftritten. Ein schönes Bild dafür, dass dieser Mann weiß, dass es nicht für jedes Problem ein Patentrezept gibt.

Das hatte er zunächst auch nicht: In den ersten Monaten seiner Amtszeit verlor sich der FDP-Politiker in Kommissionen, Gesprächen und Ankündigungen. Ein zähes Warten auf eine Reform begann.

Doch dann die Überraschung: Mit dem Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz und dem GKV-Finanzierungsgesetz hat er binnen kurzer Zeit zwei große Reformen gestemmt, allerdings das Gesundheitswesen nicht in dem Maße neu geordnet, wie er es zunächst angekündigt hatte.

Darauf hatte ihn seine Vorgängerin Ulla Schmidt (SPD) eigentlich schon vorbereitet. Die eine, alles endgültig regelnde Gesundheitsreform gebe es nicht, hatte sie ihm bei der Amtsübergabe ins Stammbuch geschrieben. Nach der Reform sei vor der Reform.

Jetzt wirft der Vater von Zwillingen seinen Hut in den Ring für das Amt des Parteivorsitzenden, nachdem Guido Westerwelle nicht mehr antreten wird.

Viel eher ist er zu dieser Bewerbung auch getragen worden, vom Willen einer Gruppe junger FDP-Politiker, die sich mit der verbrauchten "Generation Westerwelle" nicht mehr arrangieren mochte.

Die Personalie deutet darauf hin, dass die FDP ihr Profil wieder mit Inhalten schärfen will, die den Wähler erreichen. Viel ist geredet worden darüber, dass Guido Westerwelle mit seinen 49 Jahren doch nicht alt sei, keiner anderen politischen Generation angehöre als die Röslers, Bahrs und Lindners, die ihn jetzt als Parteivorsitzenden gestürzt haben.

Und doch ist es so. Westerwelle kommt aus der Nachwendezeit, als man in der FDP glaubte, der Kapitalismus habe über den Kommunismus gesiegt, also habe Recht, wer alles Soziale im Denken ablege.

Philipp Rösler ist anders. Er steht nicht dem als berechnend und kalt empfundenen Laisser faire-Flügel nahe, sondern er vertritt die bürgerschaftliche Linie der Freien Demokraten. Allerdings klingt er immer ein bisschen nach Wirtschaftsminister, wenn er theoretisiert.

Rösler sagt klar: "Als Liberale haben wir einen gesellschaftspolitischen Anspruch". Mut, Neugier und Kreativität der Menschen, formulierte er einmal, sollen den Menschen die Freiheit geben, die er meint.

Dazu gehört für ihn zum Beispiel eine Bildungspolitik, die sich nur an einem messen lassen will: "Kein Kind verlässt die Schule ohne Abschluss."

In Röslers Gedankenwelt findet sich auch der Begriff "Bürgergesellschaft". Damit meint er keine Gesellschaft nach dem Motto

"Wenn jeder an sich selbst denkt, ist auch an alle gedacht". Für ihn ist diese Haltung, die einige in der aktuellen FDP-Führung vor sich her getragen haben wie eine Monstranz, zu kalt.

Man darf also gespannt sein, welche politische Vision der Hoffnungsträger der FDP entwickelt. Sie soll nicht technokratisch sein wie die Gesundheitspolitik zumindest empfunden wird.

Sie soll die Menschen vielmehr wärmen. Wissen, Toleranz und Zusammenhalt einer Bürgergesellschaft werden die Schlüsselwörter in dem von Rösler zu erwartenden Programm der Liberalen sein.

"FDP hat Angst vor dem Wort Solidarität"

Hat die FDP in ihrem Grundsatzprogramm 1997 noch die Idee der Reformgesellschaft betont, "so ist der passendere Zusammenhang für die heutige Zeit ein Liberalismus, der sich aus drei Begriffen speist: Wissen, Toleranz und Zusammenhalt. (…) Zusammenhalt, als Grundlage der Gesellschaft. Gerade bei diesem wichtigen Thema ist die FDP kaum präsent. Viele Liberale haben geradezu Angst, das Wort Solidarität in den Mund zu nehmen. (…) Wir müssen mit dem Neuschreiben unseres liberalen Beipackzettels deutlich machen, dass die FDP mehr ist, als die Ansammlung von guten Reformbeschlüssen im Bereich Steuer, Rente oder Gesundheit." Philipp Rösler im März 2008 in seinem Papier "Was uns fehlt".

Röslers politisches Schicksal war keins

Eigentlich hätte Philipp Rösler zurücktreten müssen. Er hatte einen Systemwechsel angekündigt: Die einkommensunabhängige Gesundheitsprämie sollte der Königsweg sein, das GKV-System zu sichern. Nur damit sei der Umbau politisch machbar und sozial verträglich. Rösler war von seinem Konzept so überzeugt, dass er sein politisches Schicksal daran knüpfte. Für seine Pläne erntete er aber vor allem Schelte. Auch aus den eigenen Reihen. Geblieben ist daher nur der Kompromiss der entdeckelten Zusatzbeiträge. Wieder Kritik. Doch das beeindruckte Rösler wenig: Seine Gesetzespläne seien keine "Jahrhundertreform". Das Gesundheitssystem müsse eben "schrittweise" umgestellt werden, sagte er - und blieb im Amt.

Lobbyist bleibt man so oder so

Aus Sicht Philipp Röslers ist das Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG) ein Meilenstein liberaler Gesundheitspolitik. Es habe das Preismonopol der Pharmaindustrie gebrochen und dauerhaft mehr Wettbewerb geschaffen, wird er nicht müde zu betonen. Ob das stimmt, muss sich allerdings erst noch herausstellen. In den gut drei Monaten seit das Gesetz in Kraft ist, konnte es keine sichtbare Wirkung entfalten. Für die Arzneimittelhersteller bedeutet das AMNOG tatsächlich eine Zäsur. Erstmalig gibt es ein staatlich reglementiertes Verhandlungsverfahren für neue, innovative Arzneimittel. Die Opposition warf Rösler dennoch Lobbyismus vor.

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