Hintergrund

Schweinegrippe-Impfstoff wird zum Trauma der Länder

Vor zwei Jahren bestellten die Länder Impfstoffe gegen die Schweinegrippe. Der Wert: 700 Millionen Euro. Es sollte eine Order mit Folgen werden, denn der Bund wollte sich nicht an den Kosten beteiligen. Nun hocken die Länder auf 29 Millionen Impfdosen. Das Haltbarkeitsdatum läuft bald ab, der Schaden geht in die Millionen.

Von Rebecca Beerheide Veröffentlicht:
Ungeliebte Impfung: Nur fünf Millionen Dosen wurden verimpft.

Ungeliebte Impfung: Nur fünf Millionen Dosen wurden verimpft.

© Woitas / dpa

Vor fast genau zwei Jahren gab das Thüringer Sozialministerium -  damals turnusgemäß Vorsitzland der Gesundheitsministerkonferenz -  eine finanziell folgenschwere Bestellung auf: Für 700 Millionen Euro wurden 50 Millionen Impfdosen gegen die damals ausgebrochene Schweinegrippe H1N1 bestellt.

Damit sollten 30 Prozent der Bevölkerung geimpft werden, zuerst Polizisten, Feuerwehrleute sowie Ärzte und Pflegepersonal, danach chronisch Kranke.

Aufgrund der Studien zu den Musterimpfstoffen wurde davon ausgegangen, dass jede Person zweimal geimpft werden muss - im Verlauf der Pandemie stellte sich heraus, dass eine Impfung genügt.

Dennoch waren 50 Millionen Dosen eine hohe Zahl -  aus Kreisen der Ländergesundheitsminister verlautete Monate nach der Bestellung, dass in damaligen Wahlkampfzeiten das Kanzleramt darauf einwirkte, eine größere Menge an Impfstoffen zu bestellen.

Doch was dann folgte, ist für die Länder bis heute eine fast schon traumatische Erfahrung: Dass sich nach einigen Wochen herausstellte, dass nur eine Impfung für Erwachsene nötig ist, konnte zum Bestellzeitpunkt niemand wissen.

Zusätzlich aber ließen sich viele  verunsicherte Bürger gar nicht erst impfen. Zwar schafften Bund und Länder es in Nachverhandlungen mit dem Impfstoffhersteller GlaxoSmithKline, die Bestellung von 50 Millionen auf 34 Millionen Dosen herunter zuhandeln.

Davon wurden aber nur rund fünf Millionen Dosen verimpft - die Länder bleiben auf 29 Millionen Impfdosen sitzen. Und auf einem Schaden von 245 Millionen Euro.

Denn entgegen der - nach Lesart der Länder -   Zusagen des Bundes, sich an der Finanzierung des Impfstoffes zu beteiligen, ist bis heute dafür keine Einigung in Sicht.

Einen Käufer im Ausland fanden die Länder am Ende der Pandemie nicht mehr. Der Bund verweigert Gespräche mit dem Verweis darauf, dass nach aktueller Gesetzeslage die Länder für die Bestellung von Impfstoffen zuständig sind -  Motto: wer bestellt der zahlt.

Naturgemäß sehen das die Länder anders. Im Protokoll der Gesundheitsministerkonferenz Ende Juni in Frankfurt verzeichneten sie eine Erklärung: "Die Länder halten nach wie vor an ihrer Auffassung fest, dass die Beschaffung von Impfstoffen und antiviralen Arzneimitteln Aufgabe des Bundes ist." Eine Protokollnotiz, die das ganze Trauma deutlich macht.

Doch die Länder wollen zwei Jahre nach der Bestellung aus den Erfahrungen lernen: Im veröffentlichten Teil der Evaluation haben sie 21 Punkte beschlossen, wie künftig mit Pandemien umgegangen werden soll.

Sie plädieren für eine ausführliche Evaluation und eine Fortschreibung des Pandemieplanes unter dem Eindruck der Schweinegrippe. Bund, Länder, RKI, Bundesärztekammer sowie KVen sollen sich an einen Tisch setzen und die Weiterentwicklung des Planes erarbeiten.

Dabei soll auch auf die föderale Struktur Deutschlands Rücksicht genommen werden: Nicht alle WHO-Empfehlungen sollen ohne Prüfungen übernommen werden, regionale Unterschiede bei den Strukturen der Länder sollen bei der Impfstrategie bedacht werden.

Das Bundesgesundheitsministerium wird aufgefordert eine Regelung zu erarbeiten, die die Kassen verpflichtet, "auf Bundesebene Verträge mit den Ländern über die Impfvergütung im Pandemiefall abzuschließen", heißt es im Protokoll.

Vor allem wollen die Länder erreichen, dass sich ihr Trauma der Finanzlast von nicht-verimpften Vakzinen nicht wiederholt. In gleich mehreren Punkten der Evaluation wird darauf hingewiesen, dass die Sicherung der Versorgung mit Impfstoffen alleine beim Bund liegt.

Bei den künftigen Verhandlungen mit Impfstoffherstellern wollen die Länder allerdings weiterhin einen Platz am Verhandlungstisch besetzen.

Auch sollen die Impfstoffhersteller dazu verpflichtet werden, dass die "Vorkonfektionierung von Impfstoff Gebinde in kleinen Einheiten zusammenfügt und sachgerecht bereitgestellt werden". Der Impfstoff Pandemrix® wurde in Flaschen für je zehn Impfungen geliefert.

Viele dieser Flaschen sind seit bald zwei Jahren eingelagert - an welchem Ort, das ist ein gut gehütetes Staatsgeheimnis. Nicht geheim ist, dass deren Haltbarkeit in den kommenden Monaten abläuft. Und so nach und nach Impfstoffe für 245 Millionen Euro entsorgt werden.

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