Weniger Drogentote - und dennoch Kritik

In Deutschland sterben immer weniger Menschen durch Drogen. Kein Grund zur Entwarnung, denn die Zahl der Konsumenten steigt weiter. Auf der Suche nach den richtigen Rezepten liefern sich Experten und Regierung einen heftigen Schlagabtausch.

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Heroinspitze in der Fixerstube: Experten bezweifeln, dass die bisherigen Therapiemöglichkeiten ausreichend sind.

Heroinspitze in der Fixerstube: Experten bezweifeln, dass die bisherigen Therapiemöglichkeiten ausreichend sind.

© Frank Rumpenhorst / dpa

BERLIN (sun/nös). Die Zahl der Drogentoten ist 2011 bundesweit auf den niedrigsten Stand seit gut zwanzig Jahren gesunken. Im vergangenen Jahr starben 986 Menschen an ihrem Drogenkonsum. Im Jahr 2010 waren es bundesweit noch 1237 Drogentote (im Jahr 1991: 2125).

"Der starke Rückgang ist ein erfreulicher Trend und zeigt, dass die bestehenden Hilfs- und Behandlungsangebote erfolgreich sind", sagte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans (FDP), anlässlich der Vorstellung der Zahl der Drogentoten in Berlin.

Angebote wie die Substitutionsbehandlung mit Methadon, eine diamorphingestützte Behandlung oder Drogenkonsumräume trügen dazu bei, dass Drogensüchtige länger überleben könnten.

Das Durchschnittsalter der Drogentoten sei auf 37 Jahre angestiegen. Im Jahr 2002 lag der Altersdurchschnitt unter den Drogentoten noch bei 32 Jahren.

"Die Haupttodesursache ist immer noch eine Überdosis von Heroin in Verbindung mit sonstigen Drogen", sagte Dyckmans.

Höheres Sterberisiko bei Abstinenzorientierung

Doch trotz des erfreulichen Rückgangs bei der Zahl der Drogentoten bleiben zahlreiche Baustellen offen. Beispiel Substitutionsbehandlung: Experten bezweifeln, dass die derzeitigen Regelungen ausreichend sind, um Drogenabhängige dauerhaft wieder in die Abstinenz zu bringen.

So wird schon das Ziel der Substitutionsbehandlung kritisiert. Nach Paragraf 5 der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) soll das die "schrittweise Wiederherstellung der Betäubungsmittelabstinenz" sein.

Erst im vergangenen Jahr kam ein internationales Forscherteam zu dem Ergebnis, dass "eine ausgeprägte Abstinenzorientierung der Einrichtung offensichtlich mit erhöhten negativen Verlaufsrisiken der Patienten assoziiert" ist (Suchtmed 2011; 13(05) 253-257).

Gemeint ist damit nicht nur das Risiko langfristiger Therapieunterbrechungen, sondern auch ein erhöhtes Mortalitätsrisiko.

Außerdem konnten die Forscher zeigen, dass trotz Substitutionstherapie langfristig nur gut vier Prozent der Patienten nachweislich abstinent bleiben.

Auch die Bundesregierung kennt diese Daten der PREMOS-Studie. Einen Grund, akut zu handeln, sieht sie allerdings nicht.

"Die Ergebnisse belegen, dass die Betroffenen eine mittel- bis langfristige therapeutische Begleitung benötigen", heißt es in einer der "Ärzte Zeitung" vorliegenden Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen. Die Bundesregierung verweist auf die "Diskussion in den Fachkreisen".

Auch bei dem erhöhten Sterberisiko wegen der Abstinenzorientierung in der Therapie sieht die Regierung derzeit keinen konkreten Handlungsbedarf. Allerdings werde sie die "gesundheitspolitische Diskussion zu den Ergebnissen weiter aufmerksam beobachten".

Kein Grund zur Entwarnung

Für den drogen- und suchtpolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, Harald Terpe, ein Unding. Er bezeichnete die Erfolgsmeldung Dyckmans als "irreführend".

"Die Bundesregierung ist nicht bereit, den Rechtsrahmen für die Versorgung von Heroinabhängigen zu liberalisieren", sagte Terpe der "Ärzte Zeitung." Weiter: "Die Regierung nimmt damit billigend erhebliche Risiken für Leben und Gesundheit der Abhängigen in Kauf."

Die Drogenpolitik der schwarz-gelben Koalition setze zu sehr auf Repression statt auf Schadensminderung und Hilfe, monierte Terpe. Statt dessen sei eine gründliche Evaluation der Drogenpolitik erforderlich.

Verhalten äußerte sich auch der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke. Zwar geht bei jungen Menschen den Zahlen zufolge der Konsum von Heroin zurück. 2011 waren es 2742 Personen (im Vergleich zu 2010 minus 14,3 Prozent).

Grund zur Entwarnung gebe es dennoch nicht, betonte der BKA-Präsident. Inzwischen griffen junge Menschen häufiger zu Amphetaminen.

Die erstauffälligen Konsumenten von synthetischen Drogen wie Speed und Crystal sei im achten Jahr in Folge angestiegen, so Ziercke. Die Zahl der polizeilich erstauffälligen Konsumenten harter Drogen sei im Jahr 2011 um 14 Prozent auf insgesamt 21.315 angestiegen.

Darüber hinaus gebe es aber noch eine Dunkelziffer der Drogenkonsumenten. Zudem sei nicht bekannt, wie lange diese Menschen bereits Drogen konsumierten.

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