Kassen unter Kartellrecht? "Grotesker Wahnsinn"
Netzwerken ist nichts für schwache Nerven: Zur Eröffnung ihres Kongresses in Berlin haben die Gesundheitsnetzwerker über Wahnsinn und einen ominösen "dritten Sektor" diskutiert.
Veröffentlicht:BERLIN. Es war nicht das Versorgungsstrukturgesetz, das die Gemüter bei der Eröffnungsveranstaltung des 7. Kongresses für Gesundheitsnetzwerker am Mittwoch in Berlin am stärksten erhitzte. Es war die Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), die Angela Merkels Kabinett am Mittwoch durchgewunken hat.
Einen "grotesken Wahnsinn" nannte der Chef der DAK-Gesundheit, Professor Herbert Rebscher die Absicht, das Kartellrecht wieder auf die Krankenkassen auszudehnen. Ihn trieb weniger die Kontrolle von Kassenfusionen um.
Das GWB soll, so sieht es das Wirtschaftsministerium, künftig auch Absprachen von Krankenkassen aufgreifen, die den Wettbewerb einschränken könnten. Das könnten zum Beispiel auch Selektivverträge sein, die mehrere Kassen gemeinsam auflegten.
Zusammenarbeit von Kassen nötig
Wenn man populationsbezogen wichtige Versorgungsthemen aufgreife, brauche man die Zusammenarbeit mehrerer Kassen. "Sonst kriegen Sie die Power gar nicht in die Erfahrungswelt des IV-Vertrags", sagte Rebscher.
Zusammenarbeit von Kassen bei der Integrierten Versorgung müsse künftig unter Umständen unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten beurteilt werden. "Dann diskutieren Menschen, die überhaupt nichts mit Versorgung zu tun haben, darüber, ob wir das dürfen", wetterte Rebscher.
Ganz ausschließen wollte Ministerialdirigent Dr. Ulrich Orlowski, der im Gesundheitsministerium für die Krankenkassen zuständig ist, dies nicht. Kooperationen von Kassen fielen auch nach dem neuen Gesetz nicht unter das Kartellrecht, sagte Orlowski.
Aber: Die Zusammenarbeit bei Selektivverträgen könne untersagt werden, wenn die Vertragspartner dadurch einen regionalen Markt zu beherrschen drohten.
Eine weitere Diskussion entspann sich um die Bedeutung des neuen spezialfachärztlichen Versorgungsbereiches. Orlowski räumte ein, dass der neue Paragraf 116 b des SGB V einen "massiven Interessenskonflikt" zwischen Kassenärzten, Kassen und Krankenhäusern auslöse.
Für die Parteien gehe es darum, im Gemeinsamen Bundesausschuss Mehrheiten zu finden, damit bei der Umsetzung der Vorgaben für den 116 b auch das herauskomme, was damit intendiert sei, nämlich die Verbesserung der Kooperation an der Schnittstelle.
Orlowski: Keine Bedarfsplanung für Spezialfachärzte
Orlowski warnte davor, den spezialfachärztlichen Versorgungsbereich als "dritten Sektor" einzuordnen. Es handele sich vielmehr um das Herauslösen von Versorgungsanteilen aus zwei überplanten Sektoren.
"Wir wollen aber in diesem Bereich keine Planung. Keine Bedarfsplanung, keine Mengensteuerung", sagte Orlowski.
Patientenvertreter müssten genau hinschauen, ob die neue Versorgungsform die Durchlässigkeit des Systems erhöhe oder neue Hürden aufbaue, sagte Dr. Stefan Etgeton von der Bertelsmann Stiftung.
Gesundheitsstaatssekretärin Annette Widmann-Mauz (CDU) hatte zuvor bekräftigt, dass der stufenweise Aufbau von spezialfachärztlichen Ambulanzen zügig vorangetrieben werden solle.
Außerdem betonte sie, dass Ärzte-Netzwerken eine wachsende Verantwortung zukomme: "Integrierte Versorgung, hausarztzentrierte Versorgung und Medizinische Versorgungszentren werden die Versorgung bestimmen."