Power-Forscher brauchen fördernde Politik!

Der Blick auf die medizinische Wissenschaft in Deutschland macht klar: Nötig sind begeisterte Forscher, aber auch Unterstützung durch Gesellschaft und Politik, schreibt Joachim Mössner im Manuskript seiner Festrede.

Von Joachim Mössner Veröffentlicht:
Die Welt der Wissenschaft im Blick: Kongresspräsident Professor Joachim Mössner.

Die Welt der Wissenschaft im Blick: Kongresspräsident Professor Joachim Mössner.

© DGIM

(...) Ich hatte eingangs gesagt, dass Wissenschaft in einer Diktatur ohne Meinungsfreiheit und ohne die Möglichkeit des internationalen Austauschs nicht gedeihen kann. Ich frage mich aber unverändert, weshalb die deutsche Medizin bis 1914 in einem Obrigkeitsstaat mit adliger Hybris so erfolgreich war. Lag es an den finanziellen Ressourcen für die Forschung, am Arbeitseifer des Wissenschaftlers, der keine Rücksicht auf die sogenannte "work-life-balance" nahm, an weniger Bürokratie oder an der Motivation durch gesellschaftliche Anerkennung? Ein sehr hohes Einkommen hatten Wissenschaftler und die wenigen Wissenschaftlerinnen zur damaligen Zeit sicher nicht.

Latte für Einhaltung ethischer Standards liegt inzwischen deutlich höher

Es mag richtig sein, dass das eine oder andere wissenschaftliche Projekt heute von Außenstehenden kritischer gesehen wird. Richtig ist sicher, dass die Latte für die Einhaltung ethischer Standards, Tierversuche inbegriffen, deutlich höher als früher liegt. Ich hoffe mich zu täuschen, aber mein Eindruck ist, dass die gesellschaftliche Anerkennung wissenschaftlicher Leistungen und die Motivation zu Experimentieren, die wissenschaftliche Neugier zu befriedigen, zumindest in der Medizin, geringer geworden sind. Ich möchte nicht mit den Römern platt antworten "plenus venter non studet libenter", eine satte Gesellschaft studiert nicht gerne. Eine schlechtere Bezahlung für Ärztinnen und Ärzte im Forschungslabor im Vergleich zu klinisch tätigen Ärzten empfinde ich, wie ich in einem der DGIM-Newsletter bereits schrieb, unserer Gesellschaft für unwürdig.

Forschung auf Zeit wird zu Recht kritisch gesehen

Geänderte Lebensentwürfe, um hier wieder die "work-life-balance" zu nennen, dürften eine Rolle spielen, vielleicht auch eine kritischere Einstellung der Wissenschaft gegenüber. Eine Rolle spielen ferner die zu wenigen attraktiven Langzeitpositionen an Universitätskliniken. Forschung auf Zeit und Habilitation, nur mit dem Ziel Chefarzt zu werden, wird zu Recht kritisch gesehen (...).

Das wissenschaftliche Niveau vieler medizinischer Promotionen lässt auch oft zu wünschen übrig. Viele Studierende streben gar keinen "Doktortitel" mehr an. Die für einen künftigen ärztlichen Wissenschaftler sehr attraktiven MD-PhD Programme vieler Medizinischer Fakultäten werden auch von zu Wenigen angenommen.

Die "Medizin wird weiblich"

Ein weiteres plattes Schlagwort, welches aber einen richtigen Sachverhalt beschreibt: die "Medizin wird weiblich". Der Wissenschaftsrat, die Politik allgemein, monieren, dass nicht nur an Universitäten zu wenige Frauen in Führungspositionen seien.

(...) Gerade die Innere Medizin ist für Frauen ein sehr attraktives Gebiet. Wir müssen daher an den Universitätskliniken Rahmenbedingungen schaffen, die die Motivation zur wissenschaftlichen Arbeit deutlich erhöhen.

Schlagwort moderen sogenannte Leonardo-Welt

(...) Ich erinnere mich noch an einen Vortrag von Jürgen Mittelstraß, Philosoph aus Konstanz. Er hebt die Rolle der deutenden Geisteswissenschaften für die moderne sogenannte Leonardo-Welt, das heißt die "gemachte" Welt, hervor. Probleme, die in dieser Welt entstehen, können auch nur in einer Leonardo-Welt gelöst werden. Wenn ich in dieser Leonardo Welt in Form einer Patienten-Chipkarte rasch erfahre, welche Erkrankungen vorliegen, zum Beispiel welches Tumorstadium, welche Chemotherapien in welcher Dosis in welchem Zeitraum erfolgt sind, habe ich kein Verständnis mehr dafür, Zeit für das Durchsuchen von Papierakten zu verbringen oder via Telefon zu versuchen, andere in der Behandlung des Patienten involvierte Kollegen zu erreichen, um sie zu bitten, mir die Befunde zu schicken. Nur in dieser Leonardo-Welt können Lösungen gefunden werden, wie der Datenschutz und das Arztgeheimnis aufrecht erhalten werden können.

Ich zahle oft mit Kreditkarte. Man könnte von mir ein Profil erstellen, wann ich wo war, was ich esse, welche Kleidung ich kaufe. Ich fotografiere mit einer elektronischen Kamera mit GPS System. Man könnte wissen, wann ich wo auf der Welt was fotografiert habe. Mit dem eingeschalteten Handy in der Tasche könnte ich im Umkreis von 100 Metern geortet werden. Schon vor geraumer Zeit habe ich unter google earth meine Klinikadresse eingegeben. Man sah aus dem All meinen alten Mercedes auf dem Parkplatz als einziges Auto stehen. Es muss wohl ein Sonntagmorgen gewesen sein, als das Foto aus dem Satelliten geschossen wurde.

Potenzielle Möglichkeiten und Risiken genetischer Diagnostik

Wir werden mit den Möglichkeiten der genetischen Diagnostik gezielter therapieren können. (...) Wir können derzeit die potenziellen Konsequenzen einer genetischen und epigenetischen Diagnostik noch gar nicht abschätzen. Mein Mitarbeiter, einer unserer Kongresssekretäre, Jonas Rosendahl, führt gefördert durch die DFG genomweite Assoziationsstudien bei Gesunden und Patienten mit verschiedenen Formen der chronischen Pankreatitis durch. Die Hoffnung ist, neue genetische Assoziationen zu finden, die das pathogenetische Verständnis der Erkrankung erweitern.

Aber wie interpretieren wir genetische Befunde, die mir sagen, dass das statistische Risiko eine Pankreatitis zu bekommen oder einen Herzinfarkt in 20 Jahren 2 Prozent höher ist als bei Personen ohne diesen "SNP"?

Die Empfehlung zur Prävention, nicht zu rauchen, Sport zu treiben, mediterrane Kost zu essen und Alkohol nur in Maßen zu trinken, empfehlen wir doch mit unterschiedlichen Erfolgsaussichten Jedem!

Wir versuchen diese ungelösten Probleme, unter anderem auch die der genetischen Diagnostik, in Deutschland durch Gesetze zu regeln. Wissen unsere Politiker nicht, dass wir in einer globalen Welt leben? Wenn es den 500 Euro-Chip in einem andern Land gibt, der mir mein genetisches Profil zeigt, dann wird sicher der Eine oder Andere es wissen wollen, wird dann googeln, nichts verstehen oder Ängste entwickeln und seinen Arzt um Rat aufsuchen. Ich darf noch einmal Mittelstraß zitieren. Wir leben in einer Leonardo-Welt und können diese Probleme nur in dieser Welt lösen. Es gibt kein "zurück".

Wenn wir in Deutschland dieser Welt der Wissenschaft zunehmend kritischer gegenüber treten, dann werden uns andere Länder, nicht nur bezüglich Wohlstand und Niveau der gesundheitlichen Versorgung, überholen. Wir müssen schneller als andere Lösungen für diese neuen Probleme finden. Das ist nur durch Begeisterung für die Wissenschaft, Ideenvielfalt, Experimentierfreudigkeit, Ehrlichkeit, Fleiß und sogenannte Frustrationstoleranz möglich, erfordert aber auch eine Gesellschaft und Politik, die dies erkannt hat und entsprechend unterstützt.

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