Gastbeitrag

Zu viele Op? Endoprothesenregister könnte Klarheit schaffen

Der Verdacht ist leicht ausgesprochen: Es wird zu viel operiert in Deutschland. Doch die Frage, ob ökonomische Anreize die medizinische Indikation dominieren, ist nicht leicht zu beantworten. Eine langfristige Option wäre ein Endoprothesenregister.

Von Fritz Beske Veröffentlicht:
Professor Dr. med. Fritz Beske, MPH, leitet das Fritz Beske Institut für Gesundheits-System-Forschung in Kiel.

Professor Dr. med. Fritz Beske, MPH, leitet das Fritz Beske Institut für Gesundheits-System-Forschung in Kiel.

© IGSF

"Wird Senioren bald nicht mehr jede Op bezahlt?" titelt "Bild" am 3. Mai 2012. Und weiter: "Sein Vorschlag sorgt für Wirbel: Gesundheitsminister Daniel Bahr will die Zahl der Operationen in Deutschland reduzieren".

"Deutschland gilt als Weltmeister bei den Endoprothesen für Knie und Hüften. Krankenkassen und Patienten bezweifeln, ob die Fallzahlsteigerungen notwendig sind", sagte Bahr der Rheinischen Post Anfang Mai.

"Wir haben ja schon einen Abschlag für Mengenausweitungen eingeführt. Der wirkt aber offenbar noch nicht ausreichend. Deshalb prüfen wir in der Regierung, wie wir durch weitere ökonomische Anreize die immer weiter steigenden Fallzahlen in den Kliniken reduzieren können".

Mehr Operationen, weil Bevölkerung altert

Zunächst ist festzustellen, dass Deutschland nach den OECD-Indikatoren für 2011 mit 296 Hüftgelenkendoprothesen und 213 Kniegelenkendoprothesen pro 100.000 Einwohner die höchste Zahl an Endoprothesen zu verzeichnen hatte.

Allerdings: Die Schweiz hat mit 287 pro 100.000 Einwohner kaum weniger Hüftgelenkendoprothesen und die USA bei den Kniegelenkendoprothesen die gleiche Häufigkeit wie Deutschland aufgewiesen.

Die Statistik macht keine Angaben zur Indikation für eine Endoprothese. Die Notwendigkeit für eine Hüft- oder Kniegelenkendoprothese nimmt mit dem Alter zu. Die deutsche Bevölkerung altert, womit sich zwangsläufig ein höherer Bedarf an Endoprothesen ergibt.

Beide Operationen können für ein Krankenhaus aber auch lukrativ sein. Eine Endoprothese bringt zwischen 6100 und 7500 Euro, für einen Prothesenwechsel werden rund 14.000 Euro bezahlt.

Alle Einrichtungen sollten sich beteiligen

Die Frage, ob die Häufigkeit von Endoprothesen in diesem Umfang medizinisch gerechtfertigt ist, kann jedoch durch einen internationalen Vergleich nicht beantwortet werden. Für eine bedarfsgerechte Versorgung fehlen wissenschaftlich anerkannte Maßstäbe.

Das wohl wichtigste Instrument zur qualitativen Lösung dieses Problems ist ein Endoprothesenregister, seit Jahren erfolglos gefordert. Doch jetzt kommt Bewegung in dieses Thema.

Ein Endoprothesenregister umfasst idealerweise bundesweit alle Einrichtungen, in denen Endoprothesen eingesetzt werden. Es enthält für jede eingesetzte Endoprothese Angaben zu Ort und Zeit der Operation, womit die Standzeit ermittelt werden kann, klinische Daten und Produktinformationen.

Ein Endoprothesenregister ist eine qualitätssichernde Maßnahme, lässt aber auch Einblicke in die Indikationsstellung zu.

Freiwilliges Endoprothesenregister angekündigt

Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit Antrag vom 7. Februar 2012 für alle implantierbaren Medizinprodukte ein verbindliches Register gefordert. Das AQUA-Institut hat im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses ein Qualitätssicherungsverfahren zur Hüftendoprothesenversorgung entwickelt.

Professor Hassenpflug vom Universitätsklinikum Kiel kündigte 2011 als Geschäftsführer der EPRD gGmbH, einer Tochter der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie für das zweite Quartal 2012 den Beginn der Datenerhebung eines freiwilligen Endoprothesenregisters Deutschland (EPRD) an.

Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information kommt unter der Überschrift "Gelenkendoprothesenregister für Deutschland" bereits 2009 nach Auswertung von 30 Gelenkendoprothesenregistern in 19 Ländern zu dem Ergebnis, dass die Einführung eines Gelenkendoprothesenregisters verspricht, einen wichtigen Beitrag zur Qualitätsverbesserung der Patientenversorgung zu leisten.

"Die Gelenkendoprothesenregister verfügen über ein großes medizinisches und gesundheitsökonomisches Nutzungspotenzial".

Verzicht auf Op bedeutet erhebliche Einschränkung der Lebensqualität

Es werden Jahre vergehen, bis für Deutschland verwertbare Ergebnisse vorliegen. Wegen der auch gesundheitsökonomischen Bedeutung eines solchen Registers sollten zur Erreichung einer flächendeckenden Beteiligung neben Anreizsystemen aber auch Sanktionen bei Nichtbeteiligung erwogen werden.

Kurzfristig wirkende Maßnahmen stehen wohl nicht zur Verfügung. Gewarnt werden muss jedoch vor unqualifizierten Maßnahmen.

Medizinisch erforderlich ist eine Einzelfallentscheidung, wobei es abgesehen von unfallbedingten Hüftendoprothesen natürlich vorwiegend um Senioren geht.

Im Einzelfall müssen Gegenrechnungen aufgemacht werden, die Folgekosten bei Verzicht auf eine Endoprothese enthalten. Die wesentlichen Folgeerscheinungen sind Schmerzen und Bewegungseinschränkungen.

Dies erfordert eine kontinuierliche medizinische Behandlung mit Schmerzmitteln und Physiotherapie sowie schließlich einen Rollstuhl bis hin zur Pflegebedürftigkeit. Die Kosten können erheblich sein. Hinzu kommt eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität.

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