Orphan Diseases

Mehr Engagement für die Waisen

Erkennung und Behandlung von Orphan Diseases sind eine der größten Herausforderungen für Ärzte. Doch seit mehr als zehn Jahren gibt es beachtliche Fortschritte.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Einer von ganz wenigen:Nils leidet anAchromatopsie.Die rote Brilleschützt vor Licht,lesen kann ernur mit Lupe.

Einer von ganz wenigen:Nils leidet anAchromatopsie.Die rote Brilleschützt vor Licht,lesen kann ernur mit Lupe.

© dpa

Nils lebt in einer Welt verschwommener Grautöne. Der Junge ist einer von etwa 3000 Menschen in Deutschland, die an der sehr seltenen Erbkrankheit Achromatatopsie leiden. Die Krankheit ist irreversibel, eine Therapie gibt es nicht.

Nur sehr spezifische Hilfsmittel wie Brillen mit Blendschutz, spezielle Lupen oder elektronische Farberkennungsgeräte helfen im Alltag, die massiven Sehprobleme etwas zu lindern.

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Weiteres zu seltenen Erkrankungen lesen Sie im Dossier Orphan Diseases der "Ärzte Zeitung" ...

Noch vor gut zehn Jahren waren seltene Krankheiten eine tabula rasa - das hat sich inzwischen geändert. Aus gutem Grund: Für Deutschland wird geschätzt, dass es mehr als 5000 verschiedene schwere erblich bedingte seltene Krankheiten gibt, von denen vier Millionen Menschen von Geburt an betroffen sind. Insgesamt gesehen, sind seltene Krankheiten also kein seltenes Phänomen.

Orphan Diseases stellen die Medizin allerdings vor zwei besondere Herausforderungen: die richtige Diagnose zu finden und spezifische Therapien, meist Pharmakotherapien zu entwickeln.

Die Folge ist, dass Patienten, oft Kinder, mit ihren Eltern eine lange Odyssee durch die medizinischen Disziplinen machen, bevor eine seltene Krankheit korrekt erkannt wird. Der Grund liegt auf der Hand: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Allgemein-, aber auch ein Kinderarzt mit einem der seltenen Krankheitsbilder im Praxisalltag konfrontiert wird, ist sehr gering.

Höhere Priorität in der Gesundheitspolitik

Vor fünf Jahren hat deshalb die Allianz für chronisch seltene Erkrankungen (ACHSE) mit der Ärztin Dr. Christine Mundlos an der Charité in Berlin eine Lotsin institutionalisiert, die ihren Kollegen an der Peripherie bei der Diagnosefindung hilft.

Sie unterstützt Rat suchende Ärzte, die bei ihren Patienten den Verdacht auf eine seltene Krankheit haben, bei der Recherche und Vermittlung von Experten. Ein weiteres Ziel des ACHSE-Projekts ist es, ein Expertennetzwerk aufzubauen, das Mediziner bei der Diagnose- und Therapiefindung unterstützt.

In Deutschland ist es vor allem ein Verdienst der in ACHSE zusammengeschlossenen Selbsthilfegruppen, dass Menschen mit seltenen Krankheiten heute nicht mehr nur im Schatten stehen. Spätestens mit der Schirmherrschaft von Marie Luise Köhler für ACHSE, der Gattin des früheren Bundespräsidenten Horst Köhler, haben diese Patienten prominente Unterstützung erfahren.

Aber auch die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen und Prioritäten haben sich verbessert. 2009 empfahl der Rat der Europäischen Union seinen Mitgliedsstaaten, nationale Aktionspläne für die Patienten mit seltenen Krankheiten zu entwickeln und umzusetzen.

Das ist im August dieses Jahres mit einem entsprechenden Kabinettsbeschluss geschehen. Im "Nationalen Aktionsplan für Menschen mit Seltenen Erkrankungen" (NAMSE) arbeiten Gesundheits- und Forschungsministerium, Organisationen der Ärzte, der Pharma-Industrie und der Selbsthilfegruppen sowie Wissenschaftler zusammen, um einen Plan von insgesamt 52 Einzelpunkten zu realisieren.

Über tausend laufend Forschungsvorhaben

Dazu gehört der Aufbau einer strukturierten Versorgung und drei verschiedenen Typen von Zentren: in ambulanten Schwerpunkt- und Gemeinschaftspraxen, MVZs oder Fachabteilungen von Krankenhäusern in der Peripherie (Typ C), die für die konkrete Versorgung der betroffenen Patienten zuständig sind, Typ-B-Zentren in der stationären Versorgung und schließlich Zentren, die sich um unklare Diagnosen kümmern, Forschung betreiben, Register und Biobanken anlegen und Ärzte ausbilden.

Ferner wird ein Informationsportal im Internet geschaffen, das Ärzten die Diagnosefindung erleichtert.

Ein weiteres Projekt ist die Realisierung der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung für Patienten mit seltenen Krankheiten durch Vertragsärzte und Krankenhäuser nach Paragraf 116b SGB V. An der konkreten Ausgestaltung arbeitet gegenwärtig der Gemeinsame Bundesausschuss.

Während die Struktur der ärztlichen Versorgung mit Blick auf Orphan Diseases noch am Anfang steht, sind die pharmakotherapeutischen Fortschritte augenfällig. Das entscheidende Datum ist der 22. Januar 2000: An diesem Tag trat die EG-Verordnung über Arzneimittel für seltene Krankheiten in Kraft.

17 Jahre nach den USA schuf die Europäische Union besondere Zulassungs- und Marktbedingungen für Orphan Drugs mit dem Ziel, die Entwicklung solcher Arzneimittel zu fördern. Das hat die Forschung beflügelt: Bis dato sind 67 neue Orphan Drugs verfügbar, weitere 22 haben zwischenzeitlich den Orphan Drug Status verloren.

Insgesamt laufen rund 1000 nicht abgeschlossene Forschungsvorhaben in der pharmazeutischen Industrie. In der frühen Nutzenbewertung haben diese Arzneimittel einen Sonderstatus - ihr Zusatznutzen gilt aufgrund der EU-Zulassung als anerkannt, was anfangs nicht unumstritten war.

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