Jubiläum

Göttinger Giftexperten helfen Garagen-Grillern und Pilzsammlern

Seit 20 Jahren geben die Experten vom Giftinformationszentrum Nord Ratschläge bei Vergiftungen: Ihre Patientenpalette reicht von neugieren Kindern bis zu Konsumenten von "Legal Highs".

Von Heide Niemann Veröffentlicht:
„Bonbons“ mit fataler Wirkung: 5000 Anrufe wegen Vergiftungen bei Kindern werden jährlich registriert.

„Bonbons“ mit fataler Wirkung: 5000 Anrufe wegen Vergiftungen bei Kindern werden jährlich registriert.

© Kobold/Fotolia.com

GÖTTINGEN. Im September 2015 klingelt beim Giftinformationszentrum Nord (GIZ-Nord) in Göttingen ununterbrochen das Telefon. Ärzte mehrerer Krankenhäuser fragen, wie sie die knapp 30 Patienten behandeln sollen, die mit einem Großaufgebot von Notärzten, Sanitätern, Polizisten und Feuerwehrleuten in die Notaufnahme gebracht worden sind.

Die Patienten sind Teilnehmer eines Heilpraktiker-Treffens im Landkreis Harburg, die offenbar in einen kollektiven Drogenrausch geraten sind. Die Göttinger Experten empfehlen, die halluzinierenden Heilpraktiker weiter im Krankenhaus zu behalten und ihnen krampflösende Mittel zu geben.

Die Mitarbeiter des GIZ-Nord kennen sich mit Vergiftungen aller Art aus: Seit 20 Jahren ist das Giftinformationszentrum die zentrale Beratungsstelle für die Bundesländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen. Am kommenden Montag feiert die Einrichtung das Jubiläum mit einem Festakt in der Aula der Universität Göttingen.

Rund jeder zweiter Anrufer ist Arzt

Seit dem Start der länderübergreifenden Einrichtung im Jahr 1996 greifen immer mehr Ratsuchende zum Telefon, um sich Tipps bei den Göttinger Giftexperten zu holen. Gab es im ersten Jahr noch 15.000 Anrufe, sind es inzwischen mehr als 37.000. Durchschnittlich nehmen die Mitarbeiter jeden Tag zwischen 100 und 150 Anrufe entgegen. Knapp die Hälfte der Anrufer sind Ärzte.

Auch viele Laien nehmen den Rat der Giftexperten in Anspruch. Häufig gehe es um akute Vergiftungsfälle bei Kindern, sagt der Toxikologe Dr. Martin Ebbecke, der das GIZ-Nord gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Andreas Schaper leitet.

Zu den "Klassikern" gehören Vergiftungen durch Pflanzen, zum Beispiel durch den giftigen Goldregen. "Wir haben bereits wieder die ersten Fälle gehabt", sagt Ebbecke. Meist haben Kinder die erbsenähnlichen Früchte genascht, in denen sich die höchste Konzentration an Giftstoffen befindet. Schon der Verzehr geringer Mengen kann zu starken Magen- und Darmbeschwerden führen.

Pilzvergiftung - ein "Klassiker"

Eine andere große Gefahr für Kinder stellen chemische Produkte und Arzneimittel dar. Die Göttinger Giftexperten registrieren jährlich mehr als 5000 Fälle, in denen Babys und Kleinkinder Reinigungsmittel und andere Chemikalien verschluckt hatten. Bei Erwachsenen sind viele Vergiftungen auf unvorsichtiges Verhalten zurückzuführen.

Sind es im Herbst vor allem Pilzvergiftungen, kommt es in den Sommermonaten immer wieder zu lebensgefährlichen Vergiftungen beim Grillen - zum Beispiel, wenn Grillfans wegen einsetzenden Regens oder Kälte den glühenden Grill in die Garage stellen und nicht bedenken, dass beim Verbrennen von Holzkohle in Innenräumen Kohlenmonoxid entsteht.

Gift-Analyse: "Wir kriegen alles raus"

Die Mitarbeiter des GIZ-Nord geben nicht nur Tipps, was man bei einem akuten Vergiftungsfall unternehmen sollte, sondern können auch innerhalb von zwei Stunden in ihrem Labor durch Spezialanalysen feststellen, welche Substanz die Vergiftung hervorgerufen hat.

Bei den Heilpraktikern war es beispielsweise eine synthetische Droge, die zu den neuen psychoaktiven Substanzen (NPS) gezählt wird. In jüngster Zeit habe man es bei Vergiftungen durch Drogen immer häufiger mit "Legal Highs" zu tun, die meist über das Internet vertrieben werden, berichtet Ebbecke. Ständig kämen neue Substanzen hinzu.

Viele dieser synthetischen Drogen ließen sich von Schnelltests, die bei der Polizei im Einsatz sind, nicht erfassen. Die Göttinger Giftexperten können in ihrem Labor die Zusammensetzung der Substanz ermitteln. "Wir kriegen alles raus", sagt Ebbecke.

Das Giftinformationszentrum-Nord ist rund um die Uhr unter der Notrufnummer 0551/19240 erreichbar. Weitere Informationen unter www.giz-nord.de.

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