3-D-Technologie

"Neue Technologien sind kein Allheilmittel"

Die 3-D-Technologie spielt in der Medizin eine immer größere Rolle. Wie sehen die Perspektiven aus? Ein Gespräch mit dem Orthopäden und Unfallchirurgen Professor Henning Windhagen von der Medizinischen Hochschule Hannover.

Von Barbara Schneider Veröffentlicht:
Professor Henning Windhagen

Professor Henning Windhagen

© privat

Äerzte Zeitung: Wo gibt es heute schon 3-D-Technologien in der Medizin?

Professor Henning Windhagen: 3-D-Technologien gibt es in verschiedenen Bereichen: In der Orthopädietechnik können Exoprothesen und Bauteile gedruckt werden, in der Implantatherstellung können individuelle Formen für Implantate gedruckt werden oder Modelle erstellt werden.

Auch Gewebsteile wie Knochenkonstrukte können erstellt werden. Am weitesten ist der 3-D-Druck im Modellbau für die Operationsvorbereitung entwickelt.

Worin unterscheidet sich der 3-D-Druck von herkömmlichen Methoden?

Professor Henning Windhagen

- Orthopäde und Unfallchirurg

- Ärztlicher Direktor der Orthopädischen Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover

- Vorstandsmitglied des Niedersächsischen Zentrums für Implantatforschung und Entwicklung (NIFE)

HW: Früher war die Technik in der Lage, aus CT- oder MRT Daten virtuelle Modelle von Gelenken zu erstellen. Dafür wurden Implantate gefräst oder gegossen – ein komplizierter, teurer und langsamer Prozess.

Techniker können jetzt Formen 3-D-technisch drucken und aufbauen. Diese Technologie macht das Arbeiten einfacher. Wir können in Zukunft individuell 3-dimensionale Skelettanteile drucken und dann implantieren.

Die 3-D-Technologie wird immer wieder als Revolution gefeiert. Welche Vorteile sehen sie im 3-D-Druck?

HW: Der 3-D-Druck erlaubt eine schnellere Anfertigung von individuellen Formen. Wir machen ein dreidimensionales Bild von dem Knochen. Daraus entsteht ein Computermodell und dann kann nach der Vorgabe des Computermodells eine Form erstellt werden, ein Konstrukt oder ein Bauteil beziehungsweise Implantat.

Wie sieht das konkret aus?

HW: Wenn Sie beim Knie oder bei der Hüfte einen schweren Defekt haben und kein optimales Standardimplantat zur Verfügung haben, dann kann man in Zukunft ganz individuell ein Implantat herstellen, das genau in den Defekt passt.

Das ist momentan noch eine Zukunftsperspektive, wir bereiten uns aber schon auf diese Möglichkeiten vor. Für Tumor- oder Revisionspatienten könnten wir so innerhalb von wenigen Tagen demnächst Implantate herstellen, auf die man früher mehrere Wochen warten musste.

Welche Auswirkungen hat die Technologie auf die Medizin?

HW: Individualisierung in der Implantatemedizin wird in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen. Mit neuen Möglichkeiten werden vermehrt Zwischengrößen und patientenspezifische Implantate genutzt werden können, zusätzlich zu den bewährten Standardimplantaten. Das sind auf den ersten Blick Vorteile.

Auf den ersten Blick?

HW: Der Teufel steckt natürlich im Detail. Patientenindividuelle Implantate können nicht so gut getestet werden wie Standardimplantate und sind nicht automatisch besser.

Auch bestimmte Materialien sind nicht ohne weiteres druckfähig. Gerade das Verfahren mit der Legierung Kobalt-Chrom in der Knieprothetik ist hoch komplex und technisch schwierig.

Sehen Sie denn Risiken für Patienten?

HW: Ich glaube, Patienten müssen sich keine Gedanken machen. Heutige Standard-Implantate sind sehr gut getestet und unsere Register ermöglichen Frühwarnungen. Aber es ist für den Patienten wichtig zu unterscheiden: Sind individuelle Implantate wirklich notwendig, möglicherweise nicht besser als der Standard und dann sogar ein geringes Risiko?

Es geht darum, den spezifischen Fall mit dem behandelten Arzt zu besprechen. Denn ein mit 3-D-Drucker hergestelltes Implantat ist nicht automatisch besser. Die klassische Implantattechnik wird auf lange Sicht ein wesentlicher Bestandteil unseres Portfolios bleiben.

Wann halten Sie individuelle Implantate denn für sinnvoll?

HW: Gerade im Bereich von Tumoren, der Wechselendoprothetik und komplizierten Defekten können individuelle Implantate sinnvoll sein. Hier reichen einfach die Größen, die sonst angeboten werden, nicht mehr aus. Für solche Spezialfälle bietet sich jetzt schon sehr erfolgreiche Möglichkeiten.

Daher sollte man die neue Technologie nicht als Allheilmittel betrachten. Aber als technische Erleichterung für ganz spezielle spezifische Bereiche zeigt sich eine beeindruckende Entwicklung, jetzt Implantate schnell und einfach herstellen zu können.

Ein Argument für den 3-D-Druck in der Medizin ist häufig, dass es kostengünstiger ist. Stimmt das?

HW: Das mag stimmen, hängt aber von den Mengengerüsten ab. Bei häufig verwendeten gleichen Bauteilen kann sich ein ökonomischer Vorteil einstellen. Individualisierte Medizin ist allerdings eher teuer.

Wie wird das Ganze denn von den Krankenkassen übernommen?

HW: Krankenkassen, ob privat oder gesetzlich, verlangen bei technologischen Neuerungen Evidenz. Das ist nicht zu beanstanden. Für Evidenz müssen aufwändige Studien gemacht werden. Kleine, aber bedeutende Unterschiede sind schwer zu beweisen. Innovationen werden daher viel zu langsam an den Patienten weitergegeben.

Ich würde mir wesentlich mehr Engagement von Kostenträgern und Politik zur Innovationsförderung wünschen. Die aktuelle Situation ist sehr schlecht für Deutschland, weil es die eigentlich sehr bedeutende deutsche medizintechnische Industrie nicht mehr voranbringt.

Wenn Sie beispielsweise 3-D-gedruckte Implantate mit herkömmlichen vergleichen, worin liegen Unterschiede?

HW: Ich würde im Moment allen dazu raten, prinzipiell hervorragend getestete Standard-Implantate zu wählen, die bewährt sind. Diese bilden alle modernen Erkenntnisse von natürlichen Dreh- und Gleitbewegungen im Gelenk sowie und Stabilität ab.

In besonders komplexen Fällen kommt die Größenauswahl dieser Implantate an seine Grenzen, dort können 3-D-gedruckt Implantate sinnvoll sein. Sie haben aber keine höhere Qualität oder sind automatisch besser. Das sollten Mediziner auch den Patienten mitteilen. Trotzdem sind die Perspektiven dieser Zukunftstechnologie hervorragend.

Noch wird im Bereich der 3-D-Technologie viel geforscht. Wie sieht denn ihrer Meinung nach die Zukunft aus?

HW: Wir haben gerade nur über die orthopädischen Kunst-Implantate geredet. Wir müssen aber auch über die regenerative Medizin reden. Das regenerative Prinzip beruht darauf, dass körpereigene Zellen gezüchtet werden und diese Zellen dann auf einer Matrix präsentiert werden.

Solch eine 3-D Matrix kann man drucken und als Transplantat einsetzen. Das bietet ein hervorragendes Potenzial für die regenerative Medizin. Beispielsweise könnten so am Bewegungsapparat Knorpel-Knochen-Regenerate gedruckt werden.

Noch ist der 3-D-Druck in vielen Bereichen Zukunftsmusik. Wie schnell wird sich ihrer Meinung nach diese Technologie durchsetzen?

HW: In der Orthopädie haben wir mit den Implantaten, die wir heute haben, schon einen sehr hohen Standard. Ich bin gespannt, wie sich das Feld in den nächsten Jahren präsentiert. Für Tumor- und Defekt- Spezialimplantate erwarte ich einen Durchbruch in kürzester Zeit.

Lesen Sie dazu auch: Volldigitalisierte Praxis: 3-D-Druck ersetzt Gips-Zahnabdrücke

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