Diesel-Skandal

Ross und Reiter müssen bei Studien genannt werden!

In der Dieselaffäre geht es nicht mehr nur um manipulierte Abgaswerte, sondern um Tier- und Menschenversuche. Letztere allerdings taugen nicht zum Skandal, vielmehr aber die Studien-Hintergründe.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Diesel-Fahrverbote in Sicht? Die Abgastests an Mensch und Affe erzürnt derzeit die Öffentlichkeit.

Diesel-Fahrverbote in Sicht? Die Abgastests an Mensch und Affe erzürnt derzeit die Öffentlichkeit.

© bluedesign / stock.adobe.com

Die deutschen Autohersteller scheinen mit ihren sogenannten sauberen Dieselfahrzeugen immer tiefer in den Schmutz zu fahren. Nicht nur Affen – wie Ende vergangener Woche bekannt geworden ist –, sondern auch Menschen sollen im Auftrag der Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT) zu Versuchszwecken Abgasen ausgesetzt worden sein, um deren Wirkungen zu testen.

Brisant daran ist, dass im Vorstand der EUGT bis zu deren Auflösung im vergangenen Jahr Vertreter von VW, Daimler und BMW saßen. Die Autokonzerne hatten die EUGT 2007 auch gegründet.

Was den vermeintlich skandalösen Abgasversuch mit Menschen betrifft, lohnt es sich womöglich, genauer hinzusehen. Unternommen hat die Studie eine Arbeitsgruppe um Professor Thomas Kraus, Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin an der RWTH Aachen. Die Ergebnisse sind vor knapp zwei Jahren erschienen, mit Verweis auf die Förderung durch die EUGT (Int Arch Occup Environ Health 2016; 89: 1017–1024).

Die Forscher um Kraus setzten 25 gesunde Freiwillige randomisiert im wöchentlichen Abstand drei Stunden lang jeweils einer von vier Konzentrationen von Stickstoffdioxid (NO2 ) aus: 0 ppm, 0,1 ppm, 0,5 ppm und 1,5 ppm.

0,5 ppm NO2 entsprechen der in Deutschland zulässigen maximalen Arbeitsplatzkonzentration (MAK). Bis 2009 hatte die MAK 5 ppm betragen. Das Versuchslabor war ursprünglich dafür konzipiert worden, die Arbeitsplatzbelastungen durch Schweißarbeiten zu simulieren.

Kaum akute Effekte

Wesentliche akute Effekte der Stickstoffdioxidbelastung in den genannten Konzentrationen fanden die Forscher nicht. Mit Blick auf die Lungenfunktion stieg das intrathorakale Gasvolumen grenzwertig (p = 0,048), und zwar im Post-prä-Vergleich von 0,5 ppm zu 0,1 ppm NO2.

Zelluläre Parameter veränderten sich ebenfalls wenig, die Makrophagenkonzentration im Sputum sank mit zunehmender NO2-Konzentration, die Veränderung war grenzwertig signifikant (p = 0,05).

Die Studie unterscheidet sich nicht grundsätzlich von vielen anderen Expositionsstudien, die seit Langem zum Thema Stickoxidbelastung unter Laborbedingungen gemacht werden. Während in der Umwelt, gewissermaßen unter epidemiologischen Bedingungen, stets ein Gemisch an Umweltschadstoffen vorliegt, lässt sich im Labor die Toxizität der Einzelsubstanzen analysieren.

Welchen Beitrag NO2 zu den Schäden durch Luftschadstoffe leistet, ist nicht unumstritten, die Ergebnisse von Studien widersprechen sich teils – jedenfalls bei NO2-Konzentrationen, wie sie unter Alltagsbedingungen vorliegen.

Studie "fehlerfrei gemacht"

Dieselabgase, wie das in der Studie mit Affen der Fall war, wurden in Aachen nicht verwendet. Studienleiter Kraus betont, es sei in den Experimenten 2013 und 2014 nicht um die Dieselbelastung, sondern um den NO2-Grenzwert am Arbeitsplatz gegangen.

Die Ergebnisse würden der Arbeitssicherheit etwa von Lkw-Fahrern, Kfz-Mechanikern und Schweißern dienen. Die Ethikkommission der Aachener Universitätsklinik habe den Forschungsantrag aus dem Jahr 2012 geprüft und genehmigt.

"Ich halte die Aachener Studie für wissenschaftlich und inhaltlich fehlerfrei gemacht", bestätigt Professor Michael Kabesch, Chefarzt und Klinikleiter Pädiatrische Pneumologie und Allergologie der Barmherzige Brüder Klinik St. Hedwig in Regensburg.

Die Fragestellung sei die Stickstoffdioxidbelastung am Arbeitsplatz. "Von exorbitanter Gefährdung der Probanden kann man hier nicht sprechen, es handelte sich um NO2-Konzentrationen, denen Arbeitnehmer gesetzlich erlaubt ausgesetzt werden dürfen." Solche Studien seien nötig, um festzustellen, ob die politisch festgelegten Grenzwerte sinnvoll seien. "Dazu hat diese Studie definitiv beigetragen", so Kabesch.

"Der Skandal ist nicht die Studie"

Es gehe hier aber nur um die akute Gefährdung von gesunden jungen Menschen, langfristig könnten solche Belastungen durchaus schaden – zumal in einer Bevölkerung, die nicht nur aus Jungen und Gesunden bestehe. Besonders gefährdet seien Asthmatiker und Allergiker, die deutlich sensibler auf Schadstoffbelastungen reagierten.

 "Der Skandal ist nicht die Studie", so der Pneumologe. "Der Skandal ist die Exposition, der die Bevölkerung dauerhaft ausgesetzt ist."

Kritisch äußert sich Kabesch darüber, wie die Förderung der Studie offengelegt wurde. Die Bezeichnung "Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor" lasse viel Raum für Interpretation. "Hier brauchen wir Regeln, wie wir sie als Lungenärzte in jahrelangem Kampf mit der Tabakindustrie durchgesetzt haben", sagt Kabesch.

Wenn die Industrie oder eine ihrer Interessengruppen eine Studie fördere, müsse das auch unmissverständlich klargemacht werden.

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