Büttenrede zur Bürgerversicherung

Ich bin ein richtig gefährliches Gespenst!

Habt ihr Angst vor mir, ihr schwarz-roten Koalitionäre? Hört auf rumzueiern, wenn ihr nur meinen Namen hört! Entweder ihr schickt mich in die Wüste, oder ihr lasst mich endlich raus: Hallo, ich bin's, das Gespenst der Bürgerversicherung!

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:
Zu Karneval erklärt das Monster namens Bürgerversicherung, was es in den letzten Wochen alles erlebt hat.

Zu Karneval erklärt das Monster namens Bürgerversicherung, was es in den letzten Wochen alles erlebt hat.

© bilderstoeckchen / stock.adobe.com

Wer bin ich? Seit es mich gibt, stelle ich die Frage nach meiner Identität. Die Gegner der Bürgerversicherung behaupten, ich sei Agent der Befürworter. Und die wiederum behaupten genau das Gegenteil. Das ist verwirrend? Lassen Sie uns gemeinsam in die Zukunft schauen. Mein Alltag steckt voller Überraschungen. Helau!

» 28. Februar: Ich bin Zaungast bei einem Landesparteitag der FDP Hessen im Dorfgemeinschaftshaus von Wommelshausen im hessischen Hinterland. Ein mit donnerndem Beifall begrüßter Vertreter des Bündnisses "Dentisten gegen die Bürgerversicherung" prophezeit den Niedergang der Zahnärzte, falls die Reform kommt.

Er will nicht ausschließen, dass kariöse Zähne dann wieder mit Bindfäden und einem heftigen Ruck extrahiert werden müssen. Ich beobachte Delegierte, die unauffällig mit den Händen ihr Gebiss prüfen.

» 3. März: Ein Ehepaar sucht meine Hilfe als Streitschlichter. Der Gatte, ein GKV-Patient, und seine in der PKV versicherte Ehefrau haben sich über die Frage der Bürgerversicherung so zerstritten, dass sie die Ritze zwischen den Matratzen im Ehebett inzwischen als "Demarkationslinie" bezeichnen. Ich bin kein Familientherapeut, da kann ich leider nicht helfen.

» 20. März: Die Bewegung "Pro Bürgerversicherung" verpflichtet den Ex-Rapper "Bürger Lars Dietrich" als Gesicht für eine Werbekampagne, die sich als Flop erweist, weil der Bürger Lars Dietrich eine Kunstfigur von gestern ist. Den kennt niemand mehr. Da hätte man ja gleich den Bürger King verpflichten können, der ist viel populärer!

» 4. April: Ich versage bei einer Podiumsdiskussion in Hoyerswerda, weil ich nicht genau erklären kann, warum man vor mir keine Angst haben muss, obwohl ich ein Gespenst bin.

Glücklicherweise sitzt auch ein Politiker von der AFD auf dem Podium. Der behauptet, die Bürgerversicherung sei von vorneherein darauf angelegt, von afghanischen Asylbewerbern unterwandert zu werden. Jubel im Saal. Niemand interessiert sich mehr für mich.

» 8. April: Die Sektion Gesundheitspolitik im Verband deutscher Atheisten will mich mit der Begründung verklagen, es gebe gar keine Gespenster. Die Atheisten sind offenbar von allen guten Geistern verlassen.

» 20. Juli: Urlaubszeit. Auf Facebook kursieren Fotos, die mich angeblich splitternackt an einem FKK-Strand an der Côte d'Azur zeigen. Falsch! Ich war in Paris und nicht an der Côte d'Azur. Habe über Elite Partner eine Frau kennengelernt, die in Frankreich seit langem als Gespenst des Sachleistungsprinzips unterwegs ist. Wir haben an der Seine nicht nur Fachgespräche geführt.

» 28. Juli: Meine Abwesenheit fällt in Deutschland auf. Wo ist das Gespenst geblieben? Ein Versorgungsforscher beschimpft mich in den Tagesthemen als "ideologischen Gesamtsündenbock" für die ineffiziente Debatte um die Bürgerversicherung.

- 2. August: Ein moldawischer Fernfahrer berichtet radebrechend in der ARD, er habe hinter Paris auf dem Weg in Richtung Deutschland einen Tramper aufgelesen, der sich als Gespenst der Bürgerversicherung vorgestellt habe. Er habe mit mir heftig über die Zwei-Klassen-Medizin gestritten.

 Ich erinnere mich lediglich, dass wir kurz an einem Rastplatz eine Toilettenpause gemacht haben. Was hat mich geritten, von Paris aus zurück nach Hause zu trampen? Ich weiß es nicht.

» 8. August: Ein 82-jähriger Ex-Gewerkschaftsfunktionär fliegt auf, weil er gegen eine satte Gage öffentlich behaupten wollte, er warte als GKV-Patient seit 15 Jahren vergeblich auf einen Op-Termin für eine Penisverlängerung.

Ich werde von Medien um Stellungnahme gebeten und wiederhole gebetsmühlenartig dieselbe Botschaft: Diese Geschichte ist für eine ernsthafte Diskussion um Wartezeiten für gesetzlich Versicherte vollkommen ungeeignet. Da passt nichts, aber auch gar nichts zusammen!

Völlig ermüdet fahre ich nachmittags noch zur Kfz-Zulassungsstelle, um mein neues Gespensterauto anzumelden. Wartezeit: satte 2 Stunden, eher mehr. Mir reicht's.

» 10. September: Das in Fachkreisen einschlägig bekannte Trumpcare-Gespenst richtet auf Facebook eine Freundschaftsanfrage an mich. Ich lehne ab. In sozialen Netzwerken wird danach blitzschnell verbreitet, ich sei Kommunist und Trump werde mich fertigmachen.

» 20. Oktober: Der Lobbyverband Pro Bürgerversicherung startet einen zweiten Versuch, um ein Gesicht für seine Werbekampagne zu finden. Im Rennen sind Costa Cordalis, Hein Simons und Reiner "Calli" Calmund. Cordalis und Heintje haben überdrehte Honorarforderungen, aber auch Calmund wird abgelehnt.

Begründung: Er könne womöglich ungewollt den Tenor der Kampagne verändern und eine Diskussion zum Thema: "Adipositas – wenn Prävention versagt" entfachen.

» 25. November: Der Verband der deutschen Bettpfannen- und Urinflaschenhersteller warnt vor einem dramatischen Niedergang der Branche, sollte es zur Einführung der Bürgerversicherung kommen. Ich verstehe die Begründung nicht.

Wird dann womöglich im Pflegebereich weniger gepinkelt als vor der Reform? Bei Anne Will prophezeit der Pressesprecher des Bettpfannenverbands, dass der reduzierte Harndrang mit großer Sicherheit die gesamte Gesellschaft erfassen werde.

» 27. November: Im Schlafzimmer von Frau Merkel habe ich ... Ja, Herr Sitzungspräsident... – meine Zeit in der Bütt ist abgelaufen? Die nächste Nummer ansagen? Sehr gerne! Liebe Närrinnen und Narrhallesen: Draußen steht der gemischte GKV/PKV-Fassenachtschor mit dem Titel: "Lass sie ins Nirwana ziehn, die Zwei-Klassen-Medizin!" Wolle merr se rinnlosse? Narrhallamarsch!

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