Schmalspur-Solidarität - ist das die neue Freiheit?

BERLIN. Wenn die freien Ärzteverbände für den 24. März in Berlin zum Protest gegen eine aus ihrer Sicht verfehlte Gesundheitspolitik aufrufen, dann äußert sich darin auch der Zorn über Eingriffe in die Therapiefreiheit, bürokratische Gängelung und Budgetierung. Allerdings: In ihren Eckpunkten für eine Gesundheitsreform fordern dieselben Ärzteverbände die Beschränkung eines solidarischen Gesundheitssystems auf ein möglichst niedriges Niveau - und implizit auch eine Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit. Dieser Mindeststandard soll vom Gesetzgeber definiert werden.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

Noch bei der Anhörung im Januar zum Arzneimittel-Spargesetz im Bundestagsgesundheitsausschuß gaben sich freie Ärzteverbände wie Hartmannbund und NAV-Virchowbund kämpferisch - an der Seite der Patienten: "Mit dem Gesetz wird an den kränkesten Patienten gespart. Die geplante Beschränkung der Therapiekosten läßt zukünftig nur noch eine Billigversorgung zu", konstatierte NAV-Chef Dr. Maximilian Zollner in einem "Brandbrief" an die Mitglieder des Gesundheitsausschusses - verbunden mit der eindringlichen Bitte, das Gesetz nicht zu realisieren.

Noch grundsätzlicher wurde der Hartmannbund: Mit diesem Spargesetz würden "versorgungs- und wirtschaftspolitische Entwicklungen fortgeschrieben, die eine Abkoppelung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung vom medizinischen Fortschritt fixieren und den Gesundheitsstandort Deutschland insgesamt beschädigen".

Zwischen Januar und Anfang März muß ein fundamentaler Sinneswandel stattgefunden haben.

Lesen Sie dazu: Das Eckpunktepapier im Wortlaut (PDF)

Denn in den "Eckpunkten für eine Gesundheitsreform", die von fünf Verbänden (Medi, Ärzte-Genossenschaften, Freie Ärzteschaft, NAV und Hartmannbund) erarbeitet worden sind, ist zumindest für die solidarisch finanzierte Krankenversicherung die Abkoppelung vom medizinischen Fortschritt Programm geworden. Besonders deutlich wird dies in den Vorstellungen für die zukünftige Arzneimittelversorgung:

  • Erneut soll der Gesetzgeber in einer Positivliste den Ärzten in Klinik und Praxis vorschreiben, welche Arzneimittel sie verordnen dürfen und welche die Kassen bezahlen sollen. Bereits mehrfach sind solche Versuche gescheitert, unter anderem, weil damit nichts gespart wird.
  • Damit die Krankenkassen wirklich sparen, soll der Gesetzgeber vorschreiben, daß Versicherte in einem solidarisch finanzierten System unter patentfreien Arzneimitteln nur Generika bezahlt bekommen.
  • Schrittinnovationen sollen nicht mehr zum Basis-Leistungskatalog der Krankenkassen gehören. Welche Leistungen der Basis-Leistungskatalog enthalten soll, schreiben die Verbände nicht. Bezahlt werden soll aber, so die Forderung, nur noch der Preis für Generika.
  • Sogenannte umstrittene und rezeptfreie Medikamente sollen ebenfalls nicht zu den Basisleistungen der Kassen zählen.
  • Was nicht zu den Basisleistungen zählt, soll eine Krankenkasse ihren Versicherten entweder als Satzungsleistung zahlen können. Oder die Kasse soll Zusatztarife anbieten können, wenn die Versicherten etwa über den Basiskatalog hinausgehende Leistungen beanspruchen wollen.

Das heißt: Allein der Staat soll definieren, beispielsweise durch eine Positivliste für Arzneimittel, in welchem Umfang Kassenpatienten am medizinischen Fortschritt teilhaben sollen.

Dieses offenbar tiefe Vertrauen in die Entscheidungskompetenz von Gesundheitspolitikern steht in seltsamem Kontrast zu den seit Wochen anhaltenden Protesten der Ärzte gegen eben diese gesundheitspolitischen Entscheidungsträger.

Gegenwärtig gilt, daß Ärzte und Kassen im Gemeinsamen Bundesausschuß entscheiden, was konkret eine Kassenleistung ist - ein mühsamer Prozeß, in dem oftmals heftig über den Nutzen einer neuen Diagnose-Methode oder Therapie, über ihre Kosten, sowie über die Wirtschaftlichkeit und Finanzierung gestritten wird.

Geht es nach den freien Ärzteverbänden, so wären Ärzte an dieser Entscheidungsbildung künftig nicht mehr beteiligt.

Was können die Folgen sein?

Je ärmlicher die solidarisch finanzierte Kassenmedizin ausfällt, desto mehr Raum entstünde für Zusatzleistungen, die eine Kasse entweder als Satzungsleistung oder als Zusatztarif anbieten könnte - oder die Ärzte als Individuelle Gesundheitsleistungen anbieten könnten.

In der Praxis würde dies bedeuten, daß Ärzte ihre Patienten nach Sozial- und Versicherungsstatus sowie nach ihrer Zahlungsbereitschaft für Individuelle Gesundheitsleistungen behandeln müßten.

Das wäre dann die endgültige Ökonomisierung des Arztberufs.

Lesen Sie dazu: Das Eckpunktepapier im Wortlaut (PDF)

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Kosten und Nutzen

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