Der Mittelstand hält Rabattverträge für ruinös

HAMBURG/BERLIN (di/HL). Rabattverträge bedrohen nach Ansicht der mittelständischen Pharmaindustrie die Therapiequalität und den medizinischen Fortschritt. Zugleich warnen der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) und der Deutsche Generikaverband vor den wirtschaftlichen Folgen: Firmenpleiten und eine Konzentration des Angebots auf wenige große Anbieter.

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In die Zange genommen: Mittelständische Arzneimittelhersteller fürchten, vom Markt verdrängt zu werden.

In die Zange genommen: Mittelständische Arzneimittelhersteller fürchten, vom Markt verdrängt zu werden.

© Foto: klaro

Die Rabattverträge müssen wieder abgeschafft werden", forderte der Vorsitzende des BPI-Nord, Norbert Klapszus. Er erwartet, dass viele Patienten unter den Folgen leiden werden. Dies gilt auch für die mittelständischen Firmen. Viele von ihnen werden laut Klapszus den Wettbewerb um die Rabattverträge nicht überstehen und vom Markt verschwinden.

BPI warnt vor Entwicklung ähnlich wie im Energiemarkt

Konsequenz wird nach seiner Einschätzung ein Oligopol sein, bei dem wenige Anbieter sich den Markt aufteilen. BPI-Geschäftsführer Dr. Jochen Wilkens verwies auf kartellrechtliche Bedenken gegen die Rabattverträge. Er erwartet auf dem deutschen Pharmamarkt mittelfristig eine Situation wie heute auf dem Energiemarkt. Denn bei Sortimentsverträgen haben in aller Regel nur Firmen mit einem großen Sortiment Chance auf einen Zuschlag. Bekommt eine mittelständische Firma dennoch den Zuschlag, droht eine extreme Abhängigkeit vom Vertragspartner.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kam Dr. Dietmar Buchberger vom Deutschen Generikaverband bei einem Symposion seines Verbandes in Berlin. Die Entlastungen, die Krankenkassen gegenwärtig mit Rabattverträgen einfahren, sieht er nur als vorübergehend an. Vor allem Sortimentsverträge, die mit nur wenigen großen Anbietern geschlossen werden, schließen nach seiner Beobachtung kleine und mittelständische Hersteller aus.

Diese Unternehmen reagierten inzwischen mit einer weiteren Sortimentsbegrenzung. Am Ende dieses Prozesses stehe ein Oligopol weniger großer Anbieter. Dabei lasse sich schon heute im Markt präzise beobachten, dass die Intensität des Preiswettbewerbs in einem eindeutigen Zusammenhang zur Zahl der auf einem Markt konkurrierenden Anbieter stehe. Dass die Kostenentlastung nur vorübergehend sein könnte, darauf hatte auch das Bundeskartellamt im vergangenen Jahr hingewiesen.

Die Folgen der Rabattverträge für die Patienten erläuterte Dr. Martin Zentgraf. Der Geschäftsführer der Hamburger Desitin Arzneimittel GmbH machte am Beispiel von Epilepsiepatienten deutlich, welche schwerwiegenden Folgen eine Umstellung auf ein anderes, nach Rabattvertrag ausgewähltes Medikament haben kann.

Da die wirkstoffgleichen Präparate nicht unbedingt auch pharmakologisch gleichzusetzen sind, können sie zu unterschiedlich hohen Serumspiegeln führen. Dies kann bei Epilepsiepatienten Anfälle auslösen - mit entsprechenden Folgen wie etwa Klinikeinweisung oder Verkehrsunfall. Betroffen sind rund 800 000 Patienten in Deutschland, von denen etwa 50 Prozent eine kontinuierliche Medikation benötigen, darunter auch viele Kinder.

Verhindert werden könnten die Folgen, wenn Ärzte bei diesen Patienten das Aut-idem-Kreuz setzen. Besonders Hausärzte verzichten darauf aber in der Regel - das Kreuz wird nur noch in rund 15 Prozent der Verordnungen gesetzt. Auch aus Kostengründen macht der Wechsel auf ein Rabattpräparat laut Zentgraf keinen Sinn. Er präsentierte Zahlen, wonach die Kosten eines Epilepsiepatienten unter Einrechnung aller Folgekosten wie etwa Klinikeinweisungen unter aut-idem-Rzeptierung fast doppelt so hoch sind wie bei einem Autidem-Ausschluss.

Besonders betroffen: Patienten mit Epilepsie

Für sein Unternehmen hat die Rabattpolitik in Deutschland zur Folge, dass Wachstum nur noch auf den Auslandsmärkten möglich ist. Der Preis für das Epilepsiepräparat ist in Deutschland europaweit der niedrigste. Obwohl der Apothekenpreis unter 150 Euro für die Jahresdosis liegt, sieht Zentgraf nur geringe Chancen, das Medikament auf Selbstzahlerbasis zu etablieren. "Das widerspricht der Mentalität der gesetzlich Versicherten in Deutschland", vermutet Zentgraf.

Hinzu kommt, dass ein hoher Anteil der Epilepsiepatienten die Kosten für das Medikament nicht selbst tragen kann. Auch seien sie über die Folgen der Substitution nicht hinreichend aufgeklärt. Die Vertreter der Arzneimittelhersteller setzen nun auf Hintergrundgespräche mit Bundestagspolitikern, um die Folgen der Rabattpolitik für die betroffenen Patienten zu verdeutlichen.

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