Gastbeitrag

Mit dem Off-Label-Use begibt sich der Arzt in eine heikle Lage

Ein übersehbares Haftungsrisiko kommt auf Ärzte zu, wenn sie Off-Label Arzneien einsetzen, obwohl es zugelassene Alternativen gibt.

Von Christian Dierks Veröffentlicht:

Mehrere Patienten mit AMD haben nach der Injektion von Avastin®, das aus Infusionsflaschen auf Spritzen gezogen wurde, Infektionen des Augapfels erlitten. Die Ärzte haben diese Leistung und die Medikamentenkosten über einen Vertrag mit den Krankenkassen abgerechnet. Die Höhe des vertraglich vereinbarten Honorars deckt jedoch nur die Kosten von Avastin®, das für diese Indikation nicht zugelassen ist. Mit Lucentis®, Macugen® und Visudyne® existieren zugelassene, aber auch teurere therapeutische Alternativen. Wie ist dieser Off-Label Use nun rechtlich zu bewerten?

Er hat stets zwei rechtliche Komponenten: Das Sozialversicherungsrecht und das Haftungsrecht. Das erstere beschäftigt sich mit der Frage, wann die gesetzliche Krankenversicherung Off-Label-Use finanzieren muss. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt die Verordnung im Off-Label-Use voraus, dass es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handelt, keine andere Therapie verfügbar ist und eine begründete Erfolgsaussicht besteht.

Die andere Seite, das haftungsrechtliche Risiko für den verordnenden Arzt, ist bislang nur vereinzelt Gegenstand der Rechtsprechung gewesen. Dabei ist diese Facette nicht trivial: Gebieten die Studienlage oder der wissenschaftliche Konsens den Einsatz eines Medikaments außerhalb des zugelassenen Anwendungsgebietes, kann die unterlassene Verordnung einen Haftungsfall auslösen (so das Oberlandesgericht Köln vom 30.05.1990 - Az. 27 U 169/89).

Für die Praxis relevanter ist freilich der andere Fall, dass Medikamente für einen Schaden ursächlich sind, nachdem sie außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet wurden. Mangels Zulassung für das Anwendungsgebiet muss der Arzt beweisen, dass der Off-Label-Use medizinisch indiziert war, sei es, weil keine Alternative bestand oder weil der Off-Label-Use höhere Erfolgschancen versprach. Im Regelfall wird damit auch eine erhöhte Aufklärungspflicht gegenüber den Patienten einhergehen. Hierzu zählt auch der Hinweis, dass der Hersteller für die durch das Medikament verursachten Schäden bei Off-Label-Use meistens nicht haftet.

Was bedeutet all dies für die durch den Off-Label-Use von Avastin® verursachten Endophthalmitiden? In einem Schadensersatzprozess muss der beklagte Arzt beweisen, dass

  • Avastin® genauso wie Lucentis® zur Therapie der AMD geeignet ist,
  • durch die erfolgte Auseinzelung und Umfüllung auf einzelne Spritzen keine Erhöhung des Infektionsrisikos erfolgt ist,
  • der Patient wusste, dass ihm in der GKV auch die für die Indikation zugelassenen Alternativen verordnet werden können, er sich aber aus freien Stücken für die Therapie mit ausgeeinzeltem Avastin® entschieden hat und
  • der Patient über die fehlende Einstandspflicht des Arzneimittelherstellers aufgeklärt wurde.

Gelingt dem Arzt im Haftungsprozess auch nur einer dieser Beweise nicht, wird er für den Schaden einstandspflichtig. So wie die Dinge liegen, wird dies in den Avastin-Fällen für die Ärzte heikel. Und: Wenn die Verordnung von Avastin® erfolgt, um durch Verträge mit den Krankenkassen eine im EBM nicht geregelte Vergütung für die intravitreale Therapie zu erhalten, könnte die Staatsanwaltschaft auf dem Standpunkt stehen, dass die Körperverletzung erfolgte, um einen Vermögensvorteil zu erzielen. Ein strafrechtlich durchaus problematischer Zusammenhang tut sich hier auf.

Aber hatte nicht das Sozialgericht Düsseldorf am 02.07.2008 (S 2 KA 181/07) entschieden, dass der Off-Label-Use von Avastin® zulässig sei? Nicht wirklich! In der Entscheidung ging es im Wesentlichen um die Frage, ob der zwischen den Augenärzten und Krankenkassen geschlossene Vertrag zur Behandlung der AMD gegen Wettbewerbs- und Verfassungsrecht verstößt. Dies hat das Sozialgericht Düsseldorf verneint. Zu den Auswirkungen auf die zivilrechtliche Haftung konnte das Sozialgericht nicht Stellung nehmen und hat dies auch nicht getan.

Professor Christian Dierks ist Arzt und Fachanwalt für Sozial- und Medizinrecht in Berlin.

Lesen Sie dazu auch: Leichtsinn und Sparwut auf Kosten von Patienten

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Kosten und Nutzen

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