Off-label-use aus Kostengründen? Ärzte haben den schwarzen Peter!

Beteiligen sich Ärzte an Verträgen, deren Ziel die Kostensenkung für Krankenkassen ist, dann - und nur dann -haben sie die Billigung der Politik.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Das Symptom bei AMD: Nebel, wo das Auge fokussiert.

Das Symptom bei AMD: Nebel, wo das Auge fokussiert.

© Foto: dpa

Kommen aber Patienten bei der Behandlung zu Schaden, stehen Ärzte alleine da. Politiker sehen die Haftung dann eindeutig auf Seiten der Mediziner. Das ist die Quintessenz der Antwort von Marion Caspers-Merk, Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium (BMG), auf eine parlamentarische Anfrage hin. Thema: Der Streit über den Einsatz von Avastin® (Bevacizumab) und Lucentis® (Ranibizumab) bei Patienten mit feuchter altersbedingter Makuladegeneration (AMD).

Zur Erinnerung: Seit mit Lucentis® ein zugelassenes Präparat für Patienten mit AMD zur Verfügung steht, dürfte das Krebsmedikament Avastin® eigentlich nicht mehr eingesetzt werden, da es für die Augenkrankheit keine Zulassung hat. Denn das Bundessozialgericht hat für den Off-label-Einsatz von Medikamenten enge Grenzen gezogen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Denn eine Einzeldosis von Lucentis® kostet 1500 Euro, für Avastin® betragen die Kosten zu Lasten der Krankenkassen etwa 50 Euro.

Der Preisunterschied war das treibende Motiv für Verträge, die mehrere Krankenkassen im Mai 2007 mit Augenärzten geschlossen haben. Dabei erhielten teilnehmende Augenärzte für die intravitreale Medikamentengabe sowie Anästhesie und Arzneimittel eine Komplexpauschale in Höhe von 450 Euro. Diese Pauschale hat eine klare Steuerungswirkung: Denn ihre Höhe reicht bei isolierter Betrachtung noch nicht einmal für ein Drittel der Kosten einer Injektion mit Lucentis®. Diese Verträge, erklärte Staatssekretärin Caspers-Merk verklausuliert, seien "sozialrechtlich nicht grundsätzlich unzulässig". Allerdings sei ihr Ministerium nicht die "zuständige Aufsichtsbehörde" für die sozialrechtliche Zulässigkeit der Verträge.

Vertrag zulässig? Das BMG zeigt sich nicht zuständig.

Wie rechtlich brisant die Vereinbarung gewesen ist, dürfte manchem Augenarzt erst bewusst geworden sein, als im Herbst 2008 bekannt wurde, dass fünf Patienten in Bayern nach einer AMD-Behandlung mit Avastin® zu Schaden gekommen sind: Infektionen in Folge der Behandlung führten zu teils schweren Sehschädigungen der Patienten. Weil das Präparat nicht bestimmungsgemäß eingesetzt wurde, geht die Haftung vom Hersteller auf den Arzt über.

Angesichts dieser Ausgangslage wollte kürzlich der Abgeordnete Frank Spieth (Linksfraktion) vom BMG wissen, ob die am Vertrag teilnehmenden Ärzte haftbar sind: Schließlich sei der Off-label-use "politisch aus Kostengründen gewollt" gewesen: Doch was Haftungsfragen angeht, gibt sich Caspers-Merk kompromisslos: "Ärzte sind verpflichtet, Patienten nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft zu behandeln."

Das Unternehmen Novartis, das Lucentis® herstellt, hatte 2008 vergeblich versucht, den Vertrag zwischen Kassen und Augenärzten zu stoppen. Das Sozialgericht Düsseldorf gab im Juli 2008 in seinem nicht rechtskräftigen Urteil grünes Licht für den unzulässigen Off-label-use unter anderem mit der Begründung: "Die Erhaltung der finanziellen Stabilität der GKV ist ein Gemeinwohlbelang von hohem Rang."

Abgeschmettert wurde das Unternehmen auch mit dem Verweis darauf, es sei "Sachwalterin fremder Interessen", wenn es Gesundheitsrisiken bei Patienten ins Feld führt. Um "möglicherweise drohende Verletzung von Rechten Dritter" dürfe sich der Arzneihersteller nicht kümmern. Das kann erst ein Patient - wenn er zu Schaden gekommen ist.

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