"Warum sagen wir nicht, dass das Risiko abnimmt?"

Das Gesundheitswesen ist nach Ansicht einer Expertin für die meisten Patienten weiter ein Buch mit sieben Siegeln.

Von Bülent Erdogan Veröffentlicht:

BERLIN. Nach Ansicht der Hamburger Ärztin und Gesundheitswissenschaftlerin Professor Ingrid Mühlhauser gibt es bei der Information von Patienten über den Nutzen neuer Medikamente, Früherkennungsuntersuchungen und Therapien eklatante Mängel. So nähmen viele Frauen irrigerweise an, dass das Mammografie-Screening Brustkrebs verhindere. Darüber hinaus überschätzten viele Patientinnen die mit der Früherkennungsuntersuchung reduzierbare Mortalität, sagte Mühlhauser auf einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für bürgerorientierte Gesundheitsversorgung (DGbG) zum Thema Patientencoaching.

So sinke die Brustkrebssterblichkeit durch das Screening bei 1000 Frauen über einen Zeitraum von zehn Jahren von 0,36 auf 0,29 Prozent. Das derart um 0,07 Prozent reduzierte Risiko werde in den Medien aber völlig verzerrt wiedergegeben. Damit werde auch überlagert, dass das Risiko an Brustkrebs zu erkranken, mit dem Alter abnehme. Betrage das Risiko für eine heute 20- bis 29-Jährige, bis zum 80. Lebensjahr am Mamma-Karzinom zu erkranken, neun Prozent, liege es bei Frauen über 60 nur noch bei drei Prozent, sagte die Internistin, die an der Universität Hamburg Gesundheitswissenschaften lehrt. "Warum sagen wir also nicht, dass das Risiko an Brustkrebs zu erkranken mit zunehmendem Alter abnimmt?" Die Bürger hätten einen ethischen Anspruch auf verständliche Informationen.

Mühlhauser warnte in diesem Zusammenhang vor Überlegungen, Patienten, die sich nicht therapiekonform verhalten, zu bestrafen. Hierfür fehle es oft schon an der medizinischen Grundlage: So gebe es beim Blutdruck keine fundierte wissenschaftliche Evidenz für die derzeit als Referenz genannten Blutdruckwerte. Darüber hinaus fehlten letztgültige wissenschaftliche Beweise für den Zusammenhang von Übergewicht und Mortalität, sagte sie.

Der Vizepräsident der DGbG, Dr. Klaus Meyer-Lutterloh, forderte eine Stärkung der Selbsthilfekompetenz von Patienten und Angehörigen durch Patientencoaching. Ziel müsse der aktive, eigenmotivierte und -verantwortliche Patient sein. Zielgruppen seien chronisch kranke und multimorbide Patienten.

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