Kassen wollen den Schnell-TÜV für Arzneien

Gesundheitspolitiker haben die Kosten patentgeschützter Arzneimitteln im Visier, doch die Kosten-Nutzen-Bewertung gilt als zu langwierig. Nun präsentieren die Kassen Gesundheitsminister Philipp Rösler radikale Vorschläge.

Thomas HommelVon Thomas Hommel und Florian StaeckFlorian Staeck Veröffentlicht:
Fingerzeig für die Zukunft der GKV: Gesundheitsminister Philipp Rösler. ©i mago

Fingerzeig für die Zukunft der GKV: Gesundheitsminister Philipp Rösler. ©i mago

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BERLIN. Die Krankenkassen wollen "mittelfristig" die Preisbildung für patentgeschützte Arzneimittel ändern. Das geht aus einem Vorschlagspapier aus Kassenkreisen hervor, das am Mittwoch Gesundheitsminister Philipp Rösler vorgestellt wurde und das der "Ärzte Zeitung" vorliegt. Darin heißt es, das "Preisdiktat der Industrie" müsse beendet werden.

Im Kern schlagen die Kassen eine schnelle, vorläufige Kosten-Nutzen-Bewertung für jedes neue, patentgeschützte Präparat vor. Diese Schnellbewertung soll "als Zugangstor zur GKV-Erstattung" dienen. Handelt es sich danach um eine Neuentwicklung mit nachgewiesenem Zusatznutzen, dann darf der Hersteller den Preis mit Einschränkungen frei festsetzen. Berücksichtigt werden sollen dabei "ausländische Referenzpreise". Ist dagegen kein Zusatznutzen "nicht oder vorläufig nicht" erkennbar, soll sich die Preisbildung an vorhandenen Therapiealternativen orientieren, heißt es in dem Papier.

Die Notwendigkeit für kurzfristige Einsparungen bei patentgeschützten Arzneimitteln sieht auch der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jens Spahn. "Wir werden hier etwas machen müssen", sagte Spahn bei der Veranstaltung "Hauptstadtkongress-Spezial" am Dienstag in Berlin.

Die Kosten-Nutzen-Bewertung sei allerdings kein probates Mittel, um Einsparungen zu generieren, da dieses Instrument nur mittelfristig wirke, betonte Spahn. Es sei allerdings ein "hohes Gut", dass Arznei-Innovationen in Deutschland sofort für die Patienten zur Verfügung stünden.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Elke Ferner, warf der Koalition vor, sich bislang nicht mit der Ausgabenseite im Gesundheitswesen beschäftigt zu haben. "In drei Monaten ist nix getan worden", so Ferner. Sie sprach sich dafür aus, den Krankenkassen mehr Möglichkeiten an die Hand zu geben, um mit Pharmaherstellern direkt Preise für Arzneimittel auszuhandeln.

Weitere Einsparreserven schlummerten aber auch in den Versorgungsstrukturen, sagte Ferner. Medizinische Versorgungszentren (MVZ) etwa trügen zu einer effizienteren Patientenversorgung bei. Es passe daher nicht ins Bild, wenn Union und FDP diese Versorgungsform wieder einschränken würden, indem sie die Voraussetzungen für die Trägerschaft eines MVZ verschärften.Die Gesundheitsexpertin der Grünen, Biggi Bender, sagte, es sei "einzigartig", dass Hersteller von patentgeschützten Arzneimitteln in Deutschland die Preise eigenmächtig festsetzen könnten. Hier helfe die Kosten-Nutzen-Bewertung nicht weiter, da sie erst einsetze, wenn das Präparat auf dem Markt sei.

"Wir wollen, dass gleich bei der Zulassung eine konditionierte Erstattung ausgesprochen wird, die je nach Präparat auf zwei bis drei Jahre befristet ist", sagte Bender. Der in dieser Zeit gültige Preis solle von Herstellern und Kassen verhandelt werden. Danach müsse eine Kosten-Nutzen-Bewertung erfolgen. So könne sichergestellt werden, dass innovative Arzneimittel auch weiter schnell beim Patienten ankämen.

Grüne halten Gesundheitsprämie für "Luftschloss"

Die Grünen haben die von Schwarz-Gelb geplante Gesundheitsprämie, die durch einen steuerfinanzierten Sozialausgleich abgefedert werden soll, als blanke Illusion bezeichnet. "Die Koalition verspricht Luftschlösser, die bei nüchterner Betrachtung der Zahlen in sich zusammenbrechen", kritisierte die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Biggi Bender. Statt der von Union und FDP versprochenen Steuersenkungen seien massive Steuererhöhungen nötig, um den Sozialausgleich in Höhe von bis zu 35 Milliarden Euro finanzieren zu können, so Bender.

Die Grünen-Politikerin stützt ihre Analyse auf die Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Fraktion. Aus der Antwort des Bundesfinanzministeriums geht hervor, dass etwa ein Drittel der Steuerzahler, die einen Sozialausgleich benötigen, diesen teils selbst bezahlen müsste. Über den Spitzensteuersatz ließe sich eine solche Summe nur aufbringen, wenn der Höchststeuersatz auf 73 bis 100 Prozent angehoben würde.

Unions-Gesundheitsexperte Jens Spahn stellte klar, dass es eine Gesundheitsprämie ohne Sozialausgleich nicht geben werde. "Ein Aufwachsen der Prämie ohne Sozialausgleich ist für uns nicht denkbar", sagte Spahn. CDU und CSU würden "sehr darauf achten", dass das Prämienmodell "nicht zum Hartz IV der Union wird". (hom)

Lesen Sie dazu auch: Kassen wollen bei Apotheken und Industrie sparen

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