Koalition erhöht Arznei-Zwangsrabatt - Enges Vertragskorsett für Innovationen

BERLIN (HL). Die Koalition hat am Freitag Eckpunkte für die Neuordnung der Arzneimittelversorgung vorgelegt. Danach wird der Zwangsrabatt für Arzneimittel ohne Festbetrag unbefristet von sechs auf 16 Prozent erhöht. Neue Arzneimittel ohne Zusatznutzen bekommen sofort einen Festbetrag, für Arzneimittel mit Zusatznutzen müssen alternativ zentrale oder dezentrale Rabattverträge abgeschlossen werden.

Veröffentlicht:
Bei der Vorstellung des Eckpunktepapiers am Freitag in Berlin (v.l.): Johannes Singhammer (CSU), Jens Spahn (CDU), Minister Philipp Rösler (FDP), Ulrike Flach (FDP) und Heinz Lanfermann (FDP). © dpa - Bildfunk

Bei der Vorstellung des Eckpunktepapiers am Freitag in Berlin (v.l.): Johannes Singhammer (CSU), Jens Spahn (CDU), Minister Philipp Rösler (FDP), Ulrike Flach (FDP) und Heinz Lanfermann (FDP). © dpa - Bildfunk

© dpa - Bildfunk

Handlungsbedarf sieht die Koalition primär im Segment der Arzneimittel ohne Festbetrag, das 2009 um 8,9 Prozent gewachsen ist; bei Spezialpräparaten ist der Zuwachs zweistellig. Im Festbetragsmarkt ist der Umsatz - trotz Mengenwachstums hingegen - mit zwei Prozent rückläufig.

Der freie Marktzugang für neue Arzneimittel bleibt erhalten; im ersten Jahr nach Zulassung können die Unternehmen ihre Präparate zum geforderten Preis vermarkten. Aber bereits bei Markteinführung muss der Hersteller ein Dossier zu Kosten und Nutzen einreichen. Basis dafür sind Zulassungsstudien, die in Abstimmung mit dem IQWiG und dem Bundesausschuss um weitere Studien ergänzt werden. Hierzu müssen GBA und IQWiG frühzeitig Beratung leisten.

Das Dossier muss Auskunft geben über Anwendungsgebiete, medizinischen Nutzen und Zusatznutzen, Therapiekosten, Zahl der für die Behandlung infrage kommenden Patienten und Anforderungen an eine qualitätsgesicherte Anwendung.

Das ist Basis für eine Nutzenbewertung, die binnen drei Monaten nach der Zulassung vorliegen soll. Sie gibt Auskunft, für welche Patienten und für welche Krankheiten ein Zusatznutzen besteht, was Vergleichsprodukte sind und ob das Arzneimittel ein Solist ist.

Wird kein Zusatznutzen festgestellt, dann wird das neue Arzneimittel direkt ins Festbetragssystem überführt. Der Hersteller kann die Anerkennung einer therapeutischen Verbesserung beantragen; er muss dies auf jeden Fall beweisen. Dieses Verfahren muss der Bundesausschuss binnen 90 Tagen abgeschlossen haben. Klagen gegen GBA-Entscheidungen haben keine aufschiebende Wirkung.

Für Arzneimittel mit Zusatznutzen sind zwei Möglichkeiten vorgesehen:

  • Zentrale Vereinbarungen: Hier vereinbart der Hersteller mit dem Spitzenverband der GKV binnen eines Jahres nach Zulassung einen Rabatt auf den Abgabepreis, von dem alle Kassen profitieren. Der Listenpreis bleibt hingegen unverändert. Der Vertrag umschließt auch Versorgungsaspekte, Qualität und die Ablösung von Richtgrößenprüfungen. Kommt es nicht zur Einigung, entscheidet eine Schiedsstelle binnen drei Monaten. Eine Klage gegen Schiedsstellenentscheidungen hat keine aufschiebende Wirkung. Nach einem Schiedsspruch können Hersteller und GKV-Spitzenverband eine Kosten-Nutzen-Bewertung verlangen.
  • Abweichend davon sind dezentrale Verträge zwischen dem Hersteller und Einzelkassen oder Gruppen von Kassen möglich. Dies können Mehrwert- oder Versorgungsverträge sein. Arzneimittelhersteller können an der integrierten Versorgung beteiligt werden.

Im Generikamarkt soll das Rabattsystem erhalten, allerdings weiterentwickelt werden. Das Ziel ist, dass eine ausreichende Zahl an Herstellern im Markt verbleibt und der Wettbewerb gesichert wird. Das Kartellrecht soll in vollem Umfang angewendet werden; bei Rechtsstreitigkeiten sind Zivilgerichte zuständig.

Wenn Rabattverträge geschlossen sind, können Patienten auch ein anderes Präparat wählen. Die Mehrkosten müssen sie übernehmen.

Für Ärzte soll das Maß an Vorschriften und Regulierungen entschlackt werden. Insbesondere nennt das Eckpunktepapier die Verschlankung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die Bonus-Malus-Regelung, das Zweitmeinungsverfahren, Quoten für Importarzneimittel, unübersichtliche Therapiehinweise und Verordnungsausschlüsse.

Kurzfristig werden die Kassen durch einen von sechs auf 16 Prozent angehobenen Rabatt für Arzneimittel ohne Festbetrag entlastet. Dieser Rabatt ist nicht befristet. Er kann nur durch Verträge zwischen Herstellern und Kassen aufgehoben werden, wenn der Abschlag auf den Listenpreis mindestens so hoch ist wie der gesetzliche Rabatt.

Außerdem gilt ein Preismoratorium. Stichtag dafür ist der 1. August 2009. Das Moratorium endet am 31.12.2013. Ferner wird der Großhandelszuschlag - derzeit prozentual - auf eine Kombination von Fixzuschlag und prozentualem Zuschlag umgestellt. Funktionsrabatte an Apotheken werden dabei berücksichtigt.

Lesen Sie dazu auch die Stimmen der Opposition: Opposition geißelt "halbherzigen Plan" Lesen Sie dazu auch die Stimmen der Ärzte: KBV sieht Arztberuf mit dem Sparpaket aufgewertet Lesen Sie dazu auch die Stimmen der Verbände: GKV-Spitzenverband lobt "insgesamt gutes Paket" VFA sieht Rösler unter falscher Flagge segeln BPI und BAH bedauern Bestand der Rabatte ProGenerika kritisiert "Sparen um jeden Preis" Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Grundsteinlegung für eine neue Hürde

Schlagworte:
Mehr zum Thema

Medizinforschungsgesetz

Regierung: Ethikkommission beim Bund bleibt unabhängig

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert

Nach Koronararterien-Bypass-Operation

Studie: Weniger postoperatives Delir durch kognitives Training

Lesetipps
Gefangen in der Gedankenspirale: Personen mit Depressionen und übertriebenen Ängsten profitieren von Entropie-steigernden Wirkstoffen wie Psychedelika.

© Jacqueline Weber / stock.adobe.com

Jahrestagung Amerikanische Neurologen

Eine Frage der Entropie: Wie Psychedelika bei Depressionen wirken

Gesundheitsminister Lauterbach hat angekündigt, den Entwurf für die Klinikreform am 8. Mai im Kabinett beraten lassen zu wollen. 

© picture alliance / Geisler-Fotopress

Großes Reformpuzzle

So will Lauterbach den Krankenhaus-Sektor umbauen