Interview

"Statt versprochener Deregulierung neue Interventionen"

In Rekordzeit von neun Monaten hat es die Regierung aus CDU, CSU und FDP geschafft, die gesundheitspolitischen Erwartungen ihrer Wähler nahezu restlos zu enttäuschen. Statt Deregulierung mehr Hürden und Bürokratie. Mit Enttäuschung, aber schließlich auch mit Pragmatismus reagieren Dr. Ulrich Eggert, General Manager der Astellas Pharma, und Dr. med. Martin Marhoefer, Medical Director des Unternehmens, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

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Dr. Ulrich Eggert

"Statt versprochener Deregulierung neue Interventionen"

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Ärzte Zeitung: Herr Dr. Eggert, wenn Sie auf die jüngsten Pläne der Regierung zur Arzneimittelpolitik blicken - zweifeln Sie nicht daran, ob noch jemand in der Regierung eine Antenne für die Pharmaindustrie hat?

Eggert: Ein bisschen schon. Wenn man sieht, dass sich die ganze Pharmapolitik einzig und allein auf Preise innovativer Medikamente reduziert, dann ist das schon enttäuschend für die forschenden Pharmaunternehmen. Der gesamte Bereich der Deregulierung des Pharmamarktes, wie von der Koalition versprochen, ist in das Gegenteil gekippt.

Einerseits redet etwa auch Angela Merkel davon, Deutschland als Standort für die Pharmaunternehmen zu erhalten, andererseits konzentrieren sich die Debatten auf Arzneimittelpreise. Das ist nicht mehr nachzuvollziehen.

Ärzte Zeitung: Man hätte von einer liberal-konservativen Regierung wohl kaum erwartet, dass sie in die freie Preisbildung bei Innovationen und in den Wettbewerb eingreift …

Eggert: Das enttäuscht uns. Von dem, was im Koalitionspapier stand, ist nichts umgesetzt worden. Die Wähler, die diese Koalition auch im Hinblick auf eine qualitätsorientierte Gesundheitspolitik gewählt haben, müssen sich hintergangen fühlen.

Ärzte Zeitung: Nun sind die Arzneipreise auch vielen Ärzten ein Dorn im Auge. Sie fürchten Regresse. Wie wollen Sie Ärzten die Angst nehmen?

Eggert: Die Angst können wir den Ärzten nicht nehmen. Die Politik hat aber mit den Rabattverträgen ein Instrument geschaffen, mit dem sich Regresse verhindern lassen. Wenn sich die Ärzte entsprechend informieren, können sie in diesen Therapiefeldern relativ frei verschreiben, ohne Regresse fürchten zu müssen.

Ärzte Zeitung: Geht es nach der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dann sollen Ärzte künftig nur noch Wirkstoffe verordnen. Für den Rest - und damit die Kosten - sollen Apotheker, Kassen und Hersteller verantwortlich sein. Was halten Sie von dieser Idee?

Eggert: Somit würden die in vielen Therapiebereichen jetzt schon sichtbaren Probleme der eingeschränkten Austauschbarkeit, zum Beispiel bei Inhalationsarzneimitteln, noch verstärkt, und die Ärzte würden ihre Therapiefreiheit weitgehend preisgeben. Dagegen sollten sie sich wehren. Es darf nicht soweit kommen, dass man die Ärzte durch Regress- und sonstige Drohungen dazu bringt, Arzneien zu verordnen, die sie gegebenenfalls andernfalls nicht verordnet hätten.

Dr. med. Martin B. Marhoefer

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Ärzte Zeitung: Neben der Preisdiskussion gibt es ja auch noch die Zwangsrabatte. Wie hart werden Sie davon getroffen?

Eggert: Das trifft alle forschenden Unternehmen gleichermaßen, und zwar dramatisch. Auch wenn wir derzeit nicht daran denken, die Mitarbeiterzahlen zu reduzieren - um diese Ausfälle zu kompensieren, werden Tochterunternehmen von Astellas in ganz Europa beitragen müssen.

Ärzte Zeitung: Ab 2011 soll die Nutzenbewertung gesetzlich neu geregelt werden. Per Schnellbewertung entscheidet dann der Gemeinsame Bundesausschuss, ob ein neues Medikament als Innovation gilt oder in die Festbetragsgruppe eingereiht wird. Was bedeutet das für ein Unternehmen wie Astellas, das stark auf Innovationen setzt?

Eggert: In der forschenden Pharmaindustrie wird sich niemand dagegen wehren, seine Präparate einer Nutzenbewertung zu unterwerfen. Die Frage ist nur, wie das gemacht wird. Das sogenannte Value Dossier, das wir künftig bei Einführung eines Medikamentes vorlegen müssen und das seinen Nutzen erweisen soll, gab es in Deutschland zwar bisher nicht. In Europa ist das aber nichts Neues. Natürlich werden wir uns bemühen, exzellente Dossiers mitzugeben. Nur muss klar sein, was von uns gefordert wird. Es ist zum Beispiel nicht geklärt, was der Maßstab, der Standard für ein neues Präparat sein soll. Soll etwa gegen einen Vertreter der Festbetragsgruppe verglichen werden? Unser Anspruch in der Forschung und Pharmaindustrie ist es, sich bei der Entwicklung neuer Substanzen mit dem besten im Markt vorhandenen Produkt zu messen.

Marhoefer: Eine Schnellbewertung kann ja nur eine Nutzenprognose abgeben. Denn aus den Daten von ein paar Tausend Patienten in einer Phase-III-Studie lässt sich kein definitiver Nutzen ableiten. Wenn die Bewertung als Prognose gesehen wird, dann kann man damit durchaus einverstanden sein. Und man könnte dann im Verlauf der Markteinführung weitere Daten generieren.

Ärzte Zeitung: Nach der Anerkennung als Innovation muss für das jeweilige Präparat über den Preis verhandelt werden. Partner ist dabei der Spitzenverband Bund der Krankenkassen. Was halten Sie davon?

Eggert: Im Sinne des Wettbewerbs müssten die einzelnen Kassen Verhandlungspartner sein. Der Prozess der Preisbildung wird generell von Außenstehenden etwas verkürzt wahrgenommen. Man sitzt nicht im geschlossenen Raum und denkt sich einen beliebigen Preis aus. Vielmehr orientiert man sich am innovativsten Präparat und berücksichtigt die Preisbildung auf dem gesamten europäischen Markt. Meine Befürchtung ist, dass neue Präparate überwiegend in Festbetragsgruppen eingruppiert werden, weil man hauptsächlich Kosten reduzieren will. Das alles wird dramatische Folgen haben. Dennoch hoffen wir alle auf eine faire und transparente Evaluierung unserer neuen Medikamente. Wenn nicht, halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass künftige Forschungsaktivitäten von Deutschland mehr ins Ausland verlagert werden.

Ärzte Zeitung: Welche Präparate werden das Wachstum von Astellas in den nächsten fünf Jahren treiben?

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Eggert: Wir sind stark in den Bereichen Transplantationsmedizin, Urologie, Dermatologie und Pneumologie. Wir haben hier vor, jährlich mindestens ein Produkt einzuführen. Aber auch die Onkologie wird ein Bereich sein, in dem wir uns bewegen werden. Für uns heißt das: Wir werden versuchen, First-Class-Präparate nicht nur selbst zu entwickeln, sondern auch durch Lizenznahmen von Biotech-Unternehmen in den Markt zu kommen.

Ärzte Zeitung: Eine solche Lizenznahme ist ein Schmerzpflaster auf Capsaicin-Basis gegen neuropathische Schmerzen, das Sie im Herbst einführen (Qutenza™). Wie verläuft der Einführungsprozess?

Marhoefer: Wir erweitern dadurch unser Portfolio im Bereich der Schmerztherapie. Mit dem Produkt stellt Astellas ein neues und einzigartiges Schmerzpräparat bereit, das als kutanes Pflaster zur lokalen Behandlung von peripheren neuropathischen Schmerz angewendet wird. Das Schmerzpflaster wirkt schnell und dauerhaft bis zu 90 Tagen. Deutschland ist das erste Land, in dem mit dieser Therapieform Klinikerfahrungen gesammelt werden.

Wir gehen daher auch in der Einführung innovative Wege: Wir wollen zunächst eigene Anwendungsexpertise aufbauen, bevor wir in die Breite des Marktes gehen. Seit März erproben wir das Produkt im praktischen Einsatz in Zusammenarbeit mit ausgewählten Zentren, ab Oktober machen wir das Pflaster für alle schmerztherapeutisch tätigen Ärzte verfügbar.

Ärzte Zeitung: Was ist im Bereich der Onkologie geplant?

Marhoefer: Astellas wird in der Onkologie besonders expandieren. Wir planen in den nächsten Jahren fünf bis sieben Markteinführungen. Schon jetzt sind wir in diesem Bereich erfolgreich, so in der Indikation Prostatakrebs mit dem LHRH-Antagonisten Eligard und dem Androgenrezeptor-Antagonisten MDV3100, mit dessen Einführung wir in der zweiten Jahreshälfte 2012 rechnen. Durch die Akquisition von OSI haben wir nun eine ganze Pipeline dazugekauft (Anm. d. Red.: Im Juni 2010 hat Astellas das US-Biotech-Unternehmen OSI Pharmaceuticals für umgerechnet 3,12 Milliarden Euro gekauft). Allerdings ist diese Pipeline noch nicht für Europa geöffnet. Daher können wir hierzu noch keine konkreteren Aussagen machen.

Ärzte Zeitung: Astellas, das vor fünf Jahren aus der Fusion der Unternehmen Fujisawa und Yamanouchi hervorgegangen ist, übernimmt auch gesellschaftliche Verantwortung weit über das Kerngeschäft mit Arzneimitteln hinaus. Beispielsweise unterstützen Sie den Förderverein Fistula, der sich in Äthiopien um Frauen mit Geburtsfisteln kümmert. Was treibt sie dabei an?

Eggert: Gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, ist integraler Bestandteil unserer Unternehmensphilosophie. Unsere unternehmerische Leitidee lautet "Changing tomorrow". Sie bringt zum Ausdruck, dass wir über die Entwicklung von wirklich nützlichen Medikamenten und Therapien auch in weiteren Bereichen der gesellschaftlichen Verantwortung einen aktiven Beitrag für eine lebenswerte Zukunft leisten wollen. Vor allem auch dort, wo Hilfe besonders nötig ist: Beim Fistula-Projekt etwa unterstützen wir den Verein dabei, sogenannte Health Worker auszubilden. Sie sollen präventiv und helfend vor allem im Hinterland von Äthiopien tätig werden.

Ärzte Zeitung: Astellas engagiert sich auch in Deutschland, und zwar auf dem Sektor der Bildung. Sie arbeiten dabei mit der Stiftung Bildungspakt Bayern zusammen. Warum?

Eggert: Das ist mir besonders wichtig. Wenn Sie beruflich gezwungen waren, mit Ihren Kindern nacheinander in vier Bundesländern zu leben, dann wissen Sie, welche Anforderungen das deutsche Schulsystem an die Kinder stellt. Es ist einfacher, seine Kinder von Deutschland aus in den USA auf eine Schule zu schicken (nur zurück geht es dann nicht mehr), als nach einem Umzug von Hessen oder Nordrhein-Westfalen nach Baden-Württemberg oder gar Bayern. Da gilt es, sich zu engagieren, um Kindern gleiche Chancen in allen Bundesländern zu eröffnen.

Ärzte Zeitung: Ein Ausblick: Wo wird Astellas im Jahr 2015 stehen?

Eggert: Wir werden prosperieren, davon bin ich überzeugt. Ich bin ebenso überzeugt, dass wir mit unseren Investitionen in den neuen Kategorien dorthin kommen werden, wo wir heute schon im Bereich Transplantationsmedizin und Urologie stehen. Woran wir intensiv arbeiten, ist, Employer of Choice zu werden, also ein Arbeitgeber, zu dem man gerne kommt.

Das Interview führten Wolfgang van den Bergh, Dirk Einecke und Robert Bublak.

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