Arzneibewertung setzt Prüfer unter Stress

Schon im Januar 2011 steht ein Arzneihersteller mit neuem Wirkstoff vor der Tür des Gemeinsamen Bundesausschusses: Er will die neue, frühe Nutzenbewertung durchlaufen. Doch bei beteiligten Behörden und dem GBA sind viele Details der Zusammenarbeit ungeklärt.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Zu Jahresbeginn macht ein Arzneihersteller die Probe aufs Exempel: Die frühe Zusatznutzenbewertung soll im Turbogang in drei Monaten ablaufen.

Zu Jahresbeginn macht ein Arzneihersteller die Probe aufs Exempel: Die frühe Zusatznutzenbewertung soll im Turbogang in drei Monaten ablaufen.

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BONN. "Wir müssen handlungsfähig sein!" - der Ausruf von BMG-Staatssekretär Stefan Kapferer beim Symposium des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) am vergangenen Freitag in Bonn war Wunsch und Appell zugleich. Denn Anfang 2011 tritt das neue Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesez (AMNOG) in Kraft.

Es führt erstmals eine frühe Nutzenbewertung neuer Arzneimittel ein - und kreiert massiven Zeitdruck. Denn schon binnen drei Monaten muss das Bewertungsergebnis vorliegen, ob das Präparat einen Zusatznutzen im Vergleich zur zweckmäßigen Standardtherapie aufweist oder nicht.

Zugleich befindet sich die Rechtsverordnung, die Details der Nutzenbewertung enthält, noch in der Endabstimmung - sie soll am 15. Dezember im Kabinett verabschiedet werden, berichtete Kapferer.

Mit dem AMNOG werden zwei Akteure zur Kooperation verdammt, deren Wege sich bislang nur selten gekreuzt haben: Das BfArM als Zulassungsbehörde und der GBA, dessen Urteil maßgeblichen Einfluss auf die Preisfindung des Arzneimittels nehmen wird.

Da bereits Anfang 2011 das erste Unternehmen mit einem neuen Präparat das neue Nutzenbewertungsverfahren durchlaufen will, muss die Lernkurve bei der Kooperation beider Akteure extrem steil sein.

BfArM-Präsident Professor Walter Schwerdtfeger aber meinte, die Kooperation werde eine Entwicklung benötigen, "die sich möglicherweise über Jahre hinzieht".

Wie eng der künftige Austausch von BfArM und GBA künftig sein muss, ergibt sich schon aus formalen Gründen, machte Dr. Rainer Hess, Chef des Bundesausschusses deutlich. Denn der GBA braucht von der Bundesoberbehörde eine definitive Angabe über den Tag, an dem ein Präparat in Verkehr gebracht wird - und zwar im Voraus.

Nur so kann der Ausschuss dem Hersteller verbindliche Angaben über den Dreimonatszeitraum machen, in dem die Zusatznutzenbewertung vorgenommen werden soll. Unklar ist auch, ob der GBA Einsicht in die Zulassungsunterlagen erhalten darf, die die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) dem BfArM zweckgebunden zur Verfügung gestellt hat.

Hess machte deutlich, dass der Bundesausschuss auf "ein vollständiges Dossier angewiesen ist". Der GBA-Chef räumte ein, dass zudem interne Abstimmungen noch ausstehen, an wen sich ein Hersteller zunächst wenden muss - an das BfArM oder den Bundesausschuss?

Allerdings versuchte Hess in Bonn alles, um potenzielle Konfliktherde mit dem BfArM in Sachen früher Nutzenbewertung zu vermeiden. "Es geht nicht um den Nutzen, sondern um den Zusatznutzen im Verhältnis zur Vergleichstherapie", machte er klar.

Der GBA-Chef verhehlte aber nicht, dass er keinen Konflikt scheuen wird, wenn es darum geht, valide Daten für den langfristigen Nutzenbeleg von Herstellern einzufordern. Die Messlatte dafür sei glasklar: "Therapierelevanz nach patientenrelevanten Endpunkten".

Außerdem fordere der GBA den Überlegenheitsnachweis eines Präparats. Dagegen ist die Basis einer Zulassung durch das BfArM meistens eine Nicht-Unterlegenheitsstudie. "Daraus ergeben sich unterschiedliche Entscheidungsgrundlagen und Ergebnisse für BfArM und GBA", folgerte Hess.

Der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Professor Jürgen Windeler, ließ erkennen, wie wenig er von der Annahme hält, der Nutzen eines Präparats sei mit der Zulassung bereits belegt - und berief sich auf den Gesetzgeber.

Im Begründungsteil des AMNOG heiße es, die "Datenlage für neue Wirkstoffe (insbesondere in der Onkologie) wird von Experten als unbefriedigend bezeichnet". "Der Gesetzgeber hat da ein Problem gesehen", sagte Windeler.

Methodisch unterscheide sich die Bewertung des Zusatznutzens "nicht grundsätzlich von der für den Nutzen", gab Windeler als "Generalbotschaft" aus. Allerdings überarbeite das IQWiG sein Methodenpapier, um es an die Eigenheiten der frühen Nutzenbewertung anzupassen.

Dies betreffe die Frage der Zulässigkeit indirekter Vergleiche sowie von Subgruppen-Analysen, die Berücksichtigung von Surrogatendpunkten und schließlich die Operationalisierung der Abstufungen von Zusatznutzen, wie sie in der Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums angelegt ist.

Windeler hielt auch eine aus Sicht von Herstellern problematische Botschaft bereit: Er könne sich schwer vorstellen, dass das Dossier über den Zusatznutzen "entscheidungsrelevante Informationen enthält, die man nicht öffentlich machen kann". Wie der Vertrauensschutz für Hersteller konkret ausgestaltet werden kann, ist nur eine der vielen Baustellen der frühen Nutzenbewertung.

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