Bei der Arzneibewertung gilt Methodenvielfalt

Schon bald sollen Ergebnisse der ersten Schnellbewertungen neuer Arzneimittel vorliegen, die der Gemeinsame Bundesausschuss vornimmt. Parallel dazu existieren alternative Bewertungsinstrumente der Ärzteschaft, doch ein gemeinsamer Standard ist nicht in Sicht.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Viele Akteure nehmen neue Arzneimittel unter die Lupe. Sozialrechtliche Wirkung aber hat nur die Schnellbewertung durch den Bundesausschuss.

Viele Akteure nehmen neue Arzneimittel unter die Lupe. Sozialrechtliche Wirkung aber hat nur die Schnellbewertung durch den Bundesausschuss.

© sth

WIESBADEN. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) will 2012 ein auf die Bedürfnisse von Ärzten zugeschnittenes Informationssystem über neue Wirkstoffe starten. Dieses solle die Informationen der Schnellbewertung, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) vorgenommen wird, aufbereiten, sagte der AkdÄ-Vorsitzende Professor Wolf-Dieter Ludwig beim Symposium der Arzneimittelkommission am Montag in Wiesbaden.

Man sei nicht glücklich über das "Informationsmonopol der Hersteller" mit Blick auf neue Wirkstoffe, sagte Ludwig. Allerdings hat sich bislang aufseiten der Ärzte kein Bewertungsstandard für neue Wirkstoffe durchgesetzt.

Stattdessen existieren Bewertungsansätze, die parallel zur Arbeit von GBA und dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) entstanden sind und mit deren Hilfe neue Wirkstoffe untersucht werden.

Einer dieser Ansätze ist EVITA (Evaluation Innovativer Therapeutischer Alternativen), ein Analysewerkzeug, das am Institut für Pharmakologie der Universität Bremen in Zusammenarbeit mit der Lund-Universität Malmö in Schweden entwickelt worden ist.

Bei EVITA handele es sich um ein algorithmiertes System, das nicht den therapeutischen Nutzen an sich, sondern den Zusatznutzen im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie bewertet, erläuterte Professor Bernd Mühlbauer vom Institut für Pharmakologie am Klinikum Bremen Mitte. "Wir stellen die Laienfrage", erläuterte Mühlbauer in Wiesbaden: "Was, Herr Doktor, bringt mir das neue Medikament?"

Mit Hilfe eines Punktesystems würden Wirksamkeit und Risiken eines Arzneimittels gegenübergestellt. Ein Vergleich des Wirkstoffs zu Placebo werde ausdrücklich nur dann zugelassen, wenn kein allgemein akzeptierter Behandlungsstandard existiert. Entscheidend für die Punktevergabe sind die methodische Qualität der vorliegenden Studien, die Patientenrelevanz der Zielgrößen (Senkung der Sterblichkeit versus Surrogatparameter) sowie die Effektstärke. Der Summenscore wird zur besseren Orientierung auf einer Farbskala wiedergegeben, die von grün (klinischer Fortschritt sicher) über gelb bis rot (sicher kein klinischer Fortschritt) reicht.

Bislang sind mittels EVITA 23 neue Arzneimittel bewertet worden, berichtete Mühlbauer. Am bislang häufigsten - nämlich in 14 Fällen - lautete das Ergebnis "N/A", nicht auswertbar. Dies sei immer dann der Fall, wenn die Studienlage nicht den Anforderungen von EVITA genügt. In diesen Situationen werde das fragliche Arzneimittel mit einem "Halteschild ähnlichen Symbol" versehen.

In sechs Fällen war der Summenscore positiv, bei vier Arzneimitteln negativ. Einige Bewertungen durch EVITA sind in der Vergangenheit vom GKV-Spitzenverband unterstützt worden. Insgesamt, so Mühlbauer, handele es sich bei EVITA aber um "ein privates Hobby von kritisch orientierten Pharmakologen". Er gab zu, dass die Auswahl der bewerteten Wirkstoffe "ein Stück willkürlich" sei.

Einen anderen Ansatz als EVITA wählt das Projekt "Neue Arzneimittel" der AkdÄ, berichtete die stellvertretende Kommissionsvorsitzende Professor Ursula Gundert-Remy in Wiesbaden. Ziel des Ende 2008 gestarteten Projekts sei es, Ärzten zeitnah nach der Zulassung Informationen über neue Wirkstoffe zur Verfügung zu stellen.

Die zweiseitigen Flyer der AkdÄ geben Auskunft zur Indikation, Bewertung, klinischen Studien, UAW sowie zur Anwendung bei besonderen Patientengruppen, Dosierung und Kosten. Seit 2009 seien insgesamt 58 Arzneimittel untersucht worden, bei 38 von ihnen habe es sich um neue Wirkstoffe gehandelt.

Die Arzneimittel-Kommission greift zur Analyse auf Daten aus dem Europäischen Öffentlichen Bewertungsbericht (EPAR, European Public Assessment Report) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zurück. Dies sei eine unabhängige und verlässliche Quelle, aus der auch präklinische Daten hervorgingen, berichtete Gundert-Remy.

Die Internistin und Pharmakologin begründete das Vorgehen damit, dass die Informationen aus der Originalveröffentlichung nicht selten "positiv verzerrt" seien. Andererseits sei der ausführliche Studienbericht mit den Rohdaten, die ein Hersteller mit dem Antrag auf Zulassung einreicht, für die Kommission nicht zugänglich.

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