KBV-Arznei-Modell mit Nebenwirkungen für Ärzte

Auf bis zu 2,8 Milliarden Euro taxiert die KBV das Einsparpotenzial ihres mit der ABDA entwickelten Arzneiversorgungsmodells. Doch ohne Risiken ist dieses Modell nicht - gerade für Ärzte.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Rezepte: künftig nur noch mit Wirkstoffen?

Rezepte: künftig nur noch mit Wirkstoffen?

© ABDA

BERLIN. Ärzte und Apotheker sollen die Arzneimittelversorgung vor allem bei chronisch Kranken und bei Patienten mit Multimedikation gemeinsam steuern.

Ärzte sollen dabei nur noch Wirkstoffe aus einem bestimmten Katalog verordnen, der Apotheker wählt das konkrete Arzneimittel aus.

Die denkbaren Einsparungen von bis zu 2,8 Milliarden Euro teilen sich Kassen - 2,1 Milliarden Euro - sowie Ärzte und Apotheker - 700 Millionen Euro.

Dieses Modell soll nun eine gesetzliche Grundlage bekommen. In die Beratungen zum GKV-Versorgungsstrukturgesetz ist ein Antrag eingebracht worden, mit dem entsprechende Vereinbarungen über Modellvorhaben zwischen KVen, Verbänden der Krankenkassen und der Apotheker getroffen werden können.

Konzept gegen geringe Compliance

Erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurde das Modell, das die KBV und die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände entwickelt haben, im Frühjahr.

Ausgangspunkt der Überlegungen: Bei Langzeittherapien liegt die Compliance der Patienten nur bei 50 Prozent. Noncompliance ist eine wichtige Ursache für Therapieversagen.

Die dadurch entstehenden Kosten liegen bei mehreren Milliarden Euro jährlich. Außerdem werden Arzneimittel im Wert von über einer Milliarde Euro entsorgt. Durch Polypharmazie entsteht bei Patienten Verunsicherung, Wechselwirkungen werden unüberschaubar.

Zuvor ausgehandelter Medikationskatalog

Aus diesen Gründen haben KBV und ABDA Grundsätze für ein gemeinsames Medikationsmanagement entwickelt.

Danach sollen Arzt und Apotheker ihre Patienten dauerhaft gemeinsam betreuen, dazu einen vollständigen Medikationsplan aufstellen und diesen bei Veränderungen stets miteinander abstimmen. Arzt und Apotheker sollen dafür ein Honorar erhalten.

Der Arzt soll sich dabei an einen bestimmten Medikationskatalog halten. Hierbei wird auf Standardwirkstoffe zurückgegriffen, Analogarzneimittel werden ausgegrenzt.

Aus diesem Katalog verordnet der Arzt lediglich Wirkstoffe und bestimmt Stärke, Menge und Darreichungsform. Das konkrete Arzneimittel wählt der kooperierende Apotheker aus.

Widerstand von den Hausärzten

Auf diese Weise werden etwa zwei Drittel der GKV-Arzneimittelversorgung gesteuert. Allein auf 1,8 Milliarden Euro schätzt die KBV die möglichen Einsparungen durch Complianceverbesserungen.

Widerstand gegen dieses Modell kommt vor allem von der am stärksten betroffenen Arztgruppe, den Hausärzten. Ulrich Weigeldt, Vorsitzender des Hausärzteverbandes, führt medizinische und wirtschaftliche Gründe gegen das ABDA-KBV-Konstrukt ins Feld.

Beispiel Metoprolol: diesen häufig verordneten Wirkstoff gibt es mit drei verschiedenen Salzen, unterschiedlicher Galenik und unterschiedlicher Teilbarkeit je nach Fertigarzneimittel.

Aus guten Gründen verordneten Ärzte deshalb Arzneimittelmarken und keine Wirkstoffe. Auch bei Kombinationsarzneimitteln sei die Wirkstoffverordnung nicht praktikabel.

Kritik auch von der Industrie

Wirtschaftlich sei diese Art der KBV-Arzneimittelpolitik riskant. Zwar könnten die Richtgrößenprüfungen für das Segment der patentfreien Arzneimittel entfallen. Stattdessen werde aber die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach statistischen Fachgruppenvergleichen wiederbelebt.

Mit einem verhängnisvollen Effekt, so Weigeldt: Das Segment ist zwar kleiner, aber viel heterogener. Schon die Verordnung einiger weniger hochpreisiger Arzneimittel führe zu großen Abweichungen vom Fachgruppendurchschnitt und damit in die Regresszone.

Einiges Erstaunen hat die Tatsache ausgelöst, dass gerade eine Ärzteorganisation für die Beschneidung von Kompetenzen ihrer Berufsgruppe eintritt.

Professor Barbara Sickmüller vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie: "Es ist nicht nachvollziehbar, wie Ärzte und Apotheker auf die Idee kommen, eine Pauschalantwort für jeden Patienten zu fixieren, wenn klar ist, dass sich die Medizin immer weiter individualisiert."

Die Bundesärztekammer schweigt. Nur Theodor Windhorst, Kammerpräsident in Westfalen-Lippe, begrüßt die Pläne von KBV, ABDA und schwarz-gelber Koalition. Damit könne die von Ärzten geforderte Positivliste, wie vom Ärztetag 2008 beschlossen, realisiert werden.

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