Kliniken vs. Pharma

Arzneiengpässe werden zum Politikum

Engpässe und Ausfälle bei Arzneimitteln sind in den USA ein altbekanntes Problem. Inzwischen scheint das Thema auch hierzulande virulent zu werden. Auch die Politik reagiert.

Christoph WinnatVon Christoph Winnat Veröffentlicht:
Infusionen - mittlerweile auch hierzulande von Engpässen betroffen.

Infusionen - mittlerweile auch hierzulande von Engpässen betroffen.

© Mathias Ernert

BERLIN. Mit einem gemeinsamen Positionspapier haben sich jetzt die Pharmaverbände in der Debatte um Lieferengpässe bei der Arzneimittelversorgung zu Wort gemeldet.

Ihr Plädoyer für eine "differenzierte Betrachtung" der Problematik nimmt direkt Bezug auf einen kürzlich von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) aufgestellten Forderungskatalog.

Anfang November hatte die DKG in einem Positionspapier bemängelt, dass "Lieferengpässe von Arzneimitteln in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen haben".

Das betreffe vielfach lebenswichtige Produkte, am häufigsten Krebsmittel, Antibiotika und vor allem intravenös zu verabreichende Präparate.

Als Ursachen wurden unter anderem Konzentrationsprozesse in der weltweiten Pharmaproduktion oder eine nicht ausreichende Bevorratung der Hersteller genannt. Die drei Forderungen der DKG:

1. Bei den Zulassungsbehörden solle ein zentrales Melderegister für Lieferengpässe eingerichtet werden. Die dort erfassten Informationen seien auch zu veröffentlichen.

2. Arzneimittelhersteller sollten gesetzlich zu ausreichender Bevorratung verpflichtet werden ("Bereitstellungsauftrag"). Das habe "zumindest für Arzneimittel" zu gelten, "die zur Behandlung schwerster Erkrankungen zwingend benötigt werden".

3. Und schließlich müsse ein zentrales Risikomanagement aufgebaut werden, etwa um bei Produktionsproblemen frühzeitig andere Hersteller zur Erhöhung der Produktionsmengen auffordern zu können, oder um rechtzeitig Kontingentierungen vorzunehmen.

Eine Meldepflicht gibt es schon

In ihrer Antwort betonen die Pharmaverbände, dass es zuallererst im Interesse eines jeden Herstellers selbst liege, Engpässe zu vermeiden.

Darüber hinaus verweisen sie darauf, dass einige der DKG-Forderungen längst Realität, andere jedoch eher mit Vorsicht zu genießen seien. Eine Meldepflicht für Lieferengpässe gebe es längst.

Eine Veröffentlichung dieser Informationen setze jedoch einen Konsens zwischen Behörden, Industrie und Klinikapothekern voraus, was unter einem Engpass überhaupt zu verstehen sei.

Eine falsche Nennung in einem solchen Register könne "erheblichen Schaden im Wettbewerb" verursachen, heißt es. Noch kritischer sehen die Verbände die Verpflichtung zur Vorratshaltung.

Anders als die DKG behaupte, hielten die Hersteller bereits in erheblichem Umfang Lagerkapazitäten vor. Nehme dieser Aufwand weiter zu, bestehe die Gefahr, dass auf die Vermarktung wenig rentabler Produkte ganz verzichtet werde.

Auch die von der DKG angeregte Kontingentierung stößt auf Widerstand. Da Behörden weder Kenntnis der Lieferverpflichtungen internationaler Unternehmen hätten, noch entsprechende Eingriffsbefugnisse, sei diese Forderung unrealistisch.

Anders als in den USA, wo Arzneimittelknappheit ("Drug Shortage") ein Dauerbrenner ist, der im Herbst vorigen Jahres sogar das Weiße Haus auf den Plan rief, wurden Lieferengpässe in Deutschland bislang kaum groß diskutiert.

Das scheint sich jetzt zu ändern. So gab es diesen Sommer dazu bereits eine parlamentarische Anfrage an die Bundesregierung. Die freilich signalisierte Entwarnung.

EMA denkt weiter

Zwar habe es zuletzt "einige wenige Fälle" gegeben, in denen bestimmte Arzneimittel nicht ausreichend verfügbar waren. "Grundsätzlich jedoch", hieß es, sei die Arzneimittelversorgung stationär ebenso wie ambulant "gewährleistet".

Eine der häufigsten Ursache für Lieferengpässe sind Qualitätsprobleme in der Fertigung. Kürzlich kündigte deshalb die europäische Zulassungsbehörde EMA Maßnahmen an ("Implementation plan 2012-2015"), um den EU-Mitgliedstaaten Hilfestellung im Umgang mit produktionsbedingter Arzneimittelknappheit zu geben.

Unter anderem soll die Kontrolle durch die EMA und die öffentliche Information über Engpässe verbessert werden. In den vergangenen zwei bis drei Jahren habe es etliche Fälle gegeben, so die EMA, dass Kliniken bestimmte Medikamente nicht mehr hätten beziehen können.

An die Adresse der Industrie gerichtet kritisiert die Behörde, sie betreibe ein eher reaktives als proaktives Risikomanagement. Nachhaltiger Druck sei nötig, um bei Produktionsbetrieben einen Wandel im Umgang mit Qualitätsproblemen zu bewirken.

Mittelfristig sei deshalb daran gedacht, von allen Herstellbetrieben eine Risikoanalyse ihres Produktionsprozesses zu verlangen und ihnen falls nötig Verbesserungsvorschläge und Notfallpläne zu unterbreiten.

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