Arznei-Engpässe

Warum der Wettbewerb versagt

Engpässe statt Überfluss: Weltweit werden Arzneimittel knapp, auch in Deutschland. Ein Arzneimittellager, wie es die KBV fordert, wird kaum helfen - denn die Ursachen sind hausgemacht.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Nicht mehr viel übrig.

Nicht mehr viel übrig.

© Steinach / imago

NEU-ISENBURG. Als erstes schlugen die Krankenhaus-Apotheker Alarm. Rund 30 Arzneimittel, darunter lebenswichtige Antibiotika und Krebstherapeutika hat Torsten Hoppe-Tichy, Leiter der Apotheke des Heidelberger Uniklinikums, auf einer Liste der inzwischen knapp gewordenen Arzneimittel verzeichnet.

Auch Professor Wolf-Dieter Ludwig, Onkologe an den Helios Kliniken in Berlin und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, äußerte sich besorgt über die Lieferengpässe bei essenziellen Arzneimitteln, vor allem auch für die Krebstherapie.

Der Gesundheitspolitiker Jens Spahn wähnt sich bereits in einer "Bananenrepublik" - eine plötzliche Eingebung, nachdem die Bundesregierung noch im Sommer letzten Jahres auf eine parlamentarische Anfrage zum Thema Arzneimittelknappheit Entwarnung gegeben hatte.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft forderte Ende vergangenen Jahres, die Arzneimittelhersteller gesetzlich zu verpflichten, zumindest für Arzneimittel zur Behandlung schwerster Krankheiten einen Vorrat anzulegen.

Hilft ein Arznei-Vorrat?

Ins gleiche Horn blies vor wenigen Tagen die Kassenärztliche Bundesvereinigung mit dem Vorschlag, eine "nationale Arzneimittelreserve" zu schaffen.

Dazu müsste man freilich im Voraus wissen, welche Arzneimittel künftig von Engpässen betroffen sein könnten. Und kurzfristig könnte die Schaffung von Medikamenten-Bunkern - abgesehen von den Kosten, deren Finanzierung unklar ist - an anderen Stellen die Knappheit verschärfen.

Dabei ist das Phänomen bei den Arzneimittelbehörden, vor allem bei der Food and Drug Administration in den USA und bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA bekannt.

Ein Großteil der Engpässe geht zurück auf Qualitätsprobleme in Herstellungsprozessen. Davon sind überwiegend Arzneimittel betroffen, die unter Sterilbedingungen gefertigt werden müssen, etwa für parenterale Darreichungsformen .

Ein weiteres Problem ist möglicherweise der Vormarsch gentechnisch hergestellter Arzneimittel. Die weltweiten Produktionskapazitäten sind begrenzt und konzentrieren sich auf die USA und Deutschland als dem weltweit zweitwichtigsten Standort.

In Deutschland selbst gibt es nur drei relevante Standorte und Unternehmen, die diese Technologie beherrschen: Sanofi in Frankfurt (Kapazität 240.000 Liter pro Jahr), Boehringer Ingelheim in Biberach (180.000 Liter) und Roche in Penzberg (235.000 Liter).

Nach Angaben des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller sind die Produktionskapazitäten in Deutschland zwischen 2005 und 2008 lediglich um fünf Prozent erhöht worden.

Verglichen mit den beiden großen Produktionsländern USA und Deutschland spielen die Nächstplatzierten Japan und Indien eine noch untergeordnete Rolle.

Ein besonderer Umstand der biotechnologischen Produktion tritt hinzu: Sie erfordert Zeit. Störungen und Verunreinigungen im Prozessablauf können so weitreichende Produktionsausfälle zur Folge haben. Ähnliches gilt für die Impfstoffproduktion.

Die USA haben darauf mit einem Gesetz (Safety and Innovation Act 2012) reagiert. Es gibt eine Meldepflicht für Lieferengpässe bei Arzneien gegen schwere Krankheiten, eine Task Force für Strategien gegen Lieferengpässe, eine Ursachenanalyse und Empfehlungen zur Verhütung von Lieferengpässen.

Folgen extremen Preiswettbewerbs

In Europa ist bei der EMA im ersten Quartal 2013 ein Aktionsplan angelaufen, mit dem Produktionsprobleme bewältigt werden sollen.

Diese Schritte erfassen aber wahrscheinlich nicht das gesamte Problem der Arzneimittelengpässe. Offenkundig ist, dass nach Analysen der Marktforscher von IMS überwiegend ältere Arzneimittel, darunter No-Name-Generika und injizierbare Darreichungsformen betroffen sind.

Es liegt der Verdacht nahe, dass die weltweit seit Jahrzehnten geltende Wettbewerbspolitik in der Arzneimittelversorgung, die darauf abgestellt war, einen harten Preiswettbewerb unter Generika zu entfachen, nun an einem Punkt angekommen ist, an dem wachsende Konzentration auf wenige Hersteller zu einem Problem für die Versorgungssicherheit werden.

Davon betroffen sind auch onkologische Präparate, berichtet der Branchenverband Pro Generika.

Oder auch Antibiotika: Bei den fünf wichtigsten Wirkstoffen hat in den letzten Jahren auf dem deutschen Markt eine rasche Oligopolbildung stattgefunden Bei unvermindert weiterschreitender Konzentration sind Monopole in wenigen Jahren wahrscheinlich.

Längst werden viele dieser Arzneimittel und ihre Wirkstoffe nicht mehr in Deutschland produziert, weil die Preise nicht mehr die Herstellkosten decken. Wie groß die Abhängigkeit von Wirkstofflieferanten aus China oder Indien ist, das ist im Moment noch intransparent.

US-Studie: Welche Arzneimittel werden knapp?

168 verschiedene Arzneimittel standen im Herbst 2011 auf der sogenannten Shortage-List in den USA. Diese Liste wird von der amerikanischen Food an d Drug Administration publiziert. Eine Studie des Marktforschungsunternehmens IMS zeigt, welche Typen von Arzneimittel betroffen sind.

82 Prozent der Versorgungsengpässe wurden bei injizierbaren Arzneimitteln registriert. Aufgrund der Steril-Anforderungen sind Produktionsprozesse komplexer und störanfälliger als bei oralen Darreichungsformen, die nur 15 Prozent der knappen Arzneimittel ausmachten.

Bei 83 Prozent der auf der Shortage-Liste aufgeführten Arzneimittel handelte es sich um Generika, und zwar um No Names aus den verschiedensten Produktionsquellen. Lediglich elf Prozent waren patentgeschützte Originalarzneimittel, vier Prozent Marken-Generika.

Fast die Hälfte der Arzneimittel waren vor 1990 eingeführt, hatten also schon lange ihren Patentschutz verloren. Am stärksten betroffen (16 Prozent) war das Segment der Onkologika, gefolgt von Arzneimittel gegen Infektionen (15 Prozent) und gegen kardiovaskuläre Erkrankungen (zwölf Prozent).

Auf den vorderen Plätzen der Krebstherapeutika mit Engpässen standen Carboplatin, Paclitaxel und Fluorouracil. 20 von 22 betroffenen Produkten sind injizierbare Darreichungsformen.

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