Studie zu Contergan-Skandal

NRW-Regierung korrekt, aber überfordert

Ein Gutachten von Historikern zeigt, dass sich Behörden korrekt verhielten, aber überfordert waren.

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DÜSSELDORF. Die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen hat sich im Contergan-Skandal vor über 50 Jahren nicht rechtswidrig verhalten. Zu dem Fazit kam Gesundheitsministerin Barbara Steffens bei der Vorstellung einer wissenschaftlichen Studie.

"Nach heutigem Recht wäre das alles undenkbar"

Historiker der Universität Münster haben im Auftrag des Landes NRW untersucht, ob sich die damalige Landesregierung in der Tragödie korrekt verhalten hat. Die Behörden hätten sich an damals geltende Rechtsnormen gehalten, sagte Steffens. "Nach heutigem Recht wäre das alles undenkbar."

Die Landesregierung sei im Contergan-Skandal jedoch überfordert gewesen, sagte die Ministerin. "So wie die Behörden damals aufgestellt waren, waren sie nicht imstande, auf die katastrophalen Folgen von Contergan in einer Weise zu reagieren, wie man es heute erwarten würde", sagte sie.

Rückblickend seien sowohl die Rahmenbedingungen, nach denen Medikamente auf den Markt kommen konnten, als auch der Umgang der Verwaltung mit dem Contergan-Skandal verheerend. "Das ist aus heutiger Sicht zutiefst bedauerlich", so Steffens.

Gesundheitsverwaltung in Abwehrhaltung

Nach der Marktrücknahme von Contergan mit dem Wirkstoff Thalidomid habe die Landesregierung massive Schwierigkeiten gehabt, die Wirkung des Mittels erklären zu lassen, die Zahl der Betroffenen festzustellen und Contergan zu verbieten. Geschädigte und Hilfesuchende seien auf eine Gesundheitsverwaltung in Abwehrhaltung gestoßen. Die Bevölkerung wurde nicht aufgeklärt, staatliche Hilfsmaßnahmen hätten sich vielfach als unzureichend erwiesen.

Kritisch äußerte sich Steffens zum Verhalten des Herstellers Grünenthal. "Klar ist, dass Grünenthal vielen Menschen großes Leid hätte ersparen können, wenn das Unternehmen frühzeitig auf die Hinweise der Nebenwirkungen, die auf dem Tisch lagen, reagiert und Contergan vom Markt genommen hätte", sagte Steffens.

Grünenthal will sich vorerst nicht zu den Ergebnissen äußern, sondern die Untersuchung zuerst auswerten. "Wir bedauern die Thalidomid-Tragödie zutiefst, und sie wird immer Teil unserer Unternehmensgeschichte bleiben", sagte ein Sprecher.

Grünenthal stehe mit den Betroffenen in Dialog und realisiere über die "Grünenthal-Stiftung" Unterstützungsangebote für betroffene Menschen.Das Mittel Contergan war zwischen 1957 und 1961 als Schlaf- und Beruhigungsmittel auf dem Markt. Contergan wurde Schwangeren als unbedenklich empfohlen, der enthaltene Wirkstoff Thalidomid verursachte jedoch Nervenschäden und Fehlbildungen beim ungeborenen Kind.

In Deutschland wurden etwa 5000 Menschen geschädigt, von ihnen leben heute noch etwa 2400, davon rund 800 in NRW. Die Landesregierung spielt in dem Verfahren aus zwei Gründen eine zentrale Rolle: Das Präparat des Herstellers mit Sitz in Stolberg bei Aachen fiel unter die Gesundheitsaufsicht des Landes, die damals beim NRW-Innenministerium lag.

Zudem fielen die Strafverfolgung und Aufklärung in die Zuständigkeit der NRW-Justizbehörden. Am 22. Juni will Steffens mit Contergan-Geschädigten und deren Angehörigen über die Ergebnisse diskutieren. (age)

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