Streit um Arzneitests

Bundestag sorgt für Bedenkzeit

Im Streit um Arzneitests an Demenzkranken kommt es im Bundestag doch nicht zum Showdown. Kurz vor der Abstimmung am Freitag haben die Fraktionen die Notbremse gezogen.

Florian StaeckVon Florian Staeck und Anno FrickeAnno Fricke Veröffentlicht:

BERLIN. Die seit Wochen andauernde Debatte über Medikamententests mit demenzkranken Patienten, die nur gruppennützig sind, den Betroffenen selber aber nicht zu Gute kommen, wird weiter schwelen. Am frühen Dienstagnachmittag kippten die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen die abschließende Beratung der 4. Novelle des Arzneimittelgesetzes aus der Tagesordnung der Sitzung am Freitag. Das von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) forcierte Projekt benötige mehr Bedenkzeit, hieß es im Anschluss an die Entscheidung. Ein neuer Anlauf solle im September genommen werden. Bereits im Juni war eine Abstimmung darüber abgeblasen worden (die "Ärzte Zeitung" berichtete).

Bislang ist die rein gruppennützige Forschung an volljährigen nicht-einwilligungsfähigen Patienten verboten - mit Paragraf 40 b Absatz 2 Satz 2 AMG-Entwurf soll das geändert werden, wenn der Betroffene vor seiner Erkrankung in einer Patientenverfügung der Teilnahme zugestimmt hat.

Über die Notwendigkeit von solchen Studiendesigns wird erbittert gestritten: BMG-Staatssekretärin Ingrid Fischbach (CDU) sah sich jüngst in der Fragestunde des Bundestags einem minutenlangen Kreuzverhör durch Abgeordnete von Koalition und Opposition ausgesetzt - und blieb überzeugende Antworten schuldig. Bislang gibt es drei Änderungsanträge:

Kordula Schulz-Asche (Grüne), Ulla Schmidt (SPD), Uwe Schummer (CDU), Katrin Vogler (Linke): Sie wollen die Rechtslage beibehalten und eine Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Patienten nur erlauben, wenn die Betroffenen einen individuellen medizinischen Vorteil von ihrer Teilnahme haben. Die Abgeordneten verweisen darauf, die EU-Verordnung lasse es ausdrücklich zu, höhere Schutzstandards für Probanden festzulegen.

Die Absetzung von der Tagesordnung lege die Vermutung nahe, dass es aus den Reihen der Koalitionsfraktionen viele Unterstützer für ihren fraktionsübergreifenden Antrag gebe, teilte Schulz-Asche am Dienstagnachmittag mit. "Ich rate der Koalition nun, die Sommerpause zu nutzen, um endlich zur Vernunft zu kommen."

Georg Nüsslein (CSU), Maria Michalk (CDU): Der Fraktionsvize und die gesundheitspolitische Sprecherin schlagen vor, gruppennützige Forschung bei nicht-einwilligungsfähigen Demenzkranken unter strengeren Regeln vorzusehen, als dies im Regierungsentwurf geplant ist: Der Betroffene muss demnach bei noch klarem Bewusstsein eine "schriftliche Erklärung" zur Einwilligung abgeben - etwa im Rahmen einer Patientenverfügung oder einer Vorsorgevollmacht. Allerdings muss - anders als bisher - der Einwilligung verpflichtend eine ärztliche Aufklärung vorausgehen. Ein Verzicht darauf soll - anders als bei der Heilbehandlung nach Paragraf 630e Absatz 3 BGB - nicht möglich sein. Steht die konkrete Teilnahme an einer Studie an, muss zudem der rechtliche Betreuer nach ärztlicher Aufklärung einwilligen.

Dieser Antrag, der weitgehend Vorschlägen von SPD-Fraktionsvize Professor Karl Lauterbach entspricht, könnte insbesondere in der Union Zustimmung finden, weil er Gesundheitsminister Hermann Gröhe am wenigsten zu beschädigen verspricht.

Hilde Mattheis, Sabine Dittmar (beide SPD): Sie sprechen sich ebenfalls für eine schriftliche Erklärung im Sinne einer "Probanden-Verfügung" aus, lehnen eine Pflicht zur ärztlichen Aufklärung aber ab. Denn diese könne "zur Zeit der Einwilligung nur sehr allgemein und theoretisch abstrakt sein" und würde das "Selbstbestimmungsrecht" der Betroffenen einschränken: "Wir sehen keinen sachlichen Grund dafür, einem einwilligungsfähigen Erwachsenen diese Entscheidung zu verbieten", schreiben die beiden SPD-Abgeordneten.

Gegen den Gesetzentwurf von Gröhe stemmen sich vor allem Unionsabgeordnete. Einer der Wortführer der Gegner der AMG-Novelle, Hubert Hüppe (CDU), wirft BMG-Staatssekretärin Fischbach in einem Brief vor, das Ministerium habe sich "schlecht beraten" lassen. Zeitdruck gebe es, anders als vom Ministerium deklariert, nicht: Die betreffende EU-Verordnung gilt erst ab Oktober 2018. Selbst wenn der Gesetzgeber erst Ende 2017 entscheiden sollte, "wären wir noch im Zeitplan", schreibt Hüppe.

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