Standort-Verlegung nach Brexit

Tag der Entscheidung: Wohin geht die EMA?

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BRÜSSEL. In Brüssel entscheidet sich am Montag, ob Deutschland im Zuge des Brexits Sitz einer weiteren EU-Behörde wird. In geheimer Wahl werden Vertreter der EU-Staaten darüber abstimmen, wohin die Standorte der derzeit in London beheimateten Bankenaufsichtsbehörde EBA und der Arzneimittelagentur EMA verlegt werden. Im Rennen sind auch Bonn für die EMA und Frankfurt am Main für die EBA. Beide Behörden sollen wegen des geplanten EU-Austritts Großbritanniens so schnell wie möglich in eines der 27 verbleibenden EU-Länder umgesiedelt werden.Bonn tritt dabei gegen 18, Frankfurt gegen 7 andere EU-Städte an. Wer den Zuschlag erhält, kann auf immense Zusatzeinnahmen hoffen. Die für die Bewertung und Überwachung von Arzneimitteln zuständige EMA und die für die Bankenaufsicht zuständige EBA richten jährlich Hunderte Konferenzen und Veranstaltungen mit Experten aus aller Welt aus. Zuletzt sorgten beide Agenturen in London für rund 39.000 zusätzliche Hotelübernachtungen pro Jahr.

Hinzu kommt, dass auch die meisten hoch qualifizierten Mitarbeiter umziehen dürften. Die EMA beschäftigte zuletzt immerhin rund 900 Menschen, die Bankenaufsicht EBA, die sich um Wahrung der Finanzstabilität in der EU und das ordnungsgemäße Funktionieren des Bankensektors kümmert, kam auf knapp 200.

Der Ausgang der Abstimmung im EU-Ministerrat gilt als offen. Kritiker warnen schon seit Wochen, dass es für hervorragend geeignete Bewerber wie Bonn oder Frankfurt böse Überraschungen geben könnte.

Das Wahlverfahren sieht nämlich vor, dass in der ersten Wahlrunde alle 27 abstimmenden EU-Staaten drei Punkte an ihren Favoriten sowie zwei Punkte an ihre Nummer zwei und einen Punkt an ihre Nummer drei vergeben. Dies könnte zu einem Ausscheiden von guten Standorten in der ersten Runde führen, wenn alle Bewerberländer sich selbst die drei Punkte geben und die anderen an scheinbar unqualifizierte Mitbewerber verteilen, um die Konkurrenz zu schwächen.

Diplomaten zufolge versuchen Ländervertreter schon seit Wochen, sich über Deals und Versprechen die Stimmen anderer Länder zu sichern. So hat Deutschland nach Informationen des "Spiegel" (Samstag) eine Abmachung mit Griechenland getroffen: Demnach unterstützt die Regierung in Athen die Frankfurter Bewerbung um die EBA; im Gegenzug gebe die Bundesregierung ihre Stimme im EMA-Auswahlverfahren der griechischen Hauptstadt.

Offiziell sollen bei der Wahl nur sechs Kriterien eine Rolle spielen. Dazu gehören unter anderem die Arbeitsbedingungen, die Verkehrsanbindung, die bisherige Zahl der EU-Agenturen und die Möglichkeit eines schnellen und problemlosen Umzugs.

Dass sowohl Bonn als auch Frankfurt als Sieger aus dem Standortwettbewerb hervorgehen, ist ausgeschlossen. Eine der Verfahrensregeln besagt nämlich, dass jedes Land höchstens eine der Agenturen bekommen kann. Neben Frankfurt gelten Dublin und Paris als Favoriten für den EBA-Sitz. Für die EMA werden Städte wie Mailand, Bratislava, Amsterdam und Kopenhagen als geeignete Kandidaten genannt. Bonn hat demnach lediglich Außenseiterchancen.

Gegen Deutschland allgemein spricht unter anderem, dass es mit der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) in Köln und der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) in Frankfurt bereits zwei EU-Organe beherbergt. Zudem wird an der Bonner Bewerbung kritisiert, dass sie die EMA erst einmal in Übergangsräumen unterbringen will. Bei Frankfurt wird in einer Bewertung der EU-Kommission die nicht garantierte Mietfreiheit für die Behörde hervorgehoben.

In der deutschen Bankenmetropole gibt es dennoch Hoffnung. "Wenn es rein nach rationalen Gesichtspunkten geht, dann geht am Standort Frankfurt kein Weg vorbei", bekräftigte vor wenigen Tagen Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU). Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) reiste Anfang November eigens nach Brüssel, um gemeinsam mit dem geschäftsführenden Bundesfinanzminister Peter Altmaier (CDU) und dem früheren Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) Werbung für Frankfurt als künftigen EBA-Sitz zu machen.

Auch aus Sicht der Akteure an Deutschlands führendem Finanzplatz gibt es für den Umzug der Bankenaufsicht nur eine logische Variante. "Die EBA gehört nach Frankfurt, um das ganz klar zu sagen", sagt etwa DZ-Bank-Chef Wolfgang Kirsch. "Sie ist damals an den größten Finanzplatz in Europa, nach London gegangen, der künftig nicht mehr dazugehören wird. Also gehört die EBA hierher."

Schon jetzt haben im Grunde alle wichtigen Banken der Welt eine Dependance in "Mainhattan", zudem hat sich Frankfurt zu Europas Aufsichtshauptstadt entwickelt - unter anderem mit der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Versicherungsaufsicht EIOPA. Die Wege sind kurz, ein schnell erreichbarer internationaler Flughafen verbindet Hessens größte Stadt mit der Finanzwelt.

Eine pragmatische Entscheidung pro Frankfurt erwartet allerdings niemand - auch EBA-Chef Andrea Enria nicht: "Das ist eine sehr politische Entscheidung", sagte der Italiener Anfang der Woche bei einer Tagung in Frankfurt. "Ich hoffe, dass wir bald einen neuen Sitz haben, damit wir anfangen können, zu planen."

Der Vorsitzende der SPD-Gruppe im Europaparlament, Jens Geier, forderte eine Entscheidung im Sinne des Steuerzahlers. "Jetzt kann der Rat zeigen, dass er es mit dem Sparen ernst meint - und die Bankenaufsicht aus London dorthin verlegen, wo bereits eine der beiden anderen EU-Finanzagenturen arbeitet", sagte Geier der Deutschen Presse-Agentur.

Die EU-Marktaufsicht in Paris und die EU-Rentenaufsicht in Frankfurt beschäftigten schon heute jeweils einen Direktor, einen Sicherheitsdienst und eine Kantine. "Das ist nicht doppelt nötig", kommentierte er. Die Einsparungen könnten für andere wichtige EU-Aufgaben genutzt werden, beispielsweise im Bereich der Cybersicherheit, Terrorbekämpfung oder Asylpolitik.(dpa)

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