Antibiotika

Hilfsmittel gegen den Druck der Patienten

Im EU-Vergleich gehört Deutschland zwar zu den Ländern mit dem geringsten ambulanten Antibiotikaverbrauch. Dennoch könnten Ärzte mit Blick auf Resistenzbildungen wesentlich seltener zum Rezeptblock greifen, sagen Experten. Gegen den vermeintlichen Druck der Patienten soll eine ganz besondere Strategie helfen.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Eine außergewöhnlich Antibiotika-Aufklärungskampagne, die bereits kleine Patienten einbezieht, stellte Prof. Attila Altiner von der Unimedizin Rostock vor.

Eine außergewöhnlich Antibiotika-Aufklärungskampagne, die bereits kleine Patienten einbezieht, stellte Prof. Attila Altiner von der Unimedizin Rostock vor.

© Höhl

BERLIN. Rund 30 Prozent der GKV-Patienten wurde im Jahr 2016 mindestens einmal ein Antibiotikum verordnet. "Insgesamt sind die Verordnungszahlen erfreulicherweise leicht rückläufig", sagte Dr. Jochen Walker, Geschäftsführer des Instituts für angewandte Gesundheitsforschung (InGef). 2011 habe die Quote noch bei 33,5 Prozent gelegen, erklärte er in Berlin bei der Tagung "Praxis Versorgungsforschung", die das InGef gemeinsam mit dem WINEG, dem Versorgungsforschungsinstitut der TK, veranstaltet hat. Walker: "Trotzdem gibt es Verbesserungspotenzial."

Bei den Daten, die sein Institut ermittelt hat, zeigt sich nämlich, dass sich die Verordnungsquote der Reserve-Antibiotika von 2012 (2,0 Prozent) bis 2016 (4,1 Prozent) verdoppelt hat. Dies sei trotz der geringen Quote problematisch, da Reserve-Antibiotika nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen sollen – und es wegen der zunehmenden Resistenzbildung nur wenige Reserve-Antibiotika gibt.

Auch, dass Deutschland im vergangenen Jahr mit im Schnitt 9,62 bis 14,95 definierten Tagesdosen (DDD) pro 1000 Einwohner mit Ländern wie Schweden oder den Niederlanden am unteren Ende der Antibiotika-Verordnungsquoten innerhalb der EU stand, wie Professor Attila Altiner, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin an der Universität Rostock, berichtete, beruhigt die Experten nicht. Immerhin kommen Griechenland oder Zypern auf 30,94 bis 36,26 Tagesdosen, und selbst Frankreich liegt bei 25,61 bis 30,93 Tagesdosen.

"Heute wird bei 45 Prozent der akuten Atemwegsinfekte ein Antibiotikum verordnet", so Altiner. Das sei zwar schon besser als vor einigen Jahren, aber "es sind immer noch 35 Prozent zu viel". Es gehe nicht um eine Nullquote bei solchen Infekten, denn es gebe Fälle, bei denen sehr wohl eine Antibiotikagabe angesagt sei. Doch eben nicht in diesem Ausmaß. "Ich bin gespannt, wie die Verordnungszahlen nach dieser Grippewelle aussehen", sagte er.

Konflikt, der keiner ist?

Für einen rationelleren Einsatz von Antibiotika hilft es seiner Meinung nach nicht, einfach Strategien anderer Länder wie die "Delayed-Prescribing-Initiative" aus Großbritannien zu übernehmen, bei der den Patienten das Antibiotika-Rezept zwar schon mitgegeben wird, sie aber den Hinweis erhalten, es erst bei anhaltenden oder sich verschlechternden Symptomen in der Apotheke einzulösen. Am wirksamsten sei vielmehr ein Kommunikationstraining für Ärzte, kombiniert mit der Stärkung der Gesundheitskompetenz bei den Patienten.

Ärzte verspüren laut Altiner einen Verordnungsdruck und wollen dem Konflikt mit den Patienten aus dem Weg gehen. "Wir haben als Ärzte alles Recht dazu, Konflikte mit unseren Patienten nicht aushalten zu müssen", stellte er klar.

Die Ärzte dürften nicht zum Vollstrecker unpopulärer Maßnahmen im Gesundheitswesen gemacht werden. Bei den Antibiotika würden Ärzte allerdings oft einen Konflikt annehmen, den es gar nicht gibt. "Viele Patienten wollen gar kein Antibiotikum, sie machen sich einfach nur Sorgen, haben Angst und wollen einen ärztlichen Rat."

"Mehrheit will kein Rezept"

Bereits 2002 hat Altiner gemeinsam mit Kollegen in einer Untersuchung mit 77 Patienten mit akutem Husten belegt, dass 80 Prozent dieser Patienten kein Antibiotika-Rezept vom Arzt erwarten (Sandquist S. Altiner A., Z. Allg Med 2002). "Das ist zwar eine kleine Zahl, aber die Untersuchung ist trotzdem relevant", sagte er. Denn: 31 Patienten bekamen es trotzdem. Ärzte sollten die Patienten die Entscheidung gegen das Rezept fällen lassen, rät Altiner.

Altiner weiter: "Sagen Sie einfach mal: Manche Eltern erwarten, dass in so einer Situation ein Antibiotikum schneller zur Genesung beiträgt … und dann warten Sie, geben Sie dem Patienten die Zeit, sich zu äußern", lautete sein Tipp. Das sei eine Steilvorlage, in den meisten Fällen würden die Patienten dann von sich aus das Antibiotikum ablehnen. "Mit dieser Strategie könnten wir auf eine Verordnungsquote von zehn bis 15 Prozent kommen."

Wichtig sei zudem, dass Ärzte lernen, dass es keine hundertprozentige Sicherheit in der Therapie gibt. In der CHANGE-2-Studie – dem Nachfolger der CHANGE-Studie aus 2007 (CHANGE steht für Converting habits of antibiotic prescribing in general practice) haben Altiner und seine Kollegen festgestellt, dass die Patienten von Ärzten, bei denen die Wahrscheinlichkeit für eine Antibiotika-Verordnung höher ist, auch häufiger in der Klinik landen würden. An der Studie haben 107 Ärzte und 3932 Patienten teilgenommen. "Wir können es nicht erklären", berichtete Altiner, "aber vielleicht überweist dieser vorsichtigere Arzt auch schneller ins Krankenhaus".

Aufklärung muss aber ebenso bei den Patienten ansetzen. Die Uni Rostock hat hierzu gemeinsam mit der Hochschule Wismar ein Konzept aufgesetzt, das versucht, die Botschaft positiv an den Patienten zu bringen. So wird auf Plakaten etwa geworben mit: "Weniger Antibiotika, mehr Game of Thrones – während eines akuten Atemwegsinfekts kann man 120 Folgen Game of Thrones gucken." Oder "Weniger Antibiotika, mehr Musik – während eines akuten Atemwegsinfekts kann man 180 mal die vier Jahreszeiten von Vivaldi hören".

Um möglichst früh für den umsichtigen Einsatz von Antibiotika zu schulen, gibt es zudem Comics und Erklärplakate für Kinder und Jugendliche.

Ansetzen müsse man außerdem bei der jungen Ärztegeneration: Altiner forderte, dass hier in der ärztlichen Weiterbildung mehr sensibilisiert werden sollte. Der Hang zur Annahme, dass Breitband-Antibiotika besonders wirksam seien, sei etwa dadurch getriggert, dass die Weiterbildung vorrangig im Kliniksektor stattfinde.

"Dort muss man mehr mit Breitband-Antibiotika arbeiten", räumte er ein. In der ambulanten Welt sehe dies aber anders aus. Zusätzlich brauche es mehr Evidenz über die Langzeitfolgen bei einer Nichtgabe von Antibiotika.

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