Diabetes-Therapie

Der GBA gegen den Rest der Welt?

Erneut kein Zusatznutzen für Linagliptin, Festbeträge nun auch für Insulin-Analoga - der Gemeinsame Bundesausschuss trifft weitreichende Entscheidungen für die Diabetes-Versorgung in Deutschland.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Trajenta (Linagliptin) wird es für Patienten in Deutschland nicht geben.

Trajenta (Linagliptin) wird es für Patienten in Deutschland nicht geben.

© Boehringer Ingelheim

BERLIN. Das Antidiabetikum Linagliptin (Trajenta®) wird Ärzten und Patienten in Deutschland nun definitiv nicht für die Behandlung zur Verfügung stehen.

Dies haben die Anbieter Boehringer Ingelheim und Lilly entschieden, nachdem der gemeinsame Bundesausschuss am Donnerstag im wiederholten Verfahren zur frühen Nutzenbewertung mit den Stimmen der Krankenkassen und der Unparteiischen dem Arzneimittel im Vergleich zu Sulfonylharnstoffen keinen Zusatznutzen zugesprochen haben.

Die KBV hatte für einen "Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen für einen Teil der Patienten", begrenzt auf vier Jahre plädiert.

Aus der Sicht von Boehringer ist die Entscheidung "nicht nachvollziehbar" vor dem Hintergrund, dass Bewertungsinstanzen in 40 anderen Ländern positiv entschieden hätten, sagte Deutschland-Chef Dr. Eberhard Günster der "Ärzte Zeitung".

In den "tragenden Gründen" zu seiner Bewertung führt der GBA an, der Hersteller habe im Dossier "keine Studie vorgelegt, die für die Bewertung des Zusatznutzens einer Monotherapie gegenüber der Vergleichstherapie geeignet gewesen wäre".

In Bezug auf die Zweifachkombination Linagliptin plus Metformin gegen Sulfonylharnstoff kommt der GBA zum gleichen Ergebnis: kein belegter Zusatznutzen.

Kein Präjudiz für andere Gliptine

Die effektive Senkung des HbA1c-Wertes stelle zwar einen von der Zulassungsbehörde EMA anerkannten primären Endpunkt dar, jedoch gebe es in der Gesamtmortalität zwischen dem Linagliptin- und dem Glimepirid-Arm keine statistisch signifikanten Unterschiede.

Auf den Einfluss der bei Zulassungsstudien meist kurzen Beobachtungsdauer geht der Bundesausschuss nicht ein.

Zwar sieht der GBA in der Linagliptin-Gruppe statistisch signifikant weniger nichttödliche Schlaganfälle (drei zu elf), erkennt darin keine klinische Relevanz.

Statistisch signifikante Unterschiede beim Risiko von Hypoglykämien führt der GBA nicht auf die Eigenschaften von Linagliptin, sondern auf unterschiedliche Therapiestrategien zurück.

Im nächsten Schritt will der Bundesausschuss alle Gliptine einer Nutzenbewertung unterziehen. Gegen die Aufforderung vom Dezember, binnen drei Monate ein Dossier vorzulegen, hat Novartis einstweiligen Rechtsschutz begehrt und beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg einen Aufschub der Frist erreicht.

In Kürze wird im einstweiligen Verfahren vom LSG entschieden, ob die Kriterien für die Bewertung des Bestandsmarkts ausreichend tragfähig sind.

Obwohl der GBA wohl auch für den Bestandsmarkt die generische Vergleichstherapie der Sulfonylharnstoffe vorgeben wird, sieht der Vorsitzende Josef Hecken in der Linaglitptin-Entscheidung "kein Präjudiz" für alle Gliptine.

Pfundner: Verstörendes Signal für Deutschland

Eine andere Entscheidung des Bundesausschusses, die Bildung von drei Festbetragsgruppen für Insulin-Analoga (schnell wirkende, intermediär und lang wirkende sowie intermediär wirkende kombinierte Insuline), wird den Kassen wahrscheinlich keine Einsparungen bringen, aber die Hersteller teuer zu stehen kommen. Die Analoga waren 2005/2006 einer Nutzenbewertung unterzogen worden.

Ergebnis: Kein Zusatznutzen zu Humaninsulin. Die Entscheidung des GBA: Ausschluss von der Verordnungsfähigkeit. Die Hersteller reagierten doppelt: mit einer Klage gegen den Verordnungsausschluss, weil dieser unverhältnismäßig sei.

Zweitens schlossen sie mit den meisten Kassen Rabattverträge, so dass Kostengleichheit zu den Humaninsulinen erreicht wurde. Damit waren Analoga wieder verordnungsfähig.

GBA-Chef Hecken führt für den aktuellen Beschluss zwei Gründe an: Das Ministerium habe mehrfach Festbeträge angemahnt; und da die Klagen gegen den Verordnungsausschluss aufrecht erhalten worden seien, bekomme die Industrie nun mit den Festbeträgen "das mildere Mittel" einer Intervention.

Allerdings mit einer gravierenden Nebenwirkung: In vielen Ländern, die sich an Deutschland orientieren, kommen mit den Festbeträgen die Preise ins Rutschen. Allein vom Standort Frankfurt aus werden über 95 Prozent des dort produzierten Lantus® (Wert fast vier Milliarden Euro) exportiert.

Der Vorsitzende des Verbandes der forschenden Arzneimittelhersteller Dr. Hagen Pfundner wertet beide GBA-Entscheidungen als Innovationsbremse.

Der Festbetragsbeschluss bedeute "einen erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden für den Standort und ist ein verstörendes Signal aus Deutschland".

"Diese Entscheidung kennt nur Verlierer"

Unerwartet kam das negative Verdikt über Linagliptin für Boehringer Ingelheim. Angesichts der positiven Voten im Ausland hält Dr. Engelbert Günster, Chef von Boehringer Deutschland, den Beschluss nicht für nachvollziehbar.

Der GBA gegen den Rest der Welt?

© Boehringer Ingelheim

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Günster, der Bundesausschuss hat entschieden: kein Zusatznutzen von Linagliptin. Für Boehringer Ingelheim und Lilly ist das der Worst Case. Haben Sie damit gerechnet?

Dr. Engelbert Günster: Nein. Wir sind sogar aus dem nach unserer Sicht konstruktiven Anhörungsverfahren davon ausgegangen, dass sich bei der endgültigen Entscheidung die Wissenschaft und die evidenzbasierte Medizin durchsetzen werden. Das haben wir bis Donnerstag so geglaubt.

Diese Entscheidung ist für uns nicht nachvollziehbar, weil sie nur Verlierer und Beschädigte verursacht: allen voran die Ärzte und Patienten in Deutschland, denen eine wichtige Therapieoption vorenthalten wird.

Auch das IQWiG und der GBA sind letztlich Verlierer. Es kann doch nicht sein, dass die deutschen Fachinstanzen völlig anders urteilen als Bewertungsinstanzen in 40 anderen Ländern, in denen Linagliptin inzwischen eingeführt ist, und erheblichen Zusatznutzen zugesprochen und einen fairen Preis bekommen hat.

Für mich ist unverständlich, dass die Politik tatenlos zuschaut, wie der AMNOG-Prozess von den Kostenträgern dominiert wird.

Sie sind im Moment mit Trajenta® nicht auf dem deutschen Markt. Bleibt es dabei?

Es macht wenig Sinn, auf der Basis dieser Nutzenbewertung in die Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband über einen Erstattungspreis zu gehen. Dabei kann nur ein Preis in der Nähe des generischen Sulfonylharnstoffs herauskommen.

Die Dominanz des GKV-Spitzenverbandes hat im ersten Anlauf des AMNOG-Prozesses die Weichen schon so gestellt, dass dieses Ergebnis präjudiziert worden ist. Ein Generika-Preis ist für ein innovatives patentgeschütztes Präparat unakzeptabel.

Wir reden hier von Tagestherapiekosten von unter 20 Cent.

Richtig. Wobei der durchschnittliche Preis in jenen 15 EU-Ländern, in denen Trajenta® eingeführt ist, bei etwas über 1,20 Euro liegt.

Gleichwohl: Sie sind ja vom therapeutischen Wert von Linagliptin überzeugt. Wie begründen Sie Ärzten und Patienten gegenüber, dass Sie das Medikament Ärzten und Patienten nicht zur Verfügung stellen?

Es ist für ein verantwortungsvolles Arzneimittelunternehmen nicht vorstellbar, eine innovative Therapie zu einem generischen Preis anzubieten.

Das bringt das komplette Preisgefüge und damit auch die Wertschätzung für Innovationen in Europa und weltweit aus den Fugen. Man wird medizinischen Fortschritt langfristig nicht mit Generika-Preisen finanzieren können.

Wie werden Sie sich denn gegen die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Wehr setzen?

Wir stehen nun leider am Ende. Denn der AMNOG-Prozess sieht grundsätzlich keine Rechtsmittel gegen das Ergebnis der Nutzenbewertung vor. Erst am Ende des Preisfindungsverfahrens, unter Umständen nach einem Schiedsspruch, würden wir eine Klagemöglichkeit haben.

Linagliptin ist in Deutschland entwickelt worden und wird auch hier für den Weltmarkt produziert. Hat die Entscheidung des Bundesausschusses eine Signalwirkung für den Pharma-Standort Deutschland?

Wir wissen, dass dieser Fall auch außerhalb von Deutschland aufmerksam beobachtet wird. Die Fragezeichen für große internationale Unternehmen in Bezug auf den Standort Deutschland werden sicher größer.

Seit der Erhöhung des Zwangsrabatts von sechs auf 16 Prozent vor zweieinhalb Jahren und den Erfahrungen mit dem AMNOG-Prozess ist im letzten Jahr sowohl die Zahl der Beschäftigten als auch der klinischen Prüfungen in Deutschland zurückgegangen. Zuwächse erzielen nur noch diejenigen Firmen, die von Deutschland aus exportieren.

Altmarkt-Bewertung: heikel

Auch für vor dem 1. Januar 2011 auf den Markt gekommene Wirkstoffe kann der GBA eine Nutzenbewertung nach AMNOG veranlassen. Das schafft heikle Entscheidungssituationen.

Die bisher erfolgten frühen Nutzenbewertungen haben den Krankenkassen so gut wie keine Ersparnisse erbracht.

Um das politisch angestrebte Zwei-Milliarden-Ziel zu erreichen, ist es notwendig - und im Gesetz auch vorgesehen, dass auch Arzneimittel, die vor Inkrafttreten des AMNOG auf den Markt gekommen sind, eine Nutzenbewertung durchlaufen sollen. Als erste Gruppe hat der GBA die Gliptine aufgerufen.

Doch dagegen wird bereits geklagt, und zwar mit der Begründung, bislang habe der Bundesausschuss keine Kriterien dafür beschlossen, in welcher Reihenfolge er den Bestandsmarkt bewerten will.

Denn Willkür oder Zufall entsprechen nicht den Prinzipien einer rechtsstaatlichen Verwaltung. In Kürze wird dazu eine (vorläufige Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin/Brandenburg erwartet.

Nutzenbewertungen und deren Folgen stellen betroffene Unternehmen vor heikle Entscheidungen: Vier Wochen nach dem GBA-Beschluss über den Zusatznutzen hat der Hersteller Zeit zu entscheiden, ob er die Bewertung akzeptiert oder den Markt verlässt (Opt out).

Eine Klage gegen die GBA-Bewertung ist nicht möglich. Die Entscheidung fällt unter zwei Aspekten: erstens betriebswirtschaftlich, zweitens aber auch versorgungspolitisch. Denn aktuell werden rund 900.000 Patienten mit einem Gliptin in Deutschland behandelt. Im Fall des Opt out müsste die Therapie umgestellt werden.

Diese Entscheidung trifft der Unternehmer allerdings in Unkenntnis des Verfahrensausgangs: der alles entscheidenden Frage, welchen Erstattungspreis die Kassen zu zahlen bereit sind oder die Schiedsstelle festlegen könnte.

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